Beschuldigte, die vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen; Angeklagte, die ein milderes Urteil bekommen; und Zeugen, die sich nicht mehr genau erinnern können – all das können die Folgen sein, wenn Ermittlungen und Gerichtsverfahren zu lange dauern. Der Deutsche Richterbund hat jetzt Alarm geschlagen: Bayerns Staatsanwälte seien überlastet, sie würden mit den Ermittlungen nicht mehr hinterherkommen.
Immer mehr unerledigte Verfahren
Der Richterbund hat bei den Justizbehörden nachgefragt und herausgefunden: bei den rund 1.000 bayerischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten lagen Ende 2024 83.433 unerledigte Verfahren – das waren rund 4.500 mehr als im Jahr davor. Und das, obwohl die Zahl der eingegangenen Verfahren zurückgegangen ist. Barbara Stockinger, Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins und selbst Richterin, mahnt: trotz Neueinstellungen fehlen mehr als 200 Stellen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften.
Frei, weil der Staatsanwalt keine Zeit für die Ermittlung hat?
Die Folge, so der Richterbund: die Justiz muss Verdächtige wegen zu langer Verfahren aus der Untersuchungshaft entlassen. Laut Bayerischem Justizministerium waren das in den Jahren 2023 und 2024 jeweils fünf Personen. Andere Folgen können sein, dass Richter bei der Zumessung des Straßmaßes eine lange Verfahrensdauer anrechnen – Beschuldigte erhalten dann eine mildere Strafe. Und Zeugen erinnern sich nach jahrelangen Verfahren oft nicht mehr, was sie genau wahrgenommen haben, ihre Aussagen werden weniger zuverlässig.
Mehr Staatsanwälte, kompliziertere Verfahren
Das Justizministerium weist aber auch darauf hin, dass gerade Staatsanwälte eingestellt würden – 170 neue Stellen gibt es für die Jahre 2023 – 2025, dazu mehr Personal für die Geschäftsstellen und mehr Richter. Das Ministerium macht in einer schriftlichen Stellungnahme auch die Europäische Union und den Bund dafür verantwortlich, dass die Verfahren immer länger dauern: Die machten neue Vorgaben und bürdeten den Gerichten neue Aufgaben auf.
Mehr Daten, kompliziertere Ermittlungen
Wörtlich heißt es aus dem Ministerium: "Hinzu kommt, dass ein Teil der Verfahren zunehmend komplexer und umfassender wird sowie oftmals elektronische Speichermedien, wie etwa Mobiltelefone auszuwerten sind". Das bestätigen auch Anwälte und Staatsanwälte. Auch bei weniger schweren Straftaten würden Handys heute gern als Beweismittel eingebracht. Und die Fachleute bei der Polizei, die Handys und Computer knacken und auslesen können, haben gut zu tun – das alles verzögert Verfahren.
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