Christa Olbrich musste als Kind von heimatvertriebenen Eltern schon früh für sich selbst sorgen. Sie schaffte es von der Kuhmagd zur Krankenschwester und bis zur Professorin und setzte sich auf ihrem Weg gegen alle Widrigkeiten durch.
Pionierin der Pflegewissenschaft
Als Krankenhaushelferin in den frühen 1960er Jahren muss sie den Urin noch ohne Handschuhe umfüllen und ins Labor bringen, die Nachttöpfe zur Desinfektion mit Kalk bestreuen – heute undenkbar. "Eine andere Welt", sagt sie. Auch deshalb wird sie zu einer Pionierin der Pflegewissenschaft, kämpft für die Akademisierung. Denn: "Das haben wir immer schon so gemacht" ist kein Argument, das sie gelten lässt.
"Von der Kuhmagd zur Professorin", heißt ihre Biografie. 1945 geboren, mit elf Monaten Heimatvertriebene aus Mährisch Schönberg/Šumperk. Die Familie landet im mittelfränkischen Haundorf und muss sich mit einem Dachzimmer auf einem Bauernhof begnügen, ohne Klo und fließend Wasser. Als Kuhmagd auf dem Bauernhof kann sie ein wenig Milch verdingen.
Von ihrem ersten selbst verdienten Geld als Hopfenzupferin kauft sie sich ein Fahrrad und damit ein Stück Freiheit und Unabhängigkeit – fast wirkt es wie ein Symbol für ihren Karriereweg.
Olbrich fordert: Prävention für Pflegekräfte
Als sie mit 15 Jahren einen sterbenden Menschen in ihren Armen hält, ist ihr klar: Ihre Zukunft liegt in der Pflege. Nach sieben Jahren Volksschule lernt sie Krankenpflegehelferin, liest in ruhigen Nachtschichten den "Faust" – und will mehr: die mittlere Reife nachholen, im Telekolleg. Ihr Mann, ein angehender Arzt, will ihr das verbieten: Seine Arbeit sei wertvoller als ihre, der Sonntagsbraten müsse pünktlich auf dem Tisch stehen. Christa Olbrich lässt sich scheiden und macht das Abitur mit 30 nach.
In einer der ersten Intensivstationen in Deutschland, dem chirurgischen Wachsaal in Erlangen, arbeitet sie als Intensivschwester. Herzstillstände und Reanimationen sind an der Tagesordnung und bringen sie an den Rand eines Burnouts - ein Wort, das es damals noch gar nicht gibt. Heute fordert sie deshalb: Pflegefachkräfte müssen auf sich achten – aber das müsse auch institutionell erfolgen. Und so macht sie sich nach wie vor stark für Supervisionen und Fortbildungen in der Pflege. Was sich heute selbstverständlich anhört, stieß in den 80er Jahren noch auf Verwunderung.
Emanzipation der Pflege
"Als wir nur tüchtige Mädchen waren" - so lautet der Titel ihres neuesten Buches – denn als "tüchtiges Mädchen" wird sie ihr Leben lang abgespeist, wenn sie neue Ideen hat, Dinge anders denken will. Die Emanzipation der Pflege ist für sie eng verbunden mit der Emanzipation der Frau. Auch wenn inzwischen 25 Prozent der Fachkräfte Männer sind, ist es doch immer noch ein Frauenberuf, ein dienender.
Christa Olbrich
Akademisierung der Pflege
Mit 34 studiert Christa Olbrich, promoviert mit 51, wird schließlich Pädagogik-Professorin, um in der Pflege zu unterrichten. Sie wird eine der Wegbereiterinnen der Akademisierung der Pflege: "Pflege ist heute so komplex!", sagt sie. Und Forschung wichtig. Christa Olbrich will den Beruf aus seiner Unsichtbarkeit holen. "Denken statt waschen" ermuntert sie ihre Schützlinge in den Krankenhäusern und Universitäten. Und: "Pflege ist politisch". Schließlich ist jeder früher oder später einmal mit diesem Thema konfrontiert.
Das Thema Pflege lässt sie auch in der Rente nicht los
Ruhestand gibt es bei Christa Olbrich nicht. Sie ist leidenschaftliche Imkerin in der Oberpfalz und gibt Kurse in Idiolektik. Die Lehre des individuellen Sprachgebrauchs hat natürlich bei ihr auch mit Pflege zu tun, aber das ist ein anderes Kapitel.
Würde sie ihren Beruf wieder wählen? "Auf jeden Fall! Er ist so vielseitig", schwärmt sie. Im September wird Christa Olbrich 80. Ob sie Sie einmal eine KI pflegen wird? Sie lacht: "Sie kann helfen", gerade im Pflegenotstand. Aber Hoffnung und Nähe geben, "die eigentliche Pflege, die können nur Menschen machen". Mutige und teilnahmsvolle Menschen wie sie.
Christa Olbricht als Schulmädchen 1955
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