Von den etwa 1.200 Menschen, die in Bayern während der NS-Diktatur durch Todesstrafe umkamen, stammte etwa die Hälfte aus dem Ausland. Sie kamen unter die Guillotine, weil sie im Widerstand aktiv waren oder – zum Beispiel als Zwangsarbeiter – Bagatelldelikte begingen. Einer von ihnen ist der tschechische Steinmetz Adalbert Pokorny. Er entwendete in der Not der Kriegsjahre öfter Koffer oder Pakete am Münchner Hauptbahnhof und wurde dafür als "Volksschädling" zum Tode verurteilt. Durch die Guillotine von Stadelheim wurde er am am 19. April 1943 enthauptet.
Keine frei gewählten Grabstätten
Seine Gebeine liegen in der Sektion 124 des Münchner Friedhofs am Perlacher Forst – im "Ehrenhain der Displaced Persons". Ob seine Angehörigen je von seinem Bestattungsort erfahren haben, ist unbekannt. In der Heimat durfte er damals nicht bestattet werden. Der Münchner Holocaust-Forscher Alexander Korb schätzt, dass bis zu 200 Opfer der Todesstrafe noch auf dem Friedhof liegen – oft ohne Wissen der Familien.
"Der Sinn eines Grabes als letzter Ruheplatz ist da überhaupt nicht erfüllt gewesen in der Diktatur", sagt Korb. "Deshalb ist es ein Versuch, den Toten Würde zurückzugeben und ihnen endlich eine Ruhestätte zu geben, wenn man sie auf die Friedhöfe in ihren Heimatorten überführt." Doch dafür müsste man nach ihren Angehörigen suchen. Für die könnte das auch eine Chance sein, die tiefen Wunden der Familiengeschichte ein Stück weiter zu verarbeiten.
Blinder Fleck in bayerischer Geschichte
Diese Suche ist in den 80 Jahren seit Kriegsende nie geschehen – wie auch eine historische Aufarbeitung der Todesstrafe in der NS-Zeit kaum. So bewahrt die bayerische Staatsregierung die Guillotine im Depot eines Münchner Museums auf, in den bayerischen NS-Dokumentationszentren wird die Todesstrafe nur am Rande erwähnt, und es gibt auch keinen sichtbaren Gedenkort für die Opfer. Am Gräberfeld 124 klärt noch nicht einmal eine Erinnerungstafel die Friedhofsbesucher darüber auf, wer dort liegt und warum. Ein weitgehend blinder Fleck in Bayerns Geschichte also.
Helena Novotna, die Urenkelin des tschechischen Widerstandskämpfers Karel Hladeček, würde gerne die Gebeine ihres Urgroßvater in die Heimat holen. Das hat ihr die Friedhofsverwaltung verwehrt, weil er zu dicht an anderen Opfern liege. Sie sieht es als die Verantwortung der Deutschen an, die Nachkommen der übrigen Opfer zu recherchieren, um wenigstens ihre Gebeine in heimatlicher Erde bestatten zu können. Sie hat die Namen der hier liegenden Tschechen recherchiert, und unter anderem auf ihre Initiative sind im August bereits sieben von ihnen in die Heimat überführt worden.
Familien: Psychische Folgen der Todesstrafe bis heute
Es bestehe Handlungsbedarf, sagt Helena Novotna, vor allem wenn man die Kinder der Opfer noch lebend erreichen möchte. Viele von ihnen dürften bis heute unter den psychischen Folgen der Todesstrafe ihrer Eltern leiden und ihre Traumata unwissentlich an ihre Kinder und Enkel weitergegeben haben.
Novotna fragt sich, warum die politischen Institutionen jahrzehntelang eine Aufarbeitung versäumt haben. "Das finde ich nicht in Ordnung", sagt sie. "Der Krieg ist nun 80 Jahre her. Können Sie mir sagen, was seitdem passiert ist und warum sich nie jemand darum gekümmert hat?"
Stadt München: Kein Geld für Erinnerungsprojekt
Die Stadt München hat jedoch offenbar kein Interesse an der Aufarbeitung dieser historischen Last und sieht auch keine politische Verantwortung dafür. In einer schriftlichen Antwort bestätigen die Städtischen Friedhöfe München, dass man nur in Einzelfällen nach Angehörigen gesucht habe. Und: "Wenn Angehörige die Umbettung der im Ehrenhain bestatteten Verstorbenen wünschen, genehmigt die Stadt solche Anträge in der Regel. Für ein eigenes Forschungs- oder Rechercheprojekt stehen derzeit jedoch keine personellen oder finanziellen Ressourcen zur Verfügung."
Wenn die Stadt München es nicht selbst übernimmt, die Familien zu finden, könnte sie etwa die Arolsen Archives beauftragen, die derzeit auch die Adressaten nicht abgeschickter Abschiedsbriefe von Todeskandidaten vor 80 Jahren suchen.
Holocaust-Forscher: Würdiger Umgang mit sterblichen Überresten überfällig
Der Holocaust-Forscher Alexander Korb wünscht sich eine Aufarbeitung der Todesstrafe im Nationalsozialismus. Wie der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller (CSU), befürwortet er etwa eine Ausstellung der Guillotine und eine Aufbereitung der Fakten für die Öffentlichkeit.
Die Forschung, was mit den in Stadelheim Hingerichteten passiert ist, ob sie kremiert wurden, bestattet oder in die Anatomie gingen, stehe erst am Anfang. Da müsse man weiter forschen, "denn ein würdevoller Umgang mit den sterblichen Überresten ist überfällig".
Im Audio: Problematisches Erbe – Die bayerische Guillotine
Problematisches Erbe: Die bayerische Guillotine
Dieser Artikel ist erstmals am 1. November 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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