Frau hält Hände der Bewohnerin einer Palliativstation
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Letzte-Hilfe-Kurs: Wie begleite ich einen sterbenden Verwandten?

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Letzte-Hilfe-Kurs: Wie begleite ich einen sterbenden Verwandten?

Letzte-Hilfe-Kurs: Wie begleite ich einen sterbenden Verwandten?

Als ihre Schwägerin in ein Hospiz kommt, fühlt sich Brigitte Riedl überfordert. Wie kann sie ihr am Ende ihres Lebens beistehen? In einem "Letzte-Hilfe"-Kurs in Aschaffenburg suchen Angehörige von Sterbenden nach Antworten. Und finden sie.

Über dieses Thema berichtet: Stadt Land Leute am .

Brigitte Riedl sitzt auf einer Parkbank und denkt an den Tod. Vor ihr liegt der Teich im Park Schöntal in Aschaffenburg. Sie zieht ein paar Fotos aus ihrer Handtasche, blättert sie durch. Darauf zu sehen: ihre Schwägerin. "Wir haben so viele schöne Erinnerungen", sagt Riedl. "Sie war wie eine kleine Schwester. Sie, ihr Mann, mein Mann und ich: Wir haben gut zusammengepasst."

Auf den Fotos sind die beiden junge Frauen lachend zu sehen, bei gemeinsamen Familienfesten und Geburtstagen. Heute ist Brigitte Riedl 78 Jahre alt. Ihre Schwägerin ist vier Jahre jünger.

Wie einer Todkranken begegnen?

"Vor drei Jahren bekam sie die Diagnose Darmkrebs. Seitdem haben wir viele Höhen und Tiefen erlebt. Aber nun liegt sie seit sechs Wochen im Hospiz und wartet praktisch auf ihren Tod", sagt Brigitte Riedl.

Sie erinnert sich noch daran, wie ihr Bruder und ihre Eltern starben. Alle seien auf ihre Art friedlich gegangen. Irgendwie schön, sagt sie. Doch als ihre Schwägerin ins Hospiz kommt, fühlt sich Brigitte Riedl überfordert: "Soll man da strahlend reinkommen? Wie soll man gucken? Wenn ich sie dann sehe, dann kommen mir schon mal die Tränen."

Besonders die ersten Besuche im Hospiz waren schwer. Das Weinen wurde mit der Zeit seltener, doch eine gewisse Unsicherheit blieb. "Und dann sah ich in unserem Mitteilungsblättchen, dass dieser Kurs angeboten wird: Letzte Hilfe", sagt Brigitte Riedl. "Das war genau das, was ich brauchte."

"Das Sterben ist unsichtbar geworden"

Bei so einem Kurs lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie man Sterbenden beisteht. Also eben die "letzte Hilfe" leistet. Heidi Magerl bietet seit 2017 solche kostenfreien Letzte-Hilfe-Kurse in Aschaffenburg an – und immer seien sie voll: "Früher konnte man zu Hause sterben. Alle wussten noch, was zu tun ist. Alle konnten es miterleben. Man kannte noch Rituale und so weiter. Aber die letzten Jahrzehnte ist das Sterben in unserer Gesellschaft eben in Institutionen verlagert worden, in Kliniken, sodass das Sterben unsichtbar geworden ist."

Umgang mit Tod muss neu gelernt werden

Den Umgang mit dem Sterben also wieder lernen. Der Kurs richtet sich an alle, die sich dafür interessieren. Die meisten, die an diesem Abend teilnehmen, sind wie Brigitte Riedl aktuell betroffen. Haben sich angemeldet, weil der Vater, die Oma oder die Freundin bald sterben wird.

In vier Themenblöcken vermitteln verschiedene Dozentinnen Wissen rund um das Thema Sterbebegleitung . "Im ersten Block geht es darum, erstmal ein Bewusstsein zu entwickeln, dass wir Menschen verletzlich und endlich sind und dass der Tod eben zu unserem Leben gehört", sagt Heidi Magerl.

Auf den eigenen Tod vorbereiten

Danach folgt Organisatorisches. Auch wie man richtig das eigene Lebensende vorbereitet. Dort kann man festhalten, wie man selbst medizinisch versorgt werden möchte - und wie nicht. Dieser Wunsch wird dann berücksichtigt, auch wenn man nicht mehr in der Lage ist, ihn selbst zu äußern. Neben Organisatorischem wird auch Pflegepraxis vermittelt: So putze ich jemandem richtig die Zähne, der es nicht mehr selbst kann. So berühre ich einen Menschen, der dem nicht mehr zustimmen kann.

Trauer nicht wegschieben

In den letzten beiden Abschnitten geht es um die eigene Trauer und das Abschied nehmen. Heidi Magerl ist es wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erkennen, dass sie als Trauernde eine Art Doppelbelastung stemmen. Zum einen sind da die rein praktischen Aufgaben zu bewältigen, die um eine Person im letzten Lebensabschnitt anfallen. Zum anderen ist da die Trauer an sich. Beides koste Kraft. Die Trauer würde darum oft weggeschoben. Diese sei jedoch eine wichtige Ressource, um den Abschiedsprozess emotional zu begleiten und zu verarbeiten. Denn Trauer setzt nicht erst nach dem Tod des Angehörigen ein.

Einfach da sein – ohne Angst, Fehler zu machen

"Das Wichtigste für Menschen am Lebensende ist, dass wir sie nicht alleine lassen, dass wir mit aushalten", sagt Kursleiterin Heidi Magerl. "Dass wir uns trauen, mit auszuhalten."

Sich trauen, mit auszuhalten und keine Angst haben, Fehler zu machen. Das nimmt Brigitte Riedl mit zu ihrer Schwägerin ins Hospiz. "Ich gehe richtig beschwingt hier heraus. Ich bin durch den Kurs viel sicherer geworden und glaube, dass ich meiner Schwägerin so helfen kann", sagt sie.

Vor dem Tod steht das Leben

Nach dem Kurs: Alle packen zusammen. Brigitte Riedl hält eine kleine Karte in der Hand. "Diesen Spruch finde ich toll", sagt Brigitte Riedl. Alle Kursteilnehmer haben so eine Karte bekommen. Darauf ist ein Snoopy-Comic: "Snoopy, eines Tages werden wir alle sterben." "Ja, das stimmt. Aber an allen anderen Tagen nicht."

Sie steckt die Karte in ihre Handtasche zu den Fotos ihrer Schwägerin.

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