LINZ - ÖSTERREICH: Gedenkveranstaltung der Initiative #YesWeCare für die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr am Montag, 01. August 2022, in Linz. Der Tod von Lisa-Maria Kellermayr, die zuletzt wegen Morddrohungen aus der Impfgegner-Szene ihre Praxis geschlossen hat, hat tiefe Betroffenheit ausgelöst.
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Der Suizid der im Kampf gegen Corona engagierten Ärztin Lisa-Maria Kellermayr war ein Schock. Nun endete ein erster Prozess um den Fall.

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Suizid einer Impf-Ärztin: Freispruch für "Hater" aus Bayern

Suizid einer Impf-Ärztin: Freispruch für "Hater" aus Bayern

Der Angeklagte aus Starnberg hatte nachweislich gegen die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr gehetzt. Doch eine Mitverantwortung für den Suizid der Corona-Impfbefürworterin hielt das Gericht in Wels nicht für nachweisbar.

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Freispruch für den angeklagten, inzwischen 61-jährigen Deutschen aus Starnberg: ein Corona-Impfgegner, der nachweisbar mitgehetzt hatte, per Mail, auf Social Media – gegen Lisa-Maria Kellermayr, die Ärztin aus dem beschaulichen Seewalchen am Attersee, die sich öffentlich, engagiert und unnachgiebig für die Corona-Impfung eingesetzt hatte. Auch für die Impfpflicht in Österreich, die damals auch in Deutschland diskutiert wurde.

Der Grund für den Freispruch vor dem Schöffengericht in Wels: Es konnte nicht ohne Zweifel nachgewiesen werden, dass die Drohungen des Angeklagten "kausal" zum Suizid der österreichischen Ärztin beigetragen haben.

Freispruch – aber nur für die Todesfolge

"Gefährliche Drohung mit Todesfolge", das war die Anklage der Staatsanwaltschaft in Wels, zehn Jahre Haft wäre die Maximalstrafe gewesen. Verhandelt wurde in Österreich aber ausschließlich die "Todesfolge", für die "gefährliche Drohung" im Netz seien die bayerischen Richter zuständig, deshalb dafür kein Schuldspruch und damit auch kein Freispruch wegen der Hass-Mails. Nur die erklärte Nicht-Zuständigkeit der österreichischen Richterin für am PC in Bayern begangene mögliche Straftaten. Die Generalstaatsanwaltschaft München hatte deswegen bereits ermittelt, das Verfahren wegen des Strafprozesses in Wels eingestellt, allerdings nur vorübergehend.

"Eine Niederlage für Opfer von Hass im Netz"

Martin Feigl, der österreichische Strafverteidiger des Angeklagten, zeigt sich zufrieden. Er hatte auf Freispruch plädiert und ergänzt: "Ich war schon über die Anklage überrascht." Ingrid Brodnig, österreichische Netz-Expertin, sieht in dem Urteil "eine Niederlage für Opfer von Hass im Netz im Allgemeinen". Nicht nur für sie war dieser Prozess eine Art Musterprozess, über den Umgang mit Opfern von Hass im Netz.

Über die strafrechtliche Beurteilung des konkreten Falles hinaus war das während der ganzen vier Prozesstage spürbar. 27 Zeuginnen und Zeugen waren benannt, zwei Gutachter. Die Verteidigung verwies auf 15.000 Seiten Prozessakten, die zusammengetragen wurden. Die Staatsanwaltschaft hatte sich greifbar Mühe gegeben.

Fall Kellermayr: Erfolglose Suche nach "claasderkiller"

Es hatte zu Beginn massive Vorwürfe gegeben, Staatsanwaltschaft und Polizei hätten die Ängste der bedrohten Ärztin nicht ernst genug genommen. Die Anklage plädierte schließlich auf "schuldig", sah den "kausalen" Zusammenhang der Hass-Mails aus Starnberg mit dem Suizid Kellermayrs. Das Schöffengericht hatte trotzdem Zweifel an der eindeutigen Mitschuld des Angeklagten.

Unbefriedigend für alle, dass der mutmaßlich Hauptschuldige nicht vor Gericht stand, noch gesucht wird. Mutmaßlich ein Mann, auch hier weisen die Spuren nach Deutschland. Unter dem Tarnnamen "claasderkiller" bedrohte er Kellermayr und die Mitarbeitenden ihrer Praxis mit dem Tod, in abscheulichen Gewaltphantasien. Deutlich massiver als der in Wels Angeklagte. Vor ihm, sagten auch Zeugen, hatte Kellermayr die größte Angst. Gleich zu Beginn ließ der Angeklagte deswegen durch seine Anwältin mitteilen: "Ich bin nicht derjenige, den man gesucht hat, sondern derjenige, den man gefunden hat." Weil er leicht zu finden war, weil er sich nicht im Darknet versteckt, sondern offen über seinen Firmen-Account gemailt hat – und zudem geständig ist.

Urteil noch nicht rechtskräftig

Bleibt die Frage zu klären, für die sich das österreichische Gericht als nicht-zuständig erklärt hat – wie "gefährlich" waren die "Drohungen" des Angeklagten? Würden sie in einem anderen Verfahren zur Verurteilung führen. Der Angeklagte nennt alles ein "Streitgespräch", das er mit Kellermayr geführt habe, in dem er sie "Kreatur" nannte, die vor ein "Volkstribunal" gehöre und dann ins Gefängnis.

Kellermayr hatte zurückgegeben, ohne Drohungen, aber auch ohne vor den Impfgegnern "zu buckeln", wie vor Gericht gesagt wurde. Das hatten ihr manche auch geraten damals, offen damit umzugehen. Andere hatten geraten, Hass-Mail-Schreiber wie den Angeklagten nicht weiter zu "füttern".

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft könnte noch Einspruch einlegen. Unabhängig davon könnte ein deutsches Gericht klären, wie die Drohungen des in Wels Angeklagten zu werten sind, auch ohne eindeutig nachweisbare "Todesfolge".

Im Prozess um den Suizid einer jungen österreichischen Ärztin ist ein deutscher Corona-Maßnahmen-Gegner freigesprochen worden.
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Im Prozess um den Suizid einer jungen österreichischen Ärztin ist ein deutscher Corona-Maßnahmen-Gegner freigesprochen worden.

Der Bayerische Rundfunk berichtet - vor allem wegen möglicher Nachahmer-Effekte - in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer die zuständige Redaktion sieht es durch die Umstände der Tat geboten.

Sollten Sie selbst Hilfe benötigen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Beratung erhalten Sie unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222. Online: https://www.telefonseelsorge.de/ (Chatberatung und Mailberatung)

Weitere Hilfsangebote gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

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