Der 34-Jährige, der in Lauf Polizisten angegriffen haben soll und der Tatort am 30. Juni 2024
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Der 34-Jährige, der in Lauf Polizisten angegriffen haben soll und der Tatort am 30. Juni 2024

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Spurensuche nach dem Messerangriff in Lauf a.d. Pegnitz

Spurensuche nach dem Messerangriff in Lauf a.d. Pegnitz

Bei einem solchen Ereignis gibt es nur Verlierer. Nach dem Angriff eines Mannes auf Polizeibeamte in Lauf und den Schüssen auf ihn, stirbt er an den Folgen. Für die von dem Ereignis Betroffenen ist etwas Unvorstellbares passiert.

Über dieses Thema berichtet: Stadt Land Leute am .

So viel steht nach derzeitigem Ermittlungsstand fest: Der Angreifer von Lauf an der Pegnitz, der eine Streife der Bundespolizei mit einem Messer angegriffen haben soll, hatte kein extremistisches Motiv. Das teilte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit. Der 34-jährige Iraner soll am Sonntagabend des 30. Juni in Lauf auf einen Streifenwagen der Bundespolizei losgegangen sein. Als die drei Beamten aussteigen wollten, soll er sie mit einem Messer angegriffen haben. Eine Bundespolizistin soll ihm daraufhin in den Bauch geschossen haben. Der Mann starb an den Folgen des Schusses.

Was solch ein Angriff für die Polizei bedeutet

Ein Angriff und der Gebrauch der Schusswaffe: Wie es den in Lauf beteiligten Bundespolizisten geht, sei ihm im Einzelnen nicht bekannt, sagt Florian Leitner, bayerischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Aber Polizistinnen und Polizisten werden nach einem solch einschneidenden Erlebnis immer betreut. Es gebe einen sehr guten psychologischen Dienst für die Kolleginnen und Kollegen, sagt Leitner. Auch seien Dienstgruppenleiterinnen und -leiter sowie Kommissariatsleiterinnen und -leiter in ihrem Studium psychologisch geschult worden.

Leitner sieht jedoch einen alarmierenden Trend zu mehr Gewalt gegen Uniformträger. "Das heißt, dass unsere Kolleginnen und Kollegen immer mehr zur Zielscheibe werden." Dabei gibt es unterschiedliche Motive, seien es extremistische, ein Alkohol- oder Drogenrausch, psychische Erkrankungen und vieles mehr. Aber bei einem Angriff, wie in Lauf an der Pegnitz, spiele das Motiv des Täters keine Rolle, auch weil die Polizistinnen und Polizisten in Sekundenschnelle reagieren müssten.

"Die Polizei tritt für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für Ihre Bürgerinnen und Bürger ein und notfalls auch unter Einsatz unseres Lebens. Das bedeutet, im Fall von einem Messerangreifer muss die Polizei dafür Sorge tragen, dass kein Mensch zu Schaden kommt. Und das bedeutet wiederum im Notfall, dass auch dann die Schusswaffe eingesetzt werden muss, um einen Messerangreifer zu stoppen, wenn andere Mittel nicht mehr geeignet sind." Florian Leitner, bayerischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP)

Schock und Trauer

Ein Treffen bei der Caritas Nürnberger Land in Lauf. In einem Konferenzraum sitzen zwei Sozialarbeiterinnen, die namentlich nicht genannt werden möchten. Als sie von dem Angriff auf die Polizei und dem Tod des 34-Jährigen gehört habe, sei sie tieftraurig gewesen, sagt eine von ihnen. “Über diesen Tod und über die Umstände drumherum." Die beiden Caritas-Mitarbeiterinnen kannten den 34-jährigen Mohammad Z. seit Jahren. Er sei 2015 aus dem Iran mit einer großen Sehnsucht nach Freiheit und Bildung nach Deutschland gekommen, berichtet eine der beiden. Und er sei sehr bemüht gewesen, sich zu integrieren. Hilfsbereit und höflich sei er gewesen. “Von seiner ganzen Persönlichkeit habe ich ihm eine solche Tat nicht zugetraut“, sagt die Sozialarbeiterin.

Auch für den Röthenbacher Asylhelferkreis, sei das ein Schock gewesen, berichtet Georg Escher vom Helferkreis. Mohammad Z. hat in einer Unterkunft in Röthenbach gelebt. Eine solche Tat, nämlich dass der 34-Jährige andere Menschen mit einem Messer angreifen würde, hätten sie nicht für möglich gehalten. "Dass er so etwas tut, war wirklich außerhalb jeglicher Vorstellung", sagt Escher. Dabei wolle er die Tat nicht entschuldigen.

Gibt es ein Motiv?

Mit extremistischen Kreisen oder Islamismus habe Mohammad nichts zu tun gehabt, berichtet Georg Escher, der ebenfalls in Röthenbach lebt. Escher geht von einem anderen Motiv für die Gewalttat aus: "Ich glaube, er wollte einfach sterben, weil seine Situation ausweglos war, aus seiner Sicht aussichtslos", erklärt Escher. Er habe mit Sicherheit ein Video aus Mannheim gesehen, wo ein Afghane mit einem Messer auf Menschen eingestochen habe, ein Polizist starb. Der Angreifer wurde angeschossen und überlebte. "Ich vermute, er konnte abschätzen, wenn er die Polizei angreift, mit einem Messer, dann ist der Ausgang ziemlich eindeutig. Er wird erschossen werden", sagt Escher. Er glaube, es war eine Art Suizid. Trotzdem gebe es an der Tat – also dem Angriff – nichts zu entschuldigen, betont Georg Escher.

"Uns tut auch im Helferkreis die Polizistin, die den Schuss abgegeben hat, unendlich leid, weil ihr Leben dann natürlich schwer beeinträchtigt wird. Und ich kann nur hoffen, dass ihr die Erkenntnis, dass möglicherweise eine Art Selbstmord geplant war, für den sie oder ihre Polizistenkollegen missbraucht wurden, dass sie da im Grunde keine andere Möglichkeit hatte, als so zu reagieren. Vielleicht kann ihr das ein Stück weit helfen. Uns tut das schrecklich leid und wir wollen da überhaupt gar nichts rechtfertigen.“ Georg Escher, Asylhelferkreis Röthenbach

In den Tagen vor der Tat sei der sonst lebhafte Mann teilnahmslos gewesen, hätten die Mitbewohner aus dem Wohnheim berichtet, sagt Escher. Genauso wie der Helferkreis beobachteten auch die Sozialarbeiterinnen der Caritas eine Veränderung im Verhalten seit Wochen. “Der hat aufgegeben“, sagt eine der beiden. Er habe eine Leere ausgestrahlt, so etwas wie Resignation.

Die Vorgeschichte

2015 kam Mohammad Z. aus dem Iran nach Deutschland. Doch sein Asylantrag wurde abgelehnt. Vor drei Jahren hatte er erfolglos dagegen geklagt. Aber auch eine Rückkehr in den Iran schien nicht möglich. Die Flüchtlingsberatung und der Röthenbacher Helferkreis kennen Mohammad Z. seit er nach Deutschland kam. Georg Escher beschreibt ihn als sehr beliebten jungen Mann, der als einer der wenigen einmal die Woche Gemeinschaftsräume wie die Küche geputzt hatte. Mohammad Z. habe von Anfang an starke Bildungsambitionen gezeigt. "Bei uns hieß er Professor, weil er so hohe Bildungsziele hatte." Der Iraner habe immer Sport getrieben und Deutsch gelernt, bis zum Level C1. Das liegt über dem Durchschnitt und ist notwendig für ein Studium. Mohammad Z. habe, als er nach Deutschland kam, nicht geraucht und auch nichts mit Drogen zu tun gehabt, so Escher. "Das kam dann irgendwann später.“

Justiz und Vorstrafen

In Deutschland kam Mohammad Z. mit Drogen in Kontakt. Vor vier Jahren wurde er wegen unerlaubtem Drogenbesitz und Widerstand gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Diese wurde auf Bewährung ausgesetzt. Doch wegen seiner Vorstrafe bekam Mohammad Z. keine Arbeitserlaubnis von den Behörden. Da ihm dieser Weg verschlossen war, so Georg Escher vom Helferkreis, habe er dem 34-Jährigen zu ehrenamtlicher Arbeit geraten. Zum Beispiel habe er beim Blumenfest in Röthenbach mitgeholfen. “Er hat versucht, sich nützlich zu machen.“

Psychologische Hilfe notwendig

Aber mit dem Eintrag im Strafregister sei klar gewesen, dass der Geflüchtete keine Arbeit finden werde, sagt Escher: "Das hat ihn natürlich total belastet." Die Sozialarbeiterin, die den Iraner kannte, appelliert deshalb: "Ich finde, alle Geflüchteten im Asylverfahren oder im abgelehnten Asylverfahren sollten einen besseren Zugang zu psychiatrischen Behandlungen haben." Auch der Bayerische Flüchtlingsrat fordert in der Folge der Ereignisse in Lauf mehr psychosoziale Angebote für Menschen in Krisensituationen.

Eine Nachricht und die Folgen

Die Nachricht von einem Mann, der Polizeibeamte mit einem Messer bedrohte und dann durch einen Schuss tödlich verletzt wurde, ist inzwischen von anderen News aus der Tagesaktualität in den Hintergrund gerückt worden. Doch für die Beteiligten ist diese eine Nachricht ein Ereignis, das nicht so schnell vergessen werden kann: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt weiter, vernimmt Zeugen zum Tatablauf, befragt Behörden, trägt Fakten zusammen. Und: Laut Polizeigewerkschaft werden die an diesem Sonntagabend am 30. Juni in Lauf beteiligten Polizistinnen und Polizisten psychologisch betreut.

Im Gespräch bleiben

Bei der Caritas im Nürnberger Land müssen Schock und Trauer über die Tat und den Tod eines bekannten Menschen verarbeitet werden. "Dieser ganze Vorfall bringt uns als Organisation an unsere Grenzen", sagt Michael Groß, geschäftsführender Vorstand der Caritas Nürnberger Land. Deshalb gibt es professionell begleitete Gespräche in einer sogenannten Resonanzgruppe, um Entlastung und Wertschätzung zu bekommen. Auch wenn die Trauer um den Tod des 34-Jährigen groß ist: Bei dem Treffen mit dem Vorstand und den Sozialarbeiterinnen in dem Konferenzraum der Caritas in Lauf macht keiner der Polizei einen Vorwurf. Im Gegenteil, Verständnis und Empathie für die beteiligten Polizisten wird deutlich. Die Sozialarbeiterinnen wünschen sich auch deshalb, dass sie sich eines Tages mit den Polizisten treffen können – um mit ihnen darüber zu sprechen.

Der Bayerische Rundfunk berichtet – vor allem wegen möglicher Nachahmer-Effekte – in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer die zuständige Redaktion sieht es durch die Umstände der Tat geboten. Sollten Sie selbst Hilfe benötigen, kontaktieren Sie bitte umgehend den Bayerischen Krisendienst unter der Notrufnummer 0800-6553000 oder die Telefonseelsorge unter Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222. Weitere Hilfsangebote gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (externer Link).

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