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Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) forderte, Deutschlands Krankenhäuser besser auf einen möglichen Krieg vorzubereiten.

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#Faktenfuchs: Gerlachs Forderung kein Beleg für baldigen Krieg

#Faktenfuchs: Gerlachs Forderung kein Beleg für baldigen Krieg

Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) hat gefordert, deutsche Krankenhäuser auf einen möglichen Kriegsfall vorzubereiten. Ein YouTuber behauptete deshalb irreführenderweise, Deutschland stehe kurz vor einem Krieg. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Darum geht’s:

  • Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) hat vorgeschlagen, deutsche Krankenhäuser mit einem "zivilen Operationsplan Deutschland" besser auf einen möglichen Kriegsfall vorzubereiten.
  • Das bedeutet Experten zufolge jedoch nicht, dass ein solcher Krieg unmittelbar bevorsteht.
  • Ein Video mit dieser Behauptung greift reale Kriegsängste auf. Sozialpsychologin Pia Lamberty nennt drei Strategien, die gegen eine Ohnmacht durch Kriegsangst helfen können.

"Tja, meine lieben Zuschauer. Offenbar scheint es jetzt wirklich loszugehen." Mit diesen Worten eröffnet ein YouTuber mit mehr als 400.000 Abonnenten eines seiner Videos. Was genau "losgehen" soll, wird schnell deutlich: Er behauptet, ein Krieg auf deutschem Boden stehe bevor. Als vermeintlichen Beleg nennt er die Forderung der bayerischen Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU), das deutsche Gesundheitssystem auf einen möglichen Kriegsfall vorzubereiten. Doch Experten stellen klar: Solche Vorbereitungen bedeuteten nicht, dass ein Krieg tatsächlich unmittelbar bevorstehe.

Gerlach bezieht sich auf Bundeswehr-Plan zur Verteidigung Deutschlands

Was genau Judith Gerlach mit ihrem Vorschlag in der Augsburger Allgemeinen vom 17. März (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt) meinte, erklärte sie in einem Pressestatement so: "Konkret geht es darum, die medizinische und pflegerische Versorgung von mehr als 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern im Krisenfall aufrechtzuerhalten." Neben den Krankenhäusern müsse Deutschland auch die Versorgung mit Arzneimitteln absichern. Zudem solle die IT-Infrastruktur von Krankenhäusern geschützt und Deutschland als attraktiver Standort für die Pharmaindustrie gefördert werden.

Mit dem Begriff "ziviler Operationsplan Deutschland" nimmt Gerlach vermutlich Bezug auf den "Operationsplan Deutschland" der Bundeswehr (externer Link). Dieser Plan legt fest, wie Deutschland im Rahmen des NATO-Bündnisses auf einen militärischen Angriff reagieren könnte, sowohl militärisch als auch zivil. Details des Plans sind geheim. Martin Voss, Katastrophenforscher an der Freien Universität Berlin, sagt im #Faktenfuchs-Interview: "Dem Operationsplan Deutschland liegt die Überlegung zugrunde, dass Russland in einem bestimmten Zeitraum Kapazitäten entwickeln könnte, um uns anzugreifen."

Dementsprechend stehe auch hinter Gerlachs Forderung nicht die Annahme, dass wir kurz vor einem Krieg stünden, sondern "die Annahme, dass es möglich wäre, dass es innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu einer solchen Situation kommen könnte", so Voss.

Gesundheitsministerium: Für alle Eventualitäten wappnen

Johannes Backus, Generalstabsarzt der Bundeswehr, sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt), dass Deutschland in einem Krieg zu wenige Kliniken hätte. Denn: "Im Kriegsfall würde die Hauptlast auf zivilen Krankenhäusern liegen, sie wären das Rückgrat der medizinischen Versorgung."

Das bayerische Gesundheitsministerium schreibt auf #Faktenfuchs-Anfrage: "Die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie US-Präsident Trump viele Gewissheiten erschüttert hat, die bislang das Fundament der europäischen Sicherheitsarchitektur waren. Russland überzieht die Ukraine bereits seit drei Jahren mit einem blutigen Angriffskrieg. Das kann man nicht ignorieren". Es gehe nicht darum, Ängste vor einem möglichen Krieg zu schüren, sondern darum, sich für alle Eventualitäten zu wappnen.

Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) zufolge könnten kriegerische Auseinandersetzungen mit deutscher Beteiligung täglich bis zu 250 Schwerverletzte verursachen, die in Krankenhäusern versorgt werden müssten – zusätzlich zu den derzeit durchschnittlich 85 Schwerverletzten, die täglich versorgt werden.

