Vor rund 15 Millionen Jahren schlug der Asteroid im Ries ein.
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Vor rund 15 Millionen Jahren schlug der Asteroid im Ries ein.

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Wie ein Asteroid das Nördlinger Ries schuf

Wie ein Asteroid das Nördlinger Ries schuf

Vor rund 15 Millionen Jahren hat er das Leben in einem Umkreis von Hunderten Kilometern ausgelöscht: Der Asteroid, der ins Nördlinger Ries stürzte. Noch heute prägt er die Landschaft – und lockt Astronauten in den ersten Unesco-Geopark Bayerns.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Geologe Jürgen Lang läuft auf eine große Felswand zu. Im schon lange verlassenen Steinbruch Altenbürg will er zeigen, welche Verwüstung der Einschlag des Asteroiden im Nördlinger Ries vor rund 15 Millionen Jahren verursacht hat. "Der Asteroid hat circa eineinhalb Kilometer Durchmesser gehabt und ist mit circa 70.000 km/h auf die Erde geschossen. Also da hat man keine Chance gehabt, wegzulaufen oder so, das kam wirklich wie aus dem Nichts und hat im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern das ganze Leben ausgelöscht!", sagt Jürgen Lang.

Asteroideneinschlag hat Gestein geformt

Um dem Laien zu erklären, was diese unvorstellbaren Kräfte mit der Geologie im nördlichen Schwaben gemacht haben, legt Jürgen Lang zum Vergleich drei Steine nebeneinander. Links ein Kalkgestein: einfarbig, grau, gleichmäßig – findet sich so überall auf der Erde. Rechts ein Granit: Auch ein Allerwelts-Gestein, auch hier ein gleichmäßiges, "homogenes" Aussehen, wie der Geologe sagt. Helle und dunkle kleine Punkte im Wechsel – die Mineralien Quarz und Glimmer. Und in der Mitte: das zu Gestein erstarrte Chaos des Asteroideneinschlags.

Ein Gestein wie ein Marmorkuchen

Das durch den Einschlag entstandene Gestein hat im Nördlinger Ries sogar seinen Namen bekommen: Suevit. Auf Deutsch: Schwabenstein. Weltweit ist dieses Gestein extrem selten. Es entsteht in den Sekunden und Minuten nach dem Einschlag. Die durch den Einschlag in die Luft geschossenen, Hunderte Grad heißen Gesteine der Erdoberfläche werden in einer mächtigen Glutwolke zu einem neuen Gestein regelrecht gebacken, regnen nieder und erkalten.

Zufällig sieht das Stück, dass der Geologe zeigt, auch ein bisschen aus wie ein frisch angeschnittener Marmorkuchen: Hell mit dunklen Flecken, "Flädle" nennt der Geologe sie. Der Vergleich mit den anderen beiden Steinen zeigt: Der Suevit hat kein gleichmäßiges Muster, die Unordnung ist sein Merkmal.

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"Homogener" Granit rechts im Vergleich mit dem "chaotischen" Suevit (links), der durch den Asteroideneinschlag entstanden ist.

Kreisrunder Krater bei Google Maps sichtbar

Dass Nördlingen, Oettingen und einige andere Gemeinden in einem Krater mit 25 Kilometern Durchmesser liegen, lässt sich heute noch gut erkennen. Die einfache Variante: Google Maps. Wer sich in dem Online-Kartendienst das Gebiet als Satellitenbild ansieht, erkennt, dass Nördlingen, Oettingen und das Ries zusammen mehr oder weniger kreisrund von Wald umgeben sind – das ist der Rand des Kraters. Felsiger Untergrund, karger Boden, hier hat sich stets nur die Waldbewirtschaftung gelohnt. Innerhalb des Kreises jedoch: Feld an Feld und kaum Wald. In der relativ flachen Ebene im Krater gibt es mit die fruchtbarsten Böden Bayerns. Seit Jahrhunderten wird hier intensiv Ackerbau betrieben.

Asteroid reißt viereinhalb Kilometer tiefes Loch

Die zweite Variante, den Krater zu erfassen: hinfahren. Rund ums Ries gibt es zahlreiche Aussichtspunkte, zum Beispiel in Ehingen, Mönchsdeggingen oder Kirchheim. Dort steht man auf dem Kraterrand. Bei guter Sicht blickt man mehr als 20 Kilometer weit über das gesamte Ries. Links und rechts zieht sich der Kraterrand in Form von bewaldeten Hügeln den Horizont entlang. So bekommt man zumindest einen Eindruck.

Denn was in der Sekunde des Asteroideneinschlags passiert ist, ist schier unvorstellbar: Der eineinhalb Kilometer große Gesteinsbrocken aus dem Weltall reißt ein viereinhalb Kilometer tiefes Loch in die Erde. Dann rutschen kilometergroße Gesteinsschollen vom Rand des Kraters in das Loch nach. Innerhalb von Minuten formt sich das Nördlinger Ries: Ein 25 Kilometer großer, runder Meteoritenkrater, immer noch 500 Meter tief. Heute, Millionen Jahre später, ist das Ries immer noch rund 100 bis 150 Meter eingetieft.

