Nach einer Trennung bleibt oft eine Frage offen: Wo kann ich schlafen, wenn ich mein Kind besuchen will? Gerade rund um Weihnachten wird daraus für viele getrennt lebende Mütter und Väter eine emotionale und finanzielle Herausforderung. Das Projekt "Kindwärts" vermittelt dafür bundesweit kostenfreie Übernachtungen in der Nähe der Kinder.
Scheidungen in Bayern und der Druck auf Familien
Im vergangenen Jahr wurden in Bayern 20.264 Ehen geschieden, so die Zahlen des Bayerischen Landesamt für Statistik. Das sind 2,7 Prozent mehr als im Jahr davor. Deutschlandweit erleben jedes Jahr über 130.000 Kinder die Trennung ihrer Eltern. Für viele Familien beginnt danach ein Alltag mit langen Wegen, knappen Budgets und schwierigen Absprachen.
Miguel, der in München als Controller arbeitet, kennt das. Sein achtjähriger Sohn lebt nach der Trennung bei der Mutter, zweieinhalb Stunden Autofahrt entfernt. Miguel fährt trotzdem jeden Samstag. Übernachten kann er seit einiger Zeit bei einer Gastfamilie in der Nähe.
"Diese regelmäßige Zeit gemeinsam mit ihm ist unersetzlich"
Miguel sagt, die Unterkunft sei für ihn mehr als ein Bett. "Ich bin sehr dankbar, dass ich bei der Gastfamilie schlafen kann, da es in der Nähe meines Sohnes ist. Ich liebe meinen Sohn sehr, und genieße jede Minute mit ihm. Diese regelmäßige Zeit gemeinsam mit ihm ist für uns beide unersetzlich."
Das Projekt dahinter heißt "Kindwärts" und gehört zum Hamburger Sozialunternehmen Wellcome. Die Idee: Gastgeber stellen getrennt lebenden Eltern ein Zimmer zur Verfügung, damit Kinder und Eltern ihre Bindung auch nach der Trennung halten können. Feste Übernachtungsorte sollen ein verlässlicher Anker sein.
Kindwärts-Netzwerk: Stabilität für Kinder, Entlastung für Eltern
Geschäftsführerin Elisabeth von Campenhausen beschreibt, warum ein wiederkehrender Ort helfen kann. "Dass Kinder wissen, wenn ich meinen Papa treffe, dann treffe ich den immer bei Martin und Annika. Und dann hat das Kind eine ganz große Vertrauensbasis, dass es nicht jedes Mal sich wieder ganz neu orientieren muss."
Laut Wellcome nutzen 92 Prozent der Anfragenden das Angebot als Väter, weil Kinder nach einer Trennung oft bei der Mutter bleiben. Für die Eltern geht es dabei auch um bezahlbare Lösungen. Die Übernachtung ist kostenlos, die Gäste zahlen laut Wellcome 15 Euro pro Monat für Verwaltung und Begleitangebote wie Coaching und Beratung.
Gastgeberin in München: "Mir hat es leidgetan"
In München macht Barbara Baum seit elf Jahren mit und stellt ein Gästezimmer mit Bad sowie Küchenmitbenutzung zur Verfügung. Sie erinnert sich an einen Vater, der regelmäßig aus der Nähe von Freiburg kam und sich jedes Treffen mit seinen Kindern mühsam organisierte. "Aber er ist wirklich ein treusorgender Vater und mir hat es leidgetan, dass er nur so selten mit seinen Töchtern zusammen sein konnte."
Ob er an Weihnachten kommt, weiß Baum oft erst kurzfristig. Das hänge davon ab, wie der Kontakt mit der Mutter möglich ist. "Ich habe halt auch gewisses Mitleid mit den getrennten Familien, dass die sich nicht mehr zusammenraufen und die Kinder ja diejenigen sind, die darunter leiden."
Mehr Mobilität, mehr Bedarf an Gastgebern
Wellcome verweist auf gesellschaftliche Veränderungen. Von Campenhausen sagt: "Wir sind auch eine mobilere Gesellschaft geworden. Dass die Zahlen zunehmen, wo nicht beide Elternteile am Ort bleiben." Gründe seien Jobs, neue Partnerschaften und häufige Umzüge.
Das Netzwerk erreicht nach eigenen Angaben derzeit rund 340 Eltern pro Jahr bundesweit. Wellcome sucht deshalb weitere Gastgeber, auch in Bayern. Ziel bleibt, dass Kinder trotz Trennung mit beiden Eltern verbunden bleiben, selbst wenn hunderte Kilometer dazwischenliegen.
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