Die Bäumchen wirken, als wären sie höchstens ein paar Monate alt. Doch sie haben bereits drei Jahre auf dem Buckel und werden immer wieder von Rehen oben abgebissen. Die saftig frischen Triebe schmecken Ihnen, denn sie enthalten viele Nährstoffe. Problematisch wird es, wenn der Terminaltrieb abgeknabbert wird, der das Höhenwachstum bestimmt. "Wir bekommen einen Seitentrieb, also zwei Spitzen. Diese Gabel ist oft nass, das belastet den Baum und Schädlinge können leichter eindringen. Das Wachstum wird für ein Jahr gestoppt", sagt Matthias Rampp, der eine Jagdschule betreibt.
Fachwissen hilft, Konflikte zu entschärfen
Das sind keine guten Nachrichten für Waldbesitzer wie Michael Wiedemann. Denn er möchte viele und vor allem auch verschiedene Bäume auf seiner Fläche und nicht nur das, was das Wild übriglässt. Der Forst soll verjüngt und am besten zu einem klimaresilienten Mischwald werden, und hier kann ein zu großer Wildbestand hinderlich sein.
Wiedemann hat deshalb vor Kurzem einen Jagdschein gemacht. "Ich kann jetzt gezielter sagen, da könnte man eine Schwerpunktbejagung machen. Wenn man gemeinsam einen Weg findet, dass wir keinen Zaun mehr brauchen oder pflanzen müssen, dann ist allen geholfen", sagt der Biobauer. Würden beide Seiten mehr auf Augenhöhe miteinander sprechen, gäbe es weniger Spannungen, ist sich Wiedemann sicher. Manch traditionelle Jäger haben mitunter andere Interessen und lassen Tiere länger im Wald stehen, um später eine entsprechende Trophäe für die Wand zu bekommen. Seit langem gibt Debatten darüber, ob Wald oder Wild Vorrang haben soll.
Hohe Durchfallquoten
Auch Wiedemanns Söhne und seine Tochter haben die Jägerprüfung absolviert. "Man lernt die Natur einfach wieder anders kennen. Der Hase kann schon wieder trächtig werden, noch bevor er Junge bekommt. Das nennt man Superfötation", sagt Tochter Ann-Sophie. Für sie ist der Jagdschein eher Mittel zum Zweck. Den braucht sie, um später einmal die Falknerprüfung ablegen zu können, denn Greifvögel faszinieren sie.
Doch der Jagdschein ist kein Selbstläufer. Gut ein Drittel fällt bayernweit durch. Deshalb heißt es büffeln – für eine schriftliche, eine mündlich-praktische Prüfung sowie die Schießprüfung und Waffenhandhabung. Nicht allein mit Wildtieren, sondern auch mit dem Jagdrecht oder dem Naturschutz müssen sich die Prüflinge auskennen. Deshalb ist auch vom "Grünen Abitur" die Rede. Die Ausbildung kostet samt Lernmaterialien knapp 2.000 Euro.
Tipps im Umgang mit Wildschweinen
Matthias Rampp und Michael Wiedemann Senior knien am Waldboden, den Wildschweine umgegraben haben. Diese suchen Engerlinge, Schnecken und Larven und wühlen das Moos um. "Wenn Samen darauf fallen, keimen sie besser und haben eine gute Verwurzelung. Das ist, wie wenn der Landwirt sein Feld draußen ackern würde", erklärt Rampp. Wildschweine seien, für den Wald insgesamt betrachtet, eher nützlich denn schädlich. Sie momentan zu schießen und damit möglicherweise aus dem Wald zu vertreiben, mache wenig Sinn. "Sie gehen dann raus auf die Felder und fressen die frisch angekeimten Maiskörner. Die gehen teilweise schnurgerade die Reihen ab", sagt Wiedemann.
Jagen als Ausgleich
Auch um besser Spuren und Fährten der Kitze vor dem Mähen lesen zu können, sei der Jagdschein sinnvoll, sagt Michael Wiedemann junior. Er habe inzwischen auch ein Netzwerk, das bei der Kitzrettung helfe. Der Landwirt, der den Hof von seinem Vater übernommen hat, hatte den Jagdschein als erster bestanden und das Interesse der anderen Familienmitglieder geweckt. Jagen ist für ihn mittlerweile zu einem Ausgleich für die Arbeit am Hof geworden. "Es klingelt kein Telefon und es will keiner irgendwas. Diese Ruhe ist einfach schön und ich muss nicht jedes Mal irgendein Wildtier überreden, mit mir mitzukommen."
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