Wacholderbeeren aus dem Ries für die Gin-Produktion

Und bis heute beeinflusst der Asteroideneinschlag das Leben der Menschen im Ries. Ein besonders gutes Beispiel ist die Familie Scheible aus Alerheim. Michaela Scheible steht auf einer Wacholderheide mit kilometerweitem Blick in den Krater. Die oft steilen Heideflächen sind typisch für den Rand des Meteoritenkraters. Auch hier ist der Boden karg und felsig – gerade noch gut genug für die Beweidung mit Schafen. Heute sind die Magerrasen streng geschützt und Heimat vieler seltener Gräser und Blumen.

Michaela Scheibles Aufmerksamkeit gilt aber den stacheligen Wacholdersträuchern. "Das sieht super aus dieses Jahr!", sagt sie. Viele grüne Beeren hängen an dem Strauch, die im September reif sind und geerntet werden. Die Scheibles haben dafür eine Genehmigung von der Unteren Naturschutzbehörde. Aus den Beeren stellen die Scheibles Gin her.

Im Untergrund der Heidefläche liegt Suevit, der Schwabenstein. Und deshalb schwört Michaela Scheible auch genau auf diese Wacholderbeeren: "Weil die Wacholderbeeren hier sehr geschmacksintensiv sind! Wir haben das mit französischen und italienischen Beeren getestet, die ja die meisten für den Gin hernehmen, aber wir haben dann festgestellt, dass diese hier vom Geschmack her nochmal viel mehr Power haben und viel mehr Kraft!"

Gin räumt viele Preise ab

Aus dem kupfernen Brennkessel bei den Scheibles in Alerheim plätschert eine klare Flüssigkeit. Karl-Friedrich Scheible nippt daran. "Gut!", sagt er mit einem Lächeln. "Man schmeckt das Ries, man schmeckt den Kraterrand und man schmeckt letztendlich die geologische Besonderheit des Rieses!", sagt der Gin-Produzent. Der Gin aus dem Meteoritenkrater hat weltweit schon zahlreiche Preise abgeräumt. Das hochprozentige Getränk zeigt, wie die durch den Meteoriteneinschlag entstandene Landschaft noch heute Auswirkungen auf die Menschen und ihre Arbeit hat.

Nördlinger Kirche hilft, Rätsel um Krater zu lösen

Zurück bei Geologe Jürgen Lang. Der steht mitten in Nördlingen vor der Kirche St. Georg mit ihrem fast hundert Meter hohem Kirchturm, auch "Daniel" genannt. Der Kirchturm ist das Wahrzeichen des Nördlinger Ries und oft schon aus vielen Kilometern Entfernung zu sehen. Doch den Geologen interessiert nicht die gotische Architektur der Kirche, sondern die Steine, aus denen sie gebaut wurde: Es ist Suevit, der Schwabenstein. Und genau hier wurde vor erst 60 Jahren die Entdeckung gemacht, dass das Ries ein Meteoritenkrater sein könnte.

Amerikanischer Geologe als Entdecker des Einschlagskraters

Denn bis in die 1960er Jahre glaubte man, der Krater sei ein uraltes Überbleibsel eines Vulkans. Bis der amerikanische Geologe Eugene Shoemaker in Deutschland Urlaub machte und auch durchs Ries fuhr, erklärt Geologe Jürgen Lang: "Wenn die Erzählungen stimmen, war er mit seiner Frau unterwegs, stand vor der Kirche und stellte fest, dass die Kirche nicht aus vulkanischem Gestein gebaut wurde, sondern dass es sich um ein Impaktgestein handeln könnte". Genauere Untersuchungen des Gesteins im Labor bestätigten dann die These und es war klar: Das Nördlinger Ries ist ein Meteoritenkrater.

Astronauten-Training im Ries

Das Ries gilt noch dazu als einer der am besten erhaltenen Meteoritenkrater der Welt. Bis heute ist der Krater auch für die Weltraumforschung interessant. Astronautinnen und Astronauten von der NASA und der ESA sind regelmäßig im Ries. Legendär sind jedoch die Astronauten der Apollo-14-Mission, die in den 1970er Jahren mehrere Tage im Ries zu Besuch waren. Sie trainierten in den Steinbrüchen ihren Einsatz auf dem Mond.

Gesteine auf dem Mond und im Ries ähneln sich

Denn die Mondoberfläche ist übersät mit Einschlagskratern. Damals gab es aber noch keinen wissenschaftlichen Beweis, dass die Krater tatsächlich von Meteoriten stammten, sagt Geologe Jürgen Lang. Die Astronauten lernten deshalb im Ries, wie sie das Einschlagsgestein Suevit erkennen können.

Auf dem Mond fanden sie dann tatsächlich ähnliches Gestein, eine Art Mond-Suevit. Ein kleines Stück davon hat die NASA später dem Nördlinger Rieskratermuseum zur Verfügung gestellt. Dort können die Besucherinnen und Besucher also echtes Mondgestein anschauen – und draußen vor der Tür einen der beeindruckendsten Asteroidenkrater der Welt erkunden.

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