Cem Özdemir (Bündnis90/Grüne), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, auf dem Deutschen Bauerntag 2023.
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Cem Özdemir (Bündnis90/Grüne), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, auf dem Deutschen Bauerntag 2023.

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Agrarpolitik: Cem Özdemir und die Bauern

Agrarpolitik: Cem Özdemir und die Bauern

Seit den Bauernprotesten steht Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir im Fokus wie nie zuvor. Sein Motto: kommunizieren statt konfrontieren. Aber wie gut kommt das an?

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Im Zuge der Bauernproteste und der Diskussion um den Agrardiesel steht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir in der Kritik. Seine Taktik: reden. Oder wie er es gern auf schwäbisch formuliert: schwätzen. Damit bleibt er seiner Politiklinie der vergangenen zwei Jahren treu. Geht diese Taktik auf?

Landwirtschaftsminister in der Bundesregierung zu schwach?

Schnell hat sich der Minister im Dezember hinter die Landwirte gestellt, als bekannt wurde, dass die Ampelregierung sowohl die Unterstützung beim Agrardiesel streichen will als auch die Befreiung von der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Maschinen. "Wir überfordern sie gerade", sagte Özdemir damals.

Gleichzeitig gab es Stirnrunzeln unter Beobachtern der Agrarpolitik, dass der Minister im Vorfeld so gar nicht in die für sein Ressort weitreichende Entscheidung der Ampel-Dreierrunde Scholz, Habeck und Lindner eingebunden gewesen sein soll. Für Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbands, zeigt das, "wie schwach die Position des Bundeslandwirtschaftsministers innerhalb des Kabinetts ist", sagt Felßner gegenüber BR24.

Özdemir kassiert Buhrufe auf Bauerndemos

Die letzten Wochen dürften für Cem Özdemir wohl die intensivsten und schwierigsten seiner Ministerzeit gewesen sein. Der Politiker versuchte, in die Offensive zu gehen: Auftritte im Fernsehen, Zeitungsinterviews und Besuche auf den Bauerndemos. Buhrufe erwarteten ihn auf den Demos – zum Beispiel in Berlin Mitte Dezember, im schwäbischen Ellwangen im Januar. Den nach Silvester gefundenen Kompromiss der Ampel – die Kfz-Steuerbefreiung bleibt, die Agrardiesel-Unterstützung fällt schrittweise weg – verteidigte der Grünen-Politiker und betonte, er habe sich mit seinem ganzen Gewicht als Minister dafür eingesetzt.

Den Landwirten reicht das nicht, sie fordern die komplette Rücknahme der Streichungen. Von den Umweltschützern hingegen erntet Özdemir die Kritik, eingeknickt zu sein. Özdemir drehe seinen Fähnchen im Wind, sagt Martin Hofstetter von Greenpeace im BR24-Interview. Wie auch schon bei anderen Streitpunkten in seiner Amtszeit scheue Özdemir den Konflikt. "Er hat da keinen Arsch in der Hose", sagt Hofstetter.

Özdemirs Motto: Mit den Leuten reden

Insgesamt hat Özdemir als erster Landwirtschaftsminister von den Grünen nach Renate Künast, die nach wie vor bei nicht wenigen Bauern eine Reizfigur ist, ein anspruchsvolles Erbe angetreten. Özdemir weiß, dass viele Bauern einem Grünen als Landwirtschaftsminister erstmal kritisch gegenüberstehen, und hat seit Amtsbeginn stark auf sein Motto "Schwätze muss man mit d’ Leut" gesetzt – und tut das in Gesprächen dann auch oft in seinem schwäbischen Dialekt.

Özdemir sieht seine Aufgabe als Vermittler, will viel zuhören. Im Interview mit dem NDR sagte er, er sei Landwirtschaftsminister von allen, nicht der großen oder kleinen Höfe, nicht von konventionell oder Bio.

Eine Milliarde Euro für mehr Tierwohl in Schweineställen

Immer wieder betont der Landwirtschaftsminister, dass er bereits mehr erreicht habe als seine Vorgänger, zum Beispiel Julia Klöckner von der CDU. Die Bundesregierung hat ein verpflichtendes Tierwohllabel eingeführt. Erstmal nur für Schweinefleisch, es soll dann ausgeweitet werden. Klöckner war mit ihrem Vorstoß eines freiwilligen Labels gescheitert. Auch stellt die Ampelregierung eine Milliarde Euro für den tiergerechten Umbau von Schweineställen zur Verfügung – und damit mehr Geld als die Vorgängerregierung, sagt Özdemir.

Für den bayerischen Bauernpräsidenten Felßner ist das zu wenig. Beim Umbau der Tierhaltung seien vier Milliarden Euro im Jahr nötig. Das Tierhaltungslabel bleibe weit hinter dem zurück, was Landwirte und Verbraucher brauchen. Zum Beispiel gilt es bisher nicht in der Gastronomie.

Was bringt ein grüner Landwirtschaftsminister noch voran?

Viele andere Baustellen in der Agrarpolitik sind weiter offen. Mehrere Gesetze wie ein reformiertes Tierschutzgesetz, ein Waldgesetz oder ein Werbeverbot für Ungesundes kommen kaum voran. Unter anderem wegen Meinungsverschiedenheiten mit der FDP. Auch die übergeordnete Frage, wie die Politik die Landwirtschaft für die Zukunft aufstellen will, ist unbeantwortet. Die Vorschläge einer Kommission zum Thema hatte die Ampel in den vergangenen zwei Jahren kaum aufgegriffen. Erst im Zuge der Bauernproteste verweisen Ampelvertreter jetzt vermehrt auf diese Kommission.

Viele Bauern fühlen sich nicht hinreichend unterstützt, sagt Günther Felßner. Auch nach mehr als zwei Jahren Amtszeit verstehe Özdemir "manchmal nicht, wie die Branche tickt und wo die echten Probleme und Herausforderungen liegen". Aber auch Umweltschützer sind enttäuscht. Özdemir fehle "der klare Kompass, wo will er mit dieser Landwirtschaft hin", sagt Hofstetter von Greenpeace.

Die Hoffnung vieler Naturschützer, dass mit einem Landwirtschaftsminister und einer Umweltministerin von den Grünen in dieser Legislatur deutlich mehr Umwelt- und Tierschutz kommt, hat sich bisher kaum erfüllt.

Im Audio: Özdemir und der Tierwohlcent

Özdemir und der Tierwohlcent
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Özdemir und der Tierwohlcent

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