Zehn Wochen nach der Bundestagswahl ist die fünfte schwarz-rote Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik besiegelt. Die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD unterzeichneten in Berlin ihren 144 Seiten starken Koalitionsvertrag mit dem Titel "Verantwortung für Deutschland". Die erste Bewährungsprobe für das Bündnis folgt am Dienstag. Dann wollen Union und SPD den CDU-Chef Friedrich Merz zum zehnten Bundeskanzler wählen.
Buzzwords: "Möglichmacher", "Deutschlandtempo", "Arbeitskoalition"
Merz sagte vor der Unterzeichnung, die Koalition wolle Deutschland "mit Reformen und Investitionen" voranbringen. Europa warte darauf, dass Deutschland wieder einen kraftvollen Beitrag zum gemeinsamen Projekt liefere. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns gelingt, ab morgen unser Land kraftvoll, planvoll, vertrauenswürdig zu regieren." Der designierte SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil betonte, dass die Regierung nur mit Teamgeist erfolgreich sein könne. Als Motto für Schwarz-Rot gab er aus: "Deutschland braucht weniger Verwalter und mehr Möglichmacher."
Der Koalitionsvertrag sieht insbesondere die von der Union verlangte Verschärfung der Migrationspolitik mit Zurückweisungen auch von Asylbewerbern an den Grenzen vor sowie eine Reform des Bürgergelds und Investitionsanreize für Unternehmen. Für die SPD wichtig sind Vereinbarungen zur Stabilisierung des Rentenniveaus und eine in ungefähr zwei Jahren geplante Senkung der Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen. Alle Vorhaben der neuen Regierung stehen allerdings ausdrücklich "unter Finanzierungsvorbehalt".
Söder um Aufbruchstimmung bemüht
CSU-Chef Markus Söder forderte "Volldampf für Deutschland". "Es wird nicht alles über Nacht gehen." Man müsse aber mit der Umsetzung der Beschlüsse aus dem Koalitionsvertrag zu einem neuen "Deutschlandtempo" zu kommen. "Es ist Zeit für einen neuen Optimismus." Die bayerische CSU-Landtagsfraktion sieht ein "starkes Zeichen für Stabilität, Verlässlichkeit und eine bürgernahe Politik". Bei den Themen Migration, Steuern und Sozialpolitik seien zentrale Positionen der CSU verankert worden.
Merz vor Kanzlerwahl am Dienstag
Der Weg für die Kanzlerwahl am Dienstag ist nun auch formell bereitet. Merz benötigt im Bundestag in geheimer Wahl die Zustimmung der Mehrheit aller Bundestagsabgeordneten, um Kanzler zu werden. Das sind 316 Stimmen. Dem Bundestag gehören 328 Politiker von Union und SPD an. Trotz des dünnen Polsters gilt Merz' Wahl im ersten Wahlgang als ziemlich sicher. Nach seiner Wahl erhält der 69-Jährige im Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunde und wird dann im Bundestag vereidigt. Darauf folgt Ernennung und Vereidigung seines Kabinetts. Am Dienstagnachmittag kann die neue Regierung dann an die Arbeit gehen – auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Bruch der ersten Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Deutschland hat dann wieder eine voll handlungsfähige Regierung, die auch eine Mehrheit im Bundestag hinter sich hat.
Kritik von den Grünen: "Eine große Nicht-Einigung"
Die Kritik aus der Opposition ließ nicht lange auf sich warten, beispielsweise vom stellvertretenden Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch. "Die Unterschriften sind geleistet, und viele Fragen sind völlig offen", sagte Audretsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der Koalitionsvertrag sei vor allem "eine große Nicht-Einigung", denn "alles steht unter Haushaltsvorbehalt" und "niemand weiß, was wirklich kommt".
Linken-Chef Jan van Aken warf Union und SPD vor, in ihrem Koalitionsvertrag keine Lösungen für wichtige Probleme wie Lebensmittelpreise und Mieten zu bieten. Stattdessen werde in der Sozial- und Migrationspolitik "ganz offen Rechtsbruch angekündigt", sagte van Aken in Berlin.
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