Die US-Regierung hat mit ihren Entscheidungen seit dem inzwischen legendär verhängnisvollen Wortwechsel zwischen Trump und Selenskyj im Weißen Haus vor sechs Tagen die Verteidigungsfähigkeit der angegriffenen Ukraine ganz erheblich geschwächt. Der Einstellung der Waffen- und Munitionslieferungen am Dienstagmorgen folgte tags darauf die Aussetzung der amerikanischen Geheimdienstinformationen und Satellitenaufklärung. Damit, so schreibt das "Institute of the Study of War" (ISW), habe Trump eine "der zahlreichen Forderungen des Kremls erfüllt". Russlands Führung habe stets darauf bestanden, "dass die Bereitstellung jeglicher ausländischen Hilfe für die Ukraine als Teil eines Friedensabkommens eingestellt" werden müsse.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte erst am Dienstag ausdrücklich erklärt, "dass die Vereinigten Staaten der Ukraine nachrichtendienstliche Daten wie zum Beispiel Satellitenaufklärungsdaten zur Verfügung stellen." Einen Tag später, am Mittwoch, gaben Trumps Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz sowie der neue CIA-Direktor John Ratcliffe dieser Forderung nach: Es handele sich um "einen Schritt zurück", um eine "Pause". Man wolle "alle Aspekte dieser Beziehung zu überprüfen."
Schwerwiegende Folgen für die Ukraine
Die Aussetzung der Geheimdienstinformationen Washingtons hat zwei sehr negative Folgen für die Ukraine: Zum einen werde die "Fähigkeit der Ukraine beeinträchtigen, sich gegen die laufenden russischen Angriffe auf militärische und zivile Ziele zu verteidigen." Bislang hatten die ukrainischen Streitkräfte durch die US-Aufklärung die Möglichkeit gehabt, militärische Ziele innerhalb Russlands zu zerstören, Munitions- und Treibstoffdepots zu treffen, bevor diese Waffen gegen die Ukraine eingesetzt wurden.
Und zum Zweiten: Die russische Invasionsarmee habe durch das Abschalten der US-Geheimdienstinformationen jetzt die Fähigkeit, ihre Drohnen- und Raketenangriffe auf das ganze Land "zu intensivieren, was Millionen ukrainischer Zivilisten und das Wachstum der ukrainischen Verteidigungsindustrie beeinträchtigen würde", bilanziert das ISW.
Was können die Europäer und die Ukraine vor diesem Hintergrund tun, zumal Trump nahezu alle Forderungen Putins erfüllt und gleichzeitig massivsten Druck auf die Ukraine ausübt, einen Waffenstillstand ohne Sicherheitsgarantien zu akzeptieren?
Option 1: Die Europäer leeren ihre Depots für die Ukraine
Im vergangenen Jahr kamen mehr als 40 Prozent der Militärhilfen für die Ukraine von den Vereinigten Staaten. Diese Ausfälle zu kompensieren, werde "Europa zum Teil nicht ohne weiteres leisten können", berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Die Ukraine müsste jetzt von den EU-Staaten konkrete Angaben erhalten, mit welchen Beträgen und Rüstungsgütern sie verbindlich rechnen kann. Dazu müssten die EU-Staaten, von denen die meisten auch NATO-Mitglieder sind, ihre Waffen- und Rüstungsdepots unter der Fragestellung überprüfen: Welche Waffensysteme benötigen für ihre eigene Verteidigung sowie für ihre Verpflichtungen gegenüber der NATO und welche Militärgüter können sie zusätzlich der Ukraine zur Verfügung stellen.
Westliche und ukrainische Sicherheitskreisen sprechen von bis zu sechs Monaten, die die ukrainischen Streitkräfte nach einem dauerhaften US-Lieferstopp ihren Abwehrkampf gegen Putins Invasionstruppen wirksam fortsetzen könnten. Es bleibt fraglich, ob die europäischen Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Ungarns und der Slowakei – dem Appell der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas folgen werden. Kallas hatte am Mittwoch dazu aufgerufen, "alle uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen". Die EU-Staaten müssten ihre Unterstützung der Ukraine erhöhen.
Option 2: Europäer sichern einen möglichen Waffenstillstand ab
Angesichts des rasanten Tempos, mit dem US-Präsident Trump unter Missachtung der ukrainischen und europäischen Sicherheitsinteressen auf einen möglichst baldigen Waffenstillstand mit Russland zusteuert, stellt sich die Frage nach einer Absicherung eines Waffenstillstands für die Europäer dringlicher denn je. Frankreichs Präsident Macron und der britische Premierminister Stahmer haben am vergangenen Sonntag in London darüber mit den europäischen Unterstützerstaaten der Ukraine gesprochen. Wer neben Frankreich und Großbritannien an einer Sicherungsmission nach einem Waffenstillstand in der Ukraine mitmachen und eigene Einheiten entsenden würde, blieb offen.
Entscheidend ist allerdings, dass die US-Streitkräfte als eine Art sicherheitspolitischer Schutzschirm involviert sind. Dies hat Trump ausgeschlossen. Das sei Aufgabe der Europäer. Das Argument der US-Regierung, dass allein die Anwesenheit amerikanischer Firmen in der Ukraine nach der Unterzeichnung des sogenannten Rohstoff-Deals die russischen Angreifer verlässlich abschrecken würde, überzeugt nicht. US-Unternehmen waren nach 2014 in der Ukraine präsent, was Putin nicht davon abgehalten hat, die Ukraine anzugreifen und die ukrainische Krim zu erobern.
Option 3: Trump ändert seinen Putin-freundlichen Kurs?
Damit ist nicht zu rechnen. Die Europäer wissen mittlerweile, dass sie sich in einem neuen Zeitalter befinden, in dem "die Zusammenarbeit mit den USA abnimmt, die Bedrohung durch Russland zunimmt und die Aussichten für die Ukraine immer unsicherer werden", so die zutreffende Analyse der "New York Times". Trump zwingt allein die Ukraine mit massiven Sanktionen und Drohungen an einen "Verhandlungstisch". Dass Putin der Aggressor ist, kommt dem US-Präsidenten nicht über die Lippen.
Nüchtern fasst daher das "Institute for the Study of War" das Vorgehen Trumps mit den Worten zusammen: Seine Politik "untergräbt das Druckmittel, das die USA benötigen, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu zu bringen, ein Friedensabkommen zu akzeptieren, das im Interesse der Vereinigten Staaten, der Ukraine und Europas ist."
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