Die Innenstadt von Sonthofen füllt sich. Gleich rumpeln hier mehr als einhundert Klausen durch die Fußgängerzone. Ihr Ziel: Geister vertreiben und mit Ruten Schaulustige versohlen. Manche legen es regelrecht darauf an, bei dem Brauch rund um den Nikolaustag ein paar Hiebe abzubekommen. Andere verstecken sich lieber in der zweiten Reihe. Auch, weil sie sich an recht schmerzhafte Schläge in ihrer Jugend erinnern. Und dann knallt es plötzlich, und es wird laut. Unter dem Geläut von Kuhschellen schieben sich die Klausen durch die Gassen, vorbei an unzähligen Menschen.
Allgäuer Kulturgut – für jung und alt
Während die Halbstarken die Unholde provozieren, genießen andere die Show. Durch das zottelige Fell und die Hörner wirken die Gestalten wie Tiere aus der Urzeit und ziemlich furchteinflößend. Und das sollen sie ja auch, denn nur so können die bösen Wintergeister vertrieben werden.
Auch wenn nicht geklärt ist, wann genau dieser Brauch entstanden ist – für viele gehört er zum Allgäu. Eine Zuschauerin ist begeistert: "Das ist für mich der Winteranfang, oder der Winter überhaupt. Und das Wilde, das finde ich ganz toll. Das gibt’s ja heute normalerweise gar nicht mehr. Es ist ja alles verboten, was nicht konform ist und geschliffen und vermarktet werden kann, und das ist eigentlich noch richtig wild. Richtig Allgäuerisch." Eine andere Zuschauerin räumt ein, es habe eine Zeit gegeben, in der man es mit der Wildheit übertrieben habe. Doch jetzt habe man es wieder eingedämmt: "Und jetzt ist es absolut in Ordnung. Es ist ein Kulturgut, alleine das Zusammenkommen."
Und tatsächlich sind hier alle dabei – von Babys in der Trage bis Uromas am Rollator. Und damit sich auch jeder wohlfühlt, sorgen dutzende Ordner für Sicherheit, genauso wie etliche Polizisten und Sanitäter.
Heimatpfleger: Brauch ist steter Aushandlungsprozess
Seit dem ARD-Bericht über Gewaltausbrüche im Rahmen eines ähnlichen Winterbrauchs auf Borkum, dem "Klaasohm", stellt sich die Frage: Wie viel Wildheit darf sein, wo liegt die Grenze zwischen Tradition und Exzess? Auf Borkum regt sich Widerstand gegen den Nikolausbrauch, der laut den ARD-Recherchen mitunter ausartete: Insulanerinnen berichteten von Hämatomen und von Beschämung.
Mit Blick auf das Allgäuer Klausentreiben bleibt Bezirksheimatpfleger Christoph Lang im BR-Interview gelassen. "Alle Jahre oder Jahrzehnte gibt es Berichte, dass irgendwo zu viel Gewalt im Spiel war." Während es in den 1980er Jahren noch fast ein "Volkssport" gewesen sei, derb "draufzuhauen", sei man diesbezüglich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich sensibler geworden. Heute hätten es Zuschauer beim Klausentreiben selbst in der Hand, wie nah sie dem Geschehen kommen wollen und hätten die Möglichkeit, Abstand zu halten. Es habe sich ein Rahmen eingependelt, in dem sich alle wohlfühlen könnten – "aber nach vielen Diskussionen, die hat es schon auch gebraucht – das macht einen lebendigen Brauch aus, es ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess", so Lang.
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