Ingo Lierheimer, Leiter der Redaktion Politik und Hintergrund
Bildrechte: Ingo Lierheimer/BR
Audiobeitrag

Ingo Lierheimer, Leiter der Redaktion Politik und Hintergrund

Bildbeitrag
>

Kommentar: Impfpflicht – kein Rückzieher vom Rückzieher

Kommentar: Impfpflicht – kein Rückzieher vom Rückzieher

Die Politik scheint bei der Einführung einer Corona-Impfpflicht zu zaudern. Doch das Virus verzeiht kein weiteres Zögern, kommentiert Ingo Lierheimer.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Klar, verständlich, transparent. Das Geheimnis einer gelungenen politischen Kommunikation ist kein Hexenwerk. Schon vor Corona galten diese Regeln, die Pandemie hat ihre Bedeutung unterstrichen. Auch, weil sich viele oft nicht an sie gehalten haben.

Insofern hat Olaf Scholz in den ersten 30 Tagen seiner Kanzlerschaft vieles richtig gemacht: Einen zentralen Krisenstab eingerichtet, einen eindeutigen wissenschaftlichen Expertenrat benannt und vor allem klare Ziele gesetzt: 30 Millionen Impfungen bis Ende Dezember und 80 Prozent Impfquote bis Ende Januar: Das erste Ziel ist erreicht, das zweite wackelt. Aber das ist gar nicht das Entscheidende: Wichtiger sind das Setzen der Ziele selbst und das Festhalten an ihnen.

Mehrheit der Deutschen unterstützt Corona-Impfpflicht

Was beim Thema Impfpflicht überhaupt nicht funktioniert hat. Noch vor einem Jahr war die recht einhellige Meinung über alle Parteien hinweg: Eine Impfpflicht wird es nicht geben. Das war so deutlich wie voreilig. Denn im Laufe des letzten Jahres wurde immer klarer, dass der Ausgang aus der Pandemie ohne Druck, ohne klare rechtliche Regelung, kurz ohne Impfpflicht, kaum möglich ist. Also wagten immer mehr Politikerinnen den Rückzieher und traten nach und nach doch für die Impfpflicht ein, der neugewählte Kanzler versprach ihre Einführung bis März dieses Jahres. Und erhält dafür nach wie vor Unterstützung von der klaren Mehrheit der Deutschen, etwa zwei Drittel sprechen sich in Umfragen dafür aus.

Die Politik zaudert

Wir erleben also den ungewöhnlichen Fall, dass Politiker für die Korrektur ihrer Haltung Beifall erhalten und nicht vom Hof gejagt werden. Dieses Kapital wird jetzt aufs Spiel gesetzt. Durch die Regierung, die den Einführungszeitpunkt März nicht halten kann und sich hinter Terminschwierigkeiten des Bundestags versteckt. Unter anderem, weil im Februar das Parlament nur einmal zusammenkommt: Wegen Karneval. Wenn sich das Virus nur auch Faschingsferien gönnen würde!

Der Vertrauensvorschuss ist aber auch in Gefahr, weil die neuen Oppositionsparteien CDU und CSU, obwohl für die Impfpflicht, aus parteipolitischen Gründen sticheln, statt einfach mitzuziehen. Das hilft niemandem.

Drittens wirken manche neuen Vorschläge zur Ausgestaltung der Impfpflicht, als ob einige Politiker nur Zeit gewinnen wollen nach dem Motto: Omikron wird die Impfpflicht schon erledigen. Das aber weiß kein Mensch. Corona war bisher immer noch für eine böse Überraschung gut.

Vertrauensverlust droht

Die Folge all dieser Diskussionen wird sein, dass diejenigen, die sich in den letzten Tagen und Wochen doch für eine Impfung entschieden haben, womöglich auf halbem Weg zum Impfzentrum wieder umkehren. Mühsam erworbenes Vertrauen könnte sich in Luft auflösen.

Klar, verständlich, transparent – so muss Politik kommunizieren und handeln. Und sollte über einen Impfpflicht-Rückzieher vom Rückzieher nicht einmal nachdenken.

Ein Kommentar von Ingo Lierheimer, Leiter der Redaktion Politik und Hintergrund

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!