Jeden Donnerstag verändert sich die Kaiser-Wilhelm-Straße im oberbayerischen Starnberg: Vorbei an Gründerzeit-Villen und Edelkarossen ziehen Menschen ihren Einkaufstrolley, bepackt mit Rucksack und Tüten. Ihr Ziel: die Lebensmittel-Ausgabe der Starnberger Tafel im Hof der evangelischen Kirchengemeinde.
Unter ihnen ist auch Tanja Thomas. Die 47-Jährige ist nach zwei Gehirntumoren arbeitsunfähig, auch ihr Mann ist pflegebedürftig, sie leben von einer kleinen Rente und Sozialhilfe. Mit diesem Nachweis darf Tanja Thomas Essen an der Tafel holen, das in Körben auf Bierbänken ausliegt: Kartoffeln, Jogurt, Obst, Brot, Wurst, Käse, eben was die Supermärkte am Morgen abgegeben haben. Dass die Waren überhaupt da sind und nur Verzehrbares ausliegt, dafür sorgen etwa 40 Ehrenamtliche. Im Schnitt versorgt die Tafel Starnberg jede Woche etwa 170 Familien.
Es fehlt an Obst und Brot
"Bei den Bananen wäre heute die doppelte Menge gut, beim Brot ein Drittel mehr", stellt Erika Ardelt, Vorsitzende der Starnberger Tafel, fest. Auch gebe es zu wenig Äpfel. "Da könnten wir zwei, drei Kisten mehr gebrauchen." Wo früher unter den Bänken weitere Lebensmittel gelagert wurden, herrscht heute Leere.
Der Bedarf an kostenlosem Essen wird größer, die Spenden immer weniger. Ein Phänomen, das neuerdings bundesweit zu sehen ist, so der Bundesverband der Tafeln. Die Gründe: Zum einen kaufen die Märkte gezielter ein, die Überproduktion ist geringer, es wird weniger Ware kostenlos abgegeben. Zum anderen haben Spender viel Bürokratie zu bewältigen, damit die Kühlkette bei den Lebensmitteln garantiert bleibt.
"Viele Märkte sind gezwungen, eine Auflistung zu machen, was sie uns abgeben", sagt Erika Ardelt, "wenn etwas kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum ist, müssen sie es dokumentieren. Da sagt natürlich jeder Filialleiter: So viele Angestellte hab ich nicht, wer soll das tun? Und dann bekommen wir die Waren nicht." Und das, obwohl die Starnberger Tafel sogar einen eigenen Kühlwagen hat und selbst die Kühlkette aufrechterhalten könnte.
Hier sucht Erika Ardelt mit ihrem Team und den Märkten nach regionalen Lösungen. Außerdem helfen auch Vereine und Privatpersonen, mit zweckgebundenen Spenden die Tafel aufrechtzuerhalten. So konnten zum Beispiel die zwei Transportwägen angeschafft werden.
Reiches Starnberg: Für Bürgermeister Janik ein Klischee
Manche der Besucher bei der Starnberger Tafel waren einst selbst wohlhabend. So Evelyn Eichinger. Früher war sie eine Unternehmerin und wohnte im Münchner Nobelviertel Grünwald, bis ihr Sohn verstarb. Plötzlich stürzte sie ab. Bei der Tafel sind ihr kleine Aufmerksamkeiten wichtiger als das Essen, erzählt sie. "Frau Seiler hat mir eine kleine Parfum-Probe gebracht, die habe ich heute aufgesprüht. Es heißt Libre, Freiheit, und das brauchen wir alle. Freiheit und Gesundheit."
Wie wichtig die ehrenamtliche Arbeit der Tafel für die Gemeinde ist, weiß CSU-Bürgermeister Patrick Janik. Dass in Starnberg nur Superreiche leben, das sei ein reines Klischee. Auch hier fehlten Sozialwohnungen, bezahlbarer Wohnraum, wie fast überall in Bayern. Die Gemeinde helfe der Tafel daher so gut es geht.
"Nachdem die Tafel noch weitgehend eine Open-Air-Veranstaltung ist, wollen wir dafür sorgen, dass sie wieder ein festes Dach über dem Kopf bekommt. Hier arbeiten wir eng mit der evangelischen Kirche zusammen", sagt Janik.
Nach drei Stunden Ausgabe leeren sich die Tische der Starnberger Tafel. Etwa 450 Gäste konnten versorgt werden, obwohl weniger Waren zur Verfügung standen. "Wir schaffen das irgendwie immer, das ist ein Wunder", findet Helferin Christina Bolz. Zu Weihnachten wird es noch eine Feier mit Musik und Geschenktüten geben, mit Kaffee und Pralinen. Dafür hat der Verein bereits von einem privaten Spender Geld zugesagt bekommen.
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