Laut DGU braucht es zusätzliche Reserven wie Verbandsmaterial, Spritzen und Kanülen. Außerdem müssten Ärzte und Pflegekräfte deutlich besser für Verletzungen durch Krieg und Terror geschult werden. "Das ist etwas völlig anderes als das, was man sonst etwa bei Autounfällen oder Stürzen gesehen hat", sagte DGU-Generalsekretär Dietmar Pennig auf einer Pressekonferenz des Deutschen Chirurgie Kongresses.

Deutschland müsse mit hybriden Angriffen rechnen

Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG), warnte im Gespräch mit dem BR vor Panikmache. Es gehe nicht darum, dass ein Krieg unmittelbar bevorstehe, aber es sei wichtig zu klären, wie die von der Bundesregierung vorgesehenen 500 Milliarden Euro für die Verteidigung konkret eingesetzt werden sollen. Deutschland habe es "nach dem Kalten Krieg insgesamt verlernt, sich auf Katastrophen vorzubereiten", so Engehausen.

Katastrophenforscher Martin Voss sagt: "Sehr wohl müssen wir damit rechnen, dass wir weiter hybrid attackiert werden." Hybride Kriegsführung (externer Link) umfasst Angriffe mit unterschiedlichen Mitteln, die nicht unbedingt bewaffnete sein müssen. Dazu zählen auch Desinformationskampagnen oder Sabotageakte an ziviler Infrastruktur – wie etwa an Stromversorgungen von Krankenhäusern.

Staatsregierung hat Krankenhäuser nicht angewiesen, sich auf Krieg vorzubereiten

Der YouTuber behauptete außerdem, dass die bayerische Regierung ihre Krankenhäuser angewiesen habe, sich sofort auf den Kriegsfall vorzubereiten. Doch auch das stimmt nicht, schreibt das bayerische Gesundheitsministerium.

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Ein YouTuber behauptete fälschlicherweise, Judith Gerlachs (CSU) Forderung zum Gesundheitssystem bedeute, wir stünden kurz vor einem Krieg.

Gesundheitsministerin Gerlach sagte im Pressestatement, dass die bayerische Staatsregierung die Kliniken gebeten habe, Auskunft über den Stand ihrer Alarm- und Einsatzplanung für den Ernstfall zu geben. Das Gesundheitsministerium erklärt auf #Faktenfuchs-Nachfrage: "Es handelt sich um eine freiwillige Abfrage." Laut dem bayerischen Katastrophenschutzgesetz (externer Link) sind Krankenhäuser ohnehin verpflichtet, Pläne für externe oder interne Krisenfälle vorzuhalten.

Die bisherigen Rückmeldungen hätten gezeigt, dass das Thema Sicherheit für die meisten Krankenhäuser sehr präsent sei. "Viele optimieren gerade ihre Planungen. Die Hilfsorganisationen sind daran, Pflegeunterstützungskräfte auszubilden, die dem Pflegepersonal im Ernstfall zur Hand gehen können", so Gerlach.

Katastrophenforscher Voss sagt über die Alarm- und Einsatzplanung der Krankenhäuser: "Schon in Friedenszeiten ist es die Frage, ob das reicht." Es sei letztlich den Krankenhäusern selbst überlassen, diese Pläne praktisch zu erproben – was häufig nicht möglich sei, da das den Normalbetrieb gefährden würde.

Angst als Instrument der Desinformation

Voss vermutet, dass das YouTube-Video vor allem auf Klicks abzielt — und nicht darauf, Kriegsangst zu schüren. Dennoch habe das Video diesen Effekt, sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty. Sie forscht am Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) zu Verschwörungstheorien und Desinformation. Die Botschaft des Videos sei, "dass wir vor dem nächsten großen Krieg stehen, wir ungeschützt sind und alles, was an Maßnahmen ergriffen wird, nicht zu mehr Sicherheit führt".

Kriegsangst werde im Kontext von Desinformation häufig genutzt, sowohl von Rechtsextremen als auch von russischen Kampagnen. "Letztendlich ist die Angst vor dem Untergang bei allen antidemokratischen Akteuren ein Element in der propagandistischen Kommunikation", sagt Lamberty.

Lamberty betont, dass Sorgen vor einem Krieg nicht unbegründet seien: "Wenn man sich militärische Einschätzungen anschaut, dann ist das ja nicht komplett aus der Luft gegriffen", so Lamberty.

Kriegsängste in der deutschen Bevölkerung sind kein neues Phänomen. Seit 1992 erhebt die R+V-Versicherung in einer repräsentativen Umfrage die größten Ängste der Deutschen (externer Link). 2024 gaben 42 Prozent an, Angst vor einem Krieg mit deutscher Beteiligung zu haben — ein Wert, der 2021, vor der russischen Invasion der Ukraine, noch bei 16 Prozent lag. Bereits 2016 hatten laut der Befragung 54 Prozent der Deutschen diese Sorge. Den Höchststand erreichte Kriegsangst 1999 mit 60 Prozent – im selben Jahr war die Bundeswehr im Kosovo erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg in einem bewaffneten Konflikt im Einsatz (externer Link).

