Ortstermin im Forensisch-Toxikologischen Centrum München, kurz "FTC": Linoleumboden, Labortische, Reagenzgläser. Es ist eines der größten derartigen Labore bundesweit. Hier werden Haar-, Urin und Blutproben aus ganz Deutschland analysiert. Oft geht es um die Frage der Fahrtüchtigkeit oder um einen potenziellen Verstoß gegen Bewährungsauflagen. Für die Analysen braucht es "Tony", ein Gerät, das ein paar Millionen Euro kostet.
Der Mann, der Tony voller Stolz präsentiert, ist Professor Frank Mußhoff, Forensischer Toxikologe, Geschäftsführer des FTC und Augenzeuge einer Entwicklung. Denn Mußhoff stößt mithilfe von Tony seit einigen Jahren immer wieder auf Substanzen, die bei einem normalen Drogentest nie auffallen würden. Tony macht Unsichtbares sichtbar: "Wir kriegen hier teilweise Signale und wissen nicht, welche Substanz es ist. Dann kann man aber ausrechnen, wie viel Kohlenstoff, wie viel Wasserstoff, wie viel Stickstoff und dann kriegt man eventuell Vorschläge, um welche neue Substanz es sich denn handeln könnte", erklärt Mußhoff.
Experte warnt vor "unerforschten Substanzen"
In seinem Labor stößt er so mitunter auch auf sogenanntes "1S-LSD". 1S-LSD ist ein LSD-Derivat. Das heißt, es handelt sich um eine chemische Abwandlung der ursprünglichen Droge. Verboten ist die Substanz deshalb bislang nicht. Unter das Betäubungsmittelgesetz fällt nur die chemische Zusammensetzung des Originals.
Mußhoff blickt kritisch auf die Laborergebnisse. Er warnt vor den Gefahren des Derivat-Konsums: "Es sind unerforschte Substanzen. Es ist nicht bekannt, in welcher Art und Weise sie zu dosieren sind oder, wie viel ein Körper aufnehmen kann. Konkret kann so etwas zu erheblichen Psychose-Zuständen führen."
Legal = weniger gefährlich?
Der Münchner Toxikologe ist nicht der einzige Fachmann, der sich Sorgen macht. Der Frankfurter Suchtforscher Bernd Werse vertritt grundsätzlich in der Drogenpolitik einen eher liberalen Kurs. Mit der derzeitigen Lage hadert er dennoch: Auch Werse warnt, dass sich mittel- oder langfristige Folgen des Konsums aufgrund fehlender Forschungserkenntnisse kaum absehen lassen. Außerdem könne die Tatsache, dass die Derivate legal sind, zum Konsum verleiten: "Manche Leute denken, etwas ist legal, also vielleicht ist es auch nicht so gefährlich", sagt er.
Werse kann sich deshalb eher die streng kontrollierte Abgabe von Substanzen in sehr geringen Mengen vorstellen, ohne für diese Läden zu werben. Denn – so seine These – das Geschäftsmodell mit den legalen Derivaten gebe es ja nur deshalb, weil die Originale illegal seien.
Händler: Vermutlich rund 100.000 Konsumenten in Deutschland
Wie groß der Markt für die Derivate inzwischen ist, lässt sich schwer sagen. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Im Netz finden sich allerdings zahlreiche Shops. Als Drogenhändler versteht sich jemand wie Daniel Becker dabei nicht. Auch Becker betreibt einen Onlinehandel mit einem Monatsumsatz im sechsstelligen Bereich. Er sei Unternehmer, sagt er im BR-Interview: "Das hat sich für mich auch nie so angefühlt, als ob ich etwas Falsches mache. Denn ich mache das ja aus einer tiefen Überzeugung heraus."
Becker ist der Meinung, mit den Substanzen helfe er Menschen, sich persönlich weiterzuentwickeln. In seinem Online-Shop versieht er die Substanzen mit einem Hinweis. Er spricht von Forschungschemikalien: "Der offizielle Zweck ist die labortechnische Analyse. Aber wozu die Kunden das Produkt benutzen, ist natürlich ihnen überlassen."
Katz- und Maus-Spiel
Verboten ist der Verkauf der Derivate derzeit tatsächlich nicht. Zwar wurde 2016 mit dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz eine rechtliche Grundlage für Verbote geschaffen, tatsächlich sind die Chemiker aber meist schneller als die Politik: Wird die eine Abwandlung einer Droge verboten, ist längst eine andere im Labor entwickelt.
Die Folge: Eine Art Katz-und-Maus-Spiel, an dem sich wohl auch in Zukunft nicht so schnell etwas ändern wird. Gespräche mit Händlerkreisen lassen darauf schließen, dass für den Fall, dass 1S-LSD verboten werden solle, bereits an neuen Substanzen gearbeitet wird.
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