Urs Gasser ist schon da. Der Rechtswissenschaftler, der ursprünglich aus der Schweiz stammt, arbeitete 20 Jahre in den USA. Ende 2021 wechselte er von der Harvard Law School an die Technische Universität München (TUM). Dort ist er jetzt Dekan der TUM School of Social Sciences and Technology. Die Auswirkungen der Machtübernahme von Donald Trump sieht er in seinem E-Mail-Postfach: "Ich habe zehn bis 15 ganz konkrete Anfragen bekommen. Interessanterweise auch Kolleginnen und Kollegen in Führungspositionen, die sich umschauen nach Möglichkeiten hier in Europa."
Doppelt so viele Bewerbungen aus USA für Forschungsaufenthalte
Zwar ist an der TUM bisher noch kein neuer Vertrag unterschrieben für einen vor Trump geflohenen Professor – schon allein, weil die Zeit seit dem US-Regierungswechsel noch nicht reichte, um ein Berufungsverfahren abzuschließen. Bei Programmen für Forschungsaufenthalte an der TUM hat sich die Zahl der Bewerbungen aus den USA aber fast verdoppelt. Das betrifft nach Angaben der Universität nicht nur Sozialwissenschaften, sondern so gut wie alle Fachrichtungen.
TU München wirbt um Weltspitze
Wie TUM-Präsident Thomas Hofmann bestätigt, schaut man sich derzeit in den USA intensiv um. Die Uni unterhält dazu bereits ein eigenes Verbindungsbüro in San Francisco. "Allerdings geht es uns nicht darum, möglichst viele Personen zu holen", betont Hofmann: "Wir konzentrieren uns auf die absolute Weltspitze in strategisch wichtigen Fachbereichen, die exzellent zur TUM passen würden."
Das bayerische Wissenschaftsministerium gab im zuständigen Ausschuss des Landtags einen Zwischenbericht ab zur "Gewinnung von Spitzenforschern aus den USA". Zahlen liegen bisher keine vor. Vor allem die größeren Universitäten in Bayern werben schon lange aktiv um internationales Spitzenpersonal, kleinere haben diese Möglichkeit laut Wissenschaftsministerium weniger. Der Freistaat selbst könne den Hochschulen diese Aufgabe nicht abnehmen, da die Personalauswahl und -gewinnung einen Kernbereich der Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit darstelle. Abwerbeversuche müssten im Übrigen generell diskret ablaufen, um die Beziehungen zu den US-Wissenschaftsinstitutionen nicht zu belasten.
Keine Vorzugsbehandlung oder Extra-Stellen für Amerikaner
Eine Vorzugsbehandlung für US-Bewerberinnen und -Bewerber bei Berufungen soll es jedenfalls nicht geben – darauf legen die bayerischen Hochschulen wert. Extra neue Stellen werden – Stand jetzt – auch nicht geschaffen, obwohl etwa die Grünen-Abgeordnete Verena Osgyan betont: "Wir brauchen Stellen, sonst wird das nicht wirklich zünden."
Die CSU warnt denn auch vor zu hohen Erwartungen in Sachen Spitzen-Wissenschaftler aus den USA. Ihr Abgeordneter Robert Brannekämper meint: "Wenn man eine Chance haben will, dann kann man nur Deutsche zurückgewinnen, die in die USA gegangen sind." Englischsprachige Wissenschaftler würden, falls sie das Land verlassen, nach Kanada oder England gehen, wo sie sich sprachlich nicht umstellen müssten. Freilich gibt es auch in Bayern zunehmend englischsprachige Studiengänge, darauf weist das Wissenschaftsministerium hin.
Bayern bietet Profs weniger Geld – aber mehr Freiheit
Bei den Professorengehältern kann der bayerische Staat nicht mit US-Spitzenunis mithalten. Dafür bieten unsere Hochschulen die Wissenschaftsfreiheit, die jetzt in den USA bedroht ist. "Das müssen wir deutlich machen, wir sind offen, wir sind das Gegenmodell", betont der Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses im Landtag, Michael Piazolo (FW).
Die Freiheit macht jetzt die Attraktivität von Europa aus, bestätigt TUM-Dekan Gasser. Die Wissenschaft lebe von einer Vielfalt von Meinungen, Ideen und Menschen: "Dafür stand die USA lange Zeit – ein ganz wesentlicher Grund, weshalb viele von uns in den USA gearbeitet haben. Wenn diese Vielfalt bedroht ist, dann verändert sich die Lage." Bayern sei als Wissenschaftsstandort durchaus mit den USA konkurrenzfähig. Er habe bei seinem Wechsel nach München zwar auf viel persönliches Einkommen verzichtet, dafür aber einen gut ausgestatteten Lehrstuhl bekommen.
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