Strategien gegen die Ohnmacht

Um mit Kriegsangst umzugehen, könne ein bestimmtes Gefühl helfen, so Lamberty: das Gefühl der Kohärenz. "Das ist so etwas Ähnliches wie Resilienz", sagt Lamberty. Das Kohärenzgefühl basiert auf drei Säulen:

  1. Verstehen: "In der Corona-Pandemie haben viele Menschen den Podcast von Christian Drosten gehört. Das haben sie auch gemacht, um die Gegenwart besser bewältigen zu können", sagt Lamberty. Auch im Kontext geopolitischer Bedrohungen könne es helfen, sich bewusst zu informieren und sich Fragen zu stellen wie: Was passiert gerade in der Welt? Sind meine Sorgen realistisch? Wie werden sie von Experten eingeschätzt?
  2. Handeln: "Die zweite Säule ist zu wissen, was ich tun kann", so Lamberty. Das könne beispielsweise individuelle Krisenvorsorge sein. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt Empfehlungen (externer Link) dazu, wie man sich auf Krisensituationen vorbereiten kann – etwa durch das Anlegen einer Dokumentenmappe. Wichtig sei jedoch, nicht in obsessive Ängste zu verfallen, da dies kontraproduktiv sei, sagt Lamberty.
  3. Sinn, also eine Antwort auf die Frage, warum man in einer friedlichen Welt leben möchte. Lamberty sagt: "Wenn man Kinder hat, dann ist das häufig schnell beantwortet, weil man möchte, dass sie in der friedlichen Zukunft aufwachsen. Aber auch wenn man keine Kinder hat, hat man ja eine Motivation, warum einem das wichtig ist."

Lamberty warnt davor, dass ein Gefühl von Kontrollverlust beim Thema Krieg ähnlich wie schon in der Corona-Pandemie eine Radikalisierung fördern könne. "Wir wissen aus der Forschung, dass ein Kontrollverlust, den Menschen erleben, dazu führen kann, dass sie anfangen, Muster da zu sehen, wo keine sind." Verschwörungsglaube diene dann als psychologischer Mechanismus, um diesen Kontrollverlust zu kompensieren.

Fazit

Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach hat gefordert, das deutsche Gesundheitssystem besser auf einen möglichen Krieg vorzubereiten. Experten betonen jedoch, dass dies nicht bedeutet, dass ein Krieg unmittelbar bevorsteht.

Gerlach hat die Krankenhäuser zudem nicht angewiesen, sich sofort auf einen Kriegsfall vorzubereiten. Stattdessen bat die Staatsregierung die Kliniken um eine freiwillige Auskunft über den Stand ihrer Alarm- und Einsatzplanung. Zu einem solchen Plan sind Krankenhäuser nach dem bayerischen Katastrophenschutzgesetz verpflichtet.

Sozialpsychologin Pia Lamberty empfiehlt drei Strategien gegen Kriegsangst: Erstens, sich aktiv über die Lage zu informieren, um sie besser zu verstehen. Zweitens, im eigenen Rahmen zu handeln – etwa durch Krisenvorsorge. Und drittens, sich bewusst zu machen, warum einem eine friedliche Welt am Herzen liegt.

Im Video: Fachleute: Gesundheitswesen für Krieg und Terror nicht gewappnet

Ein Rettungswagen vom Bayerischen Roten Kreuz auf einer Einsatzfahrt mit eingeschaltetem Blaulicht über eine Straße in Nürnberg.
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Krieg und Terror: Fachleute fordern bessere Vorbereitung

Quellen:

Anfrage an das Bayerische Gesundheitsministerium

Interview mit Prof. Dr. Martin Voss, Krisen- und Katastrophenforscher an der Freien Universität Berlin

Interview mit Dr. Pia Lamberty, Mitgründerin und Lead Psychologist Analyst bei CeMAS

Augsburger Allgemeine: Bayern fordert: Krankenhäuser sollen kriegstüchtig gemacht werden

Bayerische Staatskanzlei: Bayerisches Katastrophenschutzgesetz

BR24: Fachleute: Gesundheitswesen für Krieg und Terror nicht gewappnet

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Für den Notfall vorsorgen

Bundesministerium der Verteidigung: Was sind hybride Bedrohungen?

Bundeswehr: "Wir reagieren auf die geänderte Sicherheitslage in Deutschland und Europa"

Bundeszentrale für politische Bildung: NATO-Einsatz im Kosovo

Frankfurter Allgemeine: Die Bundeswehr hat für Krieg nicht genügend Kliniken

R+V Versicherung: Die Ängste der Deutschen

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