Sie hat einen amerikanischen Namen, war unter internationalen Hilfsorganisationen sowie den Vereinten Nationen vollkommen unbekannt und wurde von der israelischen Regierung mit der Aufgabe beauftragt, an vier ausgewählten Sammelstellen im Süden des Gazastreifens Lebensmittelrationen zu verteilen: die "Gaza Humanitarian Foundation" (GHF).
Am Dienstag gab sie bekannt, dass erste Hilfsgüter ausgegeben wurden. Später wurde publik, dass es zu Tumulten kam: Tausende von Palästinensern stürmten das neue Verteilzentrum westlich von Rafah, um an Essensrationen zu gelangen. Abgrenzungen und Schutzzäune wurden niedergetrampelt. Berichten zufolge sollen aus einem Hubschrauber Schüsse abgegeben worden sein.
Auftrag ohne ordnungsgemäßes Verfahren unter Netanjahus Regie
Wer steht hinter GHF? Nach Recherchen der israelischen Tageszeitung "Haaretz" vom Wochenende hatte das Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu in den vergangenen Wochen und Monaten ohne eine Ausschreibung oder ein ordnungsgemäßes Verfahren ein "obskures, unerfahrenes Unternehmen" mit der Koordinierung der humanitären Maßnahmen im Gazastreifen beauftragt. Die israelische Armeeführung sowie das Verteidigungsministerium seien "komplett aus dem Auswahlverfahren" außen vor gelassen worden.
Vielmehr, so "Haaretz" weiter, sei der gesamte Vorgang unter Leitung des Militärberaters Netanjahus, Generalmajor Roman Gofman, durchgeführt worden. Obgleich sich das Unternehmen als "amerikanisch präsentiert, sind auch viele israelische Persönlichkeiten beteiligt". Die "New York Times" kommt nach ihren Recherchen zu einem ähnlichen Ergebnis: Es handele sich nicht um ein US-Projekt, das in Abstimmung mit der israelischen Regierung entstanden sei. Es gehe vielmehr auf "eine israelische Idee" zurück, wie die Zeitung am vergangenen Samstag berichtete.
Unklar, wer hinter dubiosen Unternehmen steht
Bereits wenige Monaten nach Kriegsbeginn seien die ersten Pläne im Kreis von israelischen Militärs, Beamten und Geschäftsleuten entstanden, einen Mechanismus zu finden, um bei der Verteilung von humanitären Hilfsgütern im Gazastreifen der Hamas jegliche Möglichkeit zu nehmen, sich an den eingeführten Lieferungen zu bereichern. Konkret seien die Pläne zum damaligen Zeitpunkt nicht gewesen, so die Recherchen von "Haaretz". Erst nach Beginn der knapp zweimonatigen Waffenruhe im Januar dieses Jahres sei eine Sicherheitsfirma ausgesucht worden: "Safe Reach Solutions".
Offizielle im israelischen Verteidigungsministerium hätten bis heute keine genauen Kenntnisse darüber, wem diese Firma gehöre, wie sie operiere oder wer sie finanziere. "Bis heute ist es unklar, wer die Amerikaner" hinter den Firmen seien, oder wen sie in Israel getroffen hätten, zitiert "Haaretz" eine hochrangige Quelle in israelischen Sicherheitskreisen.
Auch woher das Geld kommen soll, ist offen
Der amerikanische Ex-Militär Jake Wood, bis zu seinem Rücktritt am Sonntag Chef der GHF, habe zuvor erklärt, unabhängig von der Sicherheitsfirma "Safe Reach Solutions" (SRS) zu agieren. Doch laut "Haaretz" seien beide Organisationen, GHF und SRS, von demselben Anwalt in den USA registriert worden und hätten bis in den Mai hinein denselben Pressesprecher gehabt.
Wood habe ferner erklärt, seine Stiftung würde Spendengelder eintreiben wollen, um die Verteilung der Lebensmittellieferungen in den Gazastreifen finanzieren zu können. "Es bleibt unklar", schreibt „Haaretz", "woher das beträchtliche Budget kommen soll – Geld, mit dem eine Million Einwohner des Gazastreifens versorgt und etwa 1.000 bewaffnete Sicherheitskräfte eingestellt werden sollen, wie es in dem Dokument des Unternehmens heißt".
Chefs der "Gaza Humanitarian Foundation" tritt aus Protest zurück
Am vergangenen Sonntag, einen Tag vor der angekündigten Aufnahme erster Lebensmittellieferungen in den Süden des Gazastreifens, trat der Chef der "Gaza Humanitarian Foundation", Jake Wood, von seiner Aufgabe zurück. Es sei nicht möglich, den Plan umzusetzen "und gleichzeitig die humanitären Grundsätze der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit strikt einzuhalten".
Damit bezog sich Wood auf den Plan, an vier von der israelischen Armee kontrollierten Sammelstellen ausschließlich im Süden des Gazastreifens Lebensmittel an die Bevölkerung zu verteilen. Denn der Großteil der palästinensischen Bewohner hat angesichts der massiv ausgeweiteten Militäroffensive der israelischen Armee sowie der oftmals dutzendfachen Vertreibung von einem Fluchtort zum nächsten nicht die Chance, auch nur einen der vier Verteilungsstellen überhaupt erreichen zu können.
Vergeblich habe er sich für Verteilstellen im Norden und in der Mitte des Gazastreifens eingesetzt, so Wood. Die Vereinten Nationen und internationale Menschenrechtsorganisationen sehen sich in ihrer Ablehnung dieses Plans bestätigt: Es handele sich um ein "Ablenkungsmanöver" der Regierung Netanjahu, sagte Jens Laerke, Sprecher des UN-Koordinierungsbüro für humanitäre Angelegenheiten OCHA.
Im Video: GHF-Hilfslieferungen für Gaza
Hilfsgüter für Palästinenser in Gaza werden seit heute von der Organisation "Humanitarian Foundation" verteilt.
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