Sie sind die Generation, die das 21. Jahrhundert durchleben wird. Die Generation, für die außen- und sicherheitspolitische Zukunftsszenarien real werden. Breitet sich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine in den kommenden Jahren auf die westlichen Staaten aus? Was heißt das für das Leben in Deutschland? Werden die militärischen Drohungen des Kremls und dessen Propagandisten künftig einmal die Tat umgesetzt? Welchen Schutz kann die Nato für den dauerhaften Erhalt der Sicherheit im Bundesgebiet leisten? Die jüngste Shell-Jugendstudie liefert überraschende Ergebnisse zu den Einstellungen von Jugendlichen.
Größte Angst: Krieg in Europa
Kein Zweifel: Zweieinhalb Jahre nach dem russischen Überfall auf die Ukraine kann es nicht überraschen, dass 81 Prozent der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland vor einem Krieg im übrigen Europa am meisten Angst haben. Zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten wächst eine Generation heran, für die Frieden, Sicherheit, Wohlstand nicht mehr so selbstverständlich war wie noch vor fünf oder zehn Jahren.
So geben die Vergleichszahlen aus dem Jahr 2019 daher nur einen verblichenen Rückblick auf eine Zeit, in der die Wahrnehmung von Krisen und Kriegen deutlich geringer ausfiel: Damals nannten nur 46 Prozent der Altersgruppe zwischen 12 und 25 Jahren einen Krieg in Europa als etwas, was ihnen Angst machen würde.
Neue Wirklichkeit – neue Einstellungen?
In Zeiten neuer bedrohlicher Szenarien verändern sich gleichermaßen auch politische Einstellungen. Dies gilt auch für die jungen Deutschen. Sie müssen sich langfristig darauf einstellen, ihren Weg in ihr eigenes Berufs- und Familienleben in einer neuen sicherheitspolitischen Epoche einzuschlagen. Für sie hat sich die Hoffnung ihrer Eltern, dass es nach dem Ende des Kalten Krieges in ganz Europa zu mehr Freiheit, Demokratie und liberaleren Gesellschaften kommen werde als trügerische Illusion herausgestellt.
Einer der wichtigsten Chronisten der jüngeren osteuropäischen Geschichte, der britische Historiker Timothy Garton Ash, nennt daher auch den russischen Angriff auf die Ukraine als den einschneidenden Zeitpunkt: "Die Ukraine hat unsere Illusion eines immerwährenden Friedens erschüttert", so Garton Ash in einer Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung. "Wir glaubten, die harte militärische Komponente von Sicherheit sei für uns kein Thema mehr."
Verschwundene Arglosigkeit
Diese Arglosigkeit sei nun gründlich verschwunden. Die gewandelte Einstellung zu den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen spiegelt sich in der Shell-Jugendstudie wider. Eine große Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen - 69 Prozent - wünscht sich eine stärkere Nato. Damit richtet die junge Generation große Erwartungen an das transatlantische Bündnis und damit zugleich an die politischen Verantwortlichen in Deutschland. Sie sieht die westliche Verteidigungsallianz als Sicherheitsgarant für die Zeitdauer ihres Erwachsenenlebens.
Nur sechs Prozent der Befragten lehnt den Wunsch nach einer stärkeren Nato ab. Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Jugendlichen gibt es in dieser Frage nicht. Die Übrigen gaben an, dazu keine Meinung zu haben.
Wie beurteilt die junge Generation Russlands Krieg?
In dieser Frage zeigen sich laut Shell-Jugendstudie einige Unterschiede zwischen jungen West- und Ostdeutschen auf. Sollte Russland für den Angriff auf die Ukraine bestraft werden? Bundesweit antworteten 60 Prozent mit einem "Ja". Nein, das lehnen sie ab, geben 21 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen an. Bundesweit sprechen sich nur 13 Prozent gegen eine Bestrafung Russlands aus.
Ob Deutschland die Ukraine weiterhin uneingeschränkt unterstützen solle? Dem stimmt die Hälfte der jungen Deutschen zu, "die Zustimmung ist im Osten mit 44 Prozent im Vergleich zu 52 Prozent der Jugendlichen in den westlichen Bundesländern geringer ausgeprägt", wie es in der Shell-Jugendstudie wörtlich heißt. 22 Prozent der Westdeutschen lehnen die Unterstützung der Ukraine ab. Erheblich mehr - 34 Prozent - halten in den ostdeutschen Bundesländern von der Ukraine-Hilfe nichts.
Friedens-Preisträgerin warnt
Die Historikerin Anne Applebaum, die am Sonntag in Frankfurt am Main mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, gab in diesem Zusammenhang den Bundesbürgern - jungen wie älteren - eine Warnung mit auf den Weg: Angesichts der Wahlerfolge von AfD und BSW der Ukraine die Unterstützung zu entziehen, "wäre das Schlimmste, was Deutschland tun könnte. Denn es würde all die prorussischen Narrative bestätigen und die Anstrengungen des Kremls belohnen."
Video: Maritimes Hauptquartier der Nato eröffnet
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