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Stau 2022: 9-Euro-Ticket hatte größeren Einfluss als Spritpreis

Stau 2022: 9-Euro-Ticket hatte größeren Einfluss als Spritpreis

9-Euro-Ticket, teurer Sprit oder Homeoffice? Eine Datenanalyse zeigt, was 2022 den Verkehr in Bayerns größten Städten am stärksten beeinflusst hat, wann wo die Rushhour beginnt und an welchem Tag man das Auto lieber stehen lässt.

Von
Sophie Menner
Claudia Kohler

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Zehn Sekunden weniger als 2021 brauchten Menschen in den bayerischen Städten München, Nürnberg und Augsburg im vergangenen Jahr für eine Strecke von zehn Kilometern. Das geht aus dem aktuellen Travel-Index des Spezialisten für Kartierungs- und Geolokalisierungstechnologie TomTom hervor. Und obwohl dieser leichte Unterschied noch keinen Trend ausmacht, sind Experten und Expertinnen sich einig: Das Stauniveau wie vor der Pandemie ist noch nicht erreicht.

  • Zum Artikel: "ADAC-Bilanz: Staus auf deutschen Autobahnen"

Explosion bei den Spritpreisen führte nicht zu weniger Verkehr

Einer der spannendsten Funde in den neuen Daten: Die Effekte, die unterschiedliche Entwicklungen im vergangenen Jahr auf Reisezeit und Reisegeschwindigkeit hatten. Der Preis für alle Kraftstoffe schoss im Februar und März extrem in die Höhe – in den Stauparametern sieht man davon nichts. Kein plötzlicher Rückgang in der durchschnittlichen Zeit, die man für eine Strecke braucht, kein Anstieg in der durchschnittlichen Fahrgeschwindigkeit auf den untersuchten Straßenabschnitten in München, Augsburg und Nürnberg. Mehr Fahrzeit oder niedrigere Geschwindigkeiten sind ein Indikator für mehr Autos auf der Straße und damit auch für Stau.

Die folgende Grafik zeigt die prozentuale Abweichung des durchschnittlichen Benzinpreises pro Tag in Bayern gegenüber dem Jahresdurchschnitt und die prozentuale Abweichung der Fahrzeit, die man an diesem Tag im Schnitt für eine Strecke von 10 Kilometern in München, Nürnberg und Augsburg gebraucht hat, ebenfalls im Vergleich zum Jahresdurchschnitt:

Die Kurven der Fahrzeiten entwickeln sich nicht parallel zum Spritpreis, sondern verlaufen "natürlich" – mit immer mehr Verkehr zum Sommer hin und weniger Fahrzeit und größerer möglicher Geschwindigkeit vor allem zu den Ferienzeiten. Lisa Kessler, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU München zu Verkehr und Stau forscht, nennt zwei einfache, mögliche Gründe.

Zum einen: "Nicht alle Fahrten können von jetzt auf gleich weggelassen werden." Die meisten Menschen, die in der Stadt im Alltag das Auto nutzen, hätten dafür eine Begründung. Zum anderen: In den großen Städten, besonders in München, seien sehr viele mit einem Firmenwagen samt Tankkarte unterwegs – von daher beträfe der teure Sprit hier von vorneherein weniger Menschen.

In kleineren Städten wie Augsburg gebe es weniger Menschen mit Tankkarte. Durch die kürzeren Distanzen könnten auch mehr Menschen auf das Fahrrad umsteigen, sagt die Expertin. Daher sei es möglich, dass man dort einen sehr kleinen Effekt sehen könnte, wenn auch keine großen Auswirkungen.

Saisonale Schwankungen haben größeren Effekt als Sondermaßnahmen

Lisa Kessler betont auch, dass Parameter wie Saison und Ferienzeit beim Betrachten der Verkehrsentwicklung eines Jahres immer eine große Rolle spielen. "Durch diese jahreszeitlichen Schwankungen hat man einen größeren Einfluss als durch tatsächliche Maßnahmen – man muss sie definitiv mehr oder weniger stärker berücksichtigen als die jeweiligen Tankrabatte oder Spritpreise oder Neun-Euro-Tickets."

Ralf-Peter Schäfer, der für TomTom an der Datenanalyse mitgewirkt hat, ergänzt, dass auch Baustellen oder Eingriffe wie neue Geschwindigkeitsbegrenzungen großen Einfluss auf das Stauaufkommen haben können. Er empfiehlt deshalb, immer ein vergleichsweise enges Zeitfester zu betrachten, um Verzerrungen dadurch zu vermeiden.

Ferien, Tankrabatt, 9-Euro-Ticket: Im Sommer kam alles zusammen

In den Sommermonaten 2022 wurde das Verkehrsaufkommen von vielen Seiten beeinflusst. Pfingst- und Sommerferien, Feiertage, das 9-Euro-Ticket und nicht zuletzt die Einführung des Tankrabatts. Dieser, so möchte man meinen, ist ein Anstoß für mehr Autos auf der Straße und entsprechend längere Fahrzeiten – wie die Entwicklung tatsächlich ausgesehen hat, zeigen die folgenden Grafiken:

9-Euro-Ticket bringt leichte Verbesserung im Stadtverkehr

Deutlich zu sehen sind die beiden Einbrüche zur Ferienzeit – hier sind weniger Autos unterwegs, man kommt schneller voran. In einem gewöhnlichen Jahr würde die Fahrzeit zwischen den beiden Ferienzeiten wieder auf das Niveau vor Pfingsten ansteigen. Dass dies in allen drei Städten nicht passiert ist, trotz wieder günstigerer Spritpreise durch den Tankrabatt, spricht dafür, dass Menschen in dieser Zeit statt des Autos vielleicht doch öffentliche Verkehrsmittel nutzten.

Durch das 9-Euro-Ticket wurden Bus und Bahn für viele Menschen deutlich erschwinglicher. "Man muss mit den Aussagen vorsichtig sein. Aber gerade in der ersten Phase vor den Ferien konnte man in den Städten schon Verbesserungen feststellen", erklärt Ralf-Peter Schäfer. Er hat mit seinem Team im vergangenen Jahr diese Wirkung des 9-Euro-Tickets anhand von Daten aus 26 Städten untersucht.

Auch das Team von Lisa Kessler an der TU München hat eine Studie zum 9-Euro-Ticket durchgeführt. Ihr Fazit: Ein leichter Einfluss des 9-Euro-Tickets auf das Stauniveau und das Verkehrsaufkommen war zu beobachten – allerdings doch recht gering. Deutlich war dagegen, dass die Menschen gesamt viel mobiler waren in dieser Zeit. Aber auch da sagt die Expertin: "Das ist einfach ein bisschen schwierig auseinanderzuhalten. Was war jetzt gerade der Tankrabatt? Was war das 9-Euro-Ticket? Und was sind die normalen Ferieneinflüsse, bedingt vielleicht auch durch gutes Wetter?"

Vergleich der Städte untereinander ist schwierig

Münchnerinnen und Münchner mussten 2022 für zehn Kilometer im Schnitt eine Auto-Fahrzeit von 20 Minuten und 10 Sekunden einplanen. TomTom verortet München damit deutschlandweit auf Platz vier und weltweit auf Platz 63. Menschen in Nürnberg brauchten nur 17 Minuten und 40 Sekunden für diese Strecke und Augsburgerinnen und Augsburger sogar nur 12 Minuten und 30 Sekunden.

Der Vergleich zwischen Städten anhand der durchschnittlichen Fahrzeit ist allerdings nicht ganz sauber. Laut Lisa Kessler hat jede Stadt unterschiedliche Herausforderungen: generelles Verkehrsaufkommen, ältere Infrastruktur, mehr Baustellen, wie die Verkehrsströme geleitet werden. In München kämen natürlich viele dieser Faktoren zusammen, aber auch deshalb sei ein Vergleich mit einer kleineren Stadt wie etwa Augsburg schwierig.

Donnerstags in München: 27 Minuten für zehn Kilometer

Aussagekräftiger sind die stadtinternen Wochenmuster, die sich aus den Daten von Tom Tom ableiten lassen. Der verkehrsreichste Tag im Münchner Stadtzentrum ist Donnerstag. Im Schnitt brauchten Münchner und Münchnerinnen an diesem Tag um 17 Uhr für eine Strecke von zehn Kilometern 2022 fast 27 Minuten – mehr als an allen anderen Tagen der Woche zu allen anderen Uhrzeiten.

In dieser Grafik sehen Sie die durchschnittliche Fahrzeit, die in München, Nürnberg und Augsburg 2022 für eine Strecke von 10 Kilometern je Uhrzeit benötigt wurde. Durch das Klicken auf die Städtenamen können Sie sich die Ergebnisse für die jeweilige Stadt ansehen.

Homeoffice-Tage strategisch wählen

Laut Ralf-Peter Schäfer sieht man hier bereits, wie die neu ausgeweiteten Homeoffice-Zeiten den Verkehr prägen. "Wir haben festgestellt, dass die staureichste Stunde der Woche sich vom Vor-Corona-Niveau, wo wir Donnerstag und Freitagnachmittag die höchsten Staubelastungen gesehen haben, sich mehr und mehr in die Wochenmitte auf den Dienstag, Mittwoch und Donnerstag verlagert", so der Fachmann. "Das kann man sehr gut korrelieren mit der Möglichkeit, dass viele das Homeoffice nutzen."

Für Pendlerinnen und Pendler, die weniger im Stau stehen wollen, könnte es sich in Zukunft also lohnen, nicht Montag und Freitag als klassische Home-Office-Tage zu wählen, sondern lieber einen Tag in der Mitte der Woche. Nach Angaben von TomTom könnten in München durch Home-Office an einem Donnerstag jährlich 38 Stunden Fahrzeit gespart werden.

In Augsburg macht man sich weniger Sorge um die Rushhour

Zudem lohnt es sich, die Rushhour zu vermeiden. Wer sich in München statt morgens um acht Uhr erst um zehn auf den Weg ins Büro macht, spart sich auf einer Strecke von zehn Kilometern dienstags sogar fast fünf Minuten – über alle Werktage hinweg sogar knapp 18 Minuten.

Anders ist die Situation in Augsburg. Hier brauchen Pendlerinnen und Pendler selbst zur Hochzeit am Dienstag zwischen 16 Uhr und 17 Uhr für zehn Kilometer Strecke nur knapp 15 Minuten. Generell sind die Augsburger früher unterwegs. Eine Verlegung der Abfahrt am Morgen von sieben auf neun Uhr verkürzt die Fahrzeit lediglich um rund eineinhalb Minuten.

Über die Daten

TomTom analysierte den Verkehr in 27 deutschen Städten in zehn Bundesländern. Für die Auswertung der Auswirkungen des 9-Euro-Tickets wurden nach Angaben von Ralf-Peter Schäfer von TomTom 26 Städte untersucht.

Die Grundlage für den TomTom-Traffic-Index bilden anonymisierte GPS-Daten aus Navigationslösungen und Kartenanwendungen, die aus mobilen Navigationsgeräten, Apps, Festeinbauten und professionellen Telematik-Lösungen stammen. Erstmals hat TomTom in diesem Jahr als Basis für seine Beschreibungen eine für die jeweilige Stadt typische 10 Kilometer lange Fahrt gewählt. Der Anbieter unterscheidet dabei zwischen dem urbanen Stadtzentrum mit einem Umkreis von fünf Kilometern im Stadtinneren und dem größeren Stadtgebiet. Um die eingesparte Zeit für Pendlerinnen und Pendler zu berechnen, gehen Sie von einer Fünf-Tage-Woche mit 230 Arbeitstagen aus.

Für die Grafiken in diesem Artikel wurden verschiedene Kennwerte zur Verfügung gestellt. In den Zeitreihen (Fahrzeit pro Tag) wurden laut TomTom die (Stadt-)Autobahnen herausgerechnet. Die Fahrzeiten zu verschiedenen Uhrzeiten in den drei Städten stammen aus dem allgemeinen TomTom-Travel-Index und beinhalten die (Stadt-)Autobahnen. Um den Vergleich zwischen der Entwicklung der Benzinpreise und der Entwicklung der Fahrzeiten zu ermöglichen, wurde jeweils die prozentuale Abweichung zum jeweiligen Jahresdurchschnitt berechnet.

Die Daten zu den Preisänderungen aller in Deutschland aktiven und gemeldeten Tankstellen stellen von der Markttransparenzstelle des Bundeskartellamtes zugelassene Verbraucher-Informationsdienste bereit. BR24 bekommt daraus berechnete Mittelwerte für Bayern und Deutschland vom datenjournalistischen Team des SWR zur Verfügung gestellt.

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