Die humanitäre Lage im Gaza-Streifen spitzt sich zu: Ein Viertel der Bevölkerung steht laut UN-Welternährungsprogramm kurz vor dem Verhungern. Nach monatelangen Blockaden lies Israel zwar einige LKWs mit Hilfsmittellieferungen die Grenze passieren – UN-Generalsekretär Antonió Guterres sprach dabei aber von "einem Teelöffel Hilfe, wenn eine Flut an Unterstützung" benötigt wird.
Dass die palästinensische Bevölkerung überhaupt wieder Lieferungen bekomme, das sei vor allem auf den Druck aus den USA zurückzuführen, sagte der Bundestagsabgeordnete der Linken, Dietmar Bartsch, am Sonntags-Stammtisch im BR Fernsehen. Deshalb schlussfolgerte er: "Den internationalen Druck zu erhöhen, das scheint mir doch sinnvoll zu sein." Und schloss dabei explizit auch die deutsche Bundesregierung ein.
Bartsch: "Wer unterstützt Netanjahu noch?"
Nur wenn die israelische Regierung von Ministerpräsident Netanjahu mit seinen rechtsextremen Koalitionspartnern ein Stopp-Zeichen bekomme, könne sich die Lage im Gazastreifen ändern: "Im Moment muss man fragen: Wer unterstützt Netanjahu noch? Das ist Trump, das ist Milei in Argentinien, das ist Orban in Ungarn. Da würde ich zumindest mal skeptisch werden."
Im Video: Dietmar Bartsch im BR-"Sonntags-Stammtisch"
Bartsch fordert im Sonntags-Stammtisch zu mehr internationalen Druck auf Netanjahu und seine Verbündeten auf.
Bartsch verwies in der Debatte am Stammtisch auch auf die besondere Verantwortung Deutschlands und warb für mehr Differenzierung: "Wir sind die Verantwortlichen der Shoah, deshalb ist das ein Teil unserer Geschichte. Wir haben diese besondere Verantwortung, trotzdem finde ich gerade deshalb, dass wir keine unterschiedlichen Maßstäbe haben dürfen."
Ehemalige Israel-Korrespondentin: Naher Osten ordnet sich neu
Wie kompliziert die politische Lage in und um Israel ist, darauf machte die langjährige Israel-Korrespondentin der ARD, Susanne Glass, aufmerksam. Sie hält noch immer engen Kontakt zu den Menschen vor Ort, einer ihrer ehemaligen Mitarbeiter aus dem Gazastreifen habe zum Beispiel inzwischen zwölf bis dreizehn Familienmitglieder verloren, erzählte sie: "Die Gefühle überwältigen einen schlicht in der Thematik."
Gleichzeitig sei die israelische Gesellschaft (nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, Anm. d. Red.) traumatisiert, und wie intensiv diese Traumata sind, werde erst in Jahren sichtbar sein. Und um Israel herum "ordnet sich der ganze Nahe Osten neu. Der Iran wurde geschwächt. Im Libanon ist die Hisbollah vorerst mal geschwächt".
Im Video: Susanne Glass, ehemalige Israel-Korrespondentin der ARD, zur Lage im Nahen Osten
Die ehemalige Israel-Korrespondentin der ARD, Susanne Glas, ordnet die politische Gesamt-Lage im Nahen Osten ein.
Wie positioniert man sich in der Debatte über Israel und Gaza? Diese Frage beschäftigte nicht nur alle am "Sonntags-Stammtisch", sondern vor allem die Partei Die Linke in letzter Zeit. Das Thema, so schätzen es Beobachter ein, habe Potenzial die Partei zu spalten.
Bartsch kritisiert Linken Antisemitismus-Beschluss
Beim Parteitag in Chemnitz vor zwei Wochen gab es heftige Debatten, die dann darin endeten, dass die Delegierten einem Antrag zum Thema Definition von Antisemitismus mit knapper Mehrheit beschlossen – gegen den Willen von prominenten Linkspolitikern wie Bodo Ramelow oder Jan van Aken. Und auch gegen den Willen von Dietmar Bartsch, wie er am Sonntags-Stammtisch klar machte: Er sei vor allem nicht glücklich darüber gewesen, dass man eine solche Entscheidung auf einem Parteitag am Nachmittag treffe.
Der ehemalige Co-Vorsitzende Dietmar Bartsch ist nicht glücklich mit dem Linken Parteibeschluss zur Definition von Antisemitismus.
Im Video: Bartsch zur Antisemitismus-Definition der Linken
Bartsch warb immer wieder um Sensibilität in der Debatte um mögliche Lösungen für den Gazastreifen. Politikwissenschaftlerin Ursula Münch wies dabei vor allem auf den Antisemitismus in der Diskussion hin. Die Politik der israelischen Regierung werde genutzt, "um antijüdische Stimmung zu begründen".
Autorin Glass: Lesungen nur mit Polizeischutz
Wie ausgeprägt das Antisemitismus-Problem auch in Deutschland inzwischen ist, zeigt das Beispiel von Journalistin und Buchautorin Susanne Glass hautnah: Ihre jüdische Mitautorin und sie können keine Lesung ohne Polizei-Präsenz mehr machen: "Weil sie Morddrohungen erhält, nur weil sie Jüdin ist. Und das tut mir so weh, da könnte ich weinen."
Der ehemalige Co-Vorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, fand dazu klare Worte: "Jede Moschee, jede Jüdin, jeder Jude muss in Berlin faktisch bewacht werden. Das ist eine ganz schlimme Situation. Dort müssen wir viel mehr machen, vor allem bei den Heranwachsenden."
Im Video: Glass zu Erfahrungen mit Antisemitismus
Journalistin und Autorin Susanne Glass berichtet über Morddrohungen und Polizeischutz für ihre jüdische Mit-Autorin.
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