Ein ganz normaler Arbeitstag: Um 8 Uhr am Schreibtisch, telefonieren, Mails beantworten, mittags Pause, ein kleiner "Powernap" und dann weiter bis etwa 17 Uhr. Nur, Joachim Hess könnte schon längst in Rente sein. Im Februar ist er 100 Jahre alt geworden. Als Senior-Geschäftsführer arbeitet er noch immer in seiner Firma Intertec. "Arbeit ist für mich Vergnügen und Erfüllung", sagt er.
Manchmal nimmt er Arbeit mit ins Bett
Im Jahr 1965 hat Joachim Hess sein Unternehmen gegründet, in dem er Schutzsysteme für sensible Elektrotechnik herstellt. Von kleineren Kästen, die Messtechnik etwa in heißen Raffinerien schützen, bis hin zu ganzen Häuschen, in denen am Flughafen empfindliche Geräte untergebracht sind. Heute hat Intertec über 300 Mitarbeiter und Büros auf der ganzen Welt von Kanada bis Indien.
Ungelöste Technikfragen nimmt Joachim Hess auch mal mit ins Bett. Auf seinem Nachttisch habe er immer einen Notizblock mit Stift und integriertem Lämpchen liegen, falls er im Halbschlaf eine Idee hat. "Manchmal ist es was und manchmal nicht", sagt er und lacht.
"Auch mal auf die Pauke hauen"
Ein wirkliches Geheimnis, um noch mit 100 so kreativ und fit zu sein, hat er nicht. "Nicht zu viel Essen, nicht zu wenig, aber auch nicht asketisch leben und wenn ein Fest ist, auch mal richtig auf die Pauke hauen", sagt er. Außerdem müsse man seine Eltern mit Bedacht auswählen. Seine wurden beide über 90 Jahre alt.
Jeden Mittwoch fährt er von seinem Büro in Ingolstadt mit seinem Oldtimer-BMW zum Firmensitz nach Neustadt an der Donau. Ein Bürogebäude im Industriegebiet, daneben die Produktionshallen. Wenn man Joachim Hess auf dem Gelände seiner Firma besucht, findet man ihn im Gespräch mit seinen Mitarbeitern. Hier ein kurzes "Hallo" und dort ein kleiner Plausch. "Das ist das Wichtigste, dass sich alle wie in einer großen Familie fühlen", sagt er.
Das Unternehmen ohne den Seniorchef: Unvorstellbar
Wenn er bei seinen Mitarbeitern ist, ist er in seinem Element. Produktdesignerin Linda Moser arbeitet an einem Computermodell eines silbernen Schutzkastens. Joachim Hess schaut auf den Bildschirm und lässt sich das Modell von allen Seiten zeigen: "Wunderbar, sehr schön!" Seit 14 Jahren ist Linda Moser bei Intertec und kann sich die Firma ohne den Seniorchef nicht vorstellen. "Wir freuen uns immer, wenn er kommt", sagt sie.
Auch mit 100 ist er noch fast überall dabei. Als die Belegschaft Anfang Juni gemeinsam nach Kanada reist, wird er per Videocall dazugeschaltet. Der Flug wäre ihm dann doch zu anstrengend gewesen.
Sein Erfolgsrezept: Dem Sohn nicht reinreden
Die laufenden Geschäfte hat inzwischen Sohn Martin Hess übernommen und der ist mit fast 70 Jahren auch schon im Rentenalter. Geschäftsführer sind aber beide noch. "Das ist eine sehr gute Zusammenarbeit. Ich dachte immer, es ist schwierig, den Patriarchen zu beerben, aber das klappt sehr gut", sagt Martin Hess. Auch, weil der Seniorchef ihm nicht reinredet. "Denn das ist der größte Fehler, wenn man als Chef hingeht und eine Anordnung, die getroffen wurde, widerruft. Das habe ich nie gemacht", sagt Joachim Hess.
"Zufriedene Kunden, zufriedener Chef"
In der Fertigungshalle schneidet inzwischen ein Laser die Teile für einen Schutzkasten zurecht. Daneben stehen Kunden vom Münchner Flughafen, die sich ein Schutzhäuschen für Technik der Flugsicherung ansehen. Sie sind zufrieden. "Zufriedene Kunden, zufriedener Chef", meint Joachim Hess.
Und das treibt ihn an: "Die Schaffensfreude und dass man ein Ergebnis hat", sagt der 100-Jährige. Sein Enkel ist kurz davor, auch in die Firma einzusteigen. Ans Aufhören denkt der Seniorchef trotzdem nicht. Dafür liebt er seine Arbeit zu sehr.
Dieser Artikel ist erstmals am 05. Juli 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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