Flaggen während einer Pro-Palästina-Kundgebung in den südlichen Vororten von Beirut am 8. Oktober 2023.
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Flaggen während einer Pro-Palästina-Kundgebung in den südlichen Vororten von Beirut am 8. Oktober 2023.

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Lage im Libanon: Warum viele Deutsche bleiben

Lage im Libanon: Warum viele Deutsche bleiben

Das Auswärtige Amt hat Deutsche im Libanon zur Ausreise aufgerufen. Doch viele wollen nicht gehen – so auch mehrere, mit denen BR24 gesprochen hat. Wieso sie bleiben wollen und wie die Lage für sie vor Ort ist.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Die Hisbollah-Miliz feuert auf Israel, das Land beschießt mit Raketen den Süden Libanons: Seit dem Angriff der Hamas-Terroristen und dem Beginn des Kriegs in Israel und Gaza verschärft sich auch die Lage zwischen Israel und seinem nördlichen Nachbarn.

Die Lage sei ernst und wer aus dem Libanon ausreisen könne, solle das jetzt tun, heißt es vom Auswärtigen Amt: "Wir bitten deshalb alle Deutschen, die sich im Libanon befinden, jetzt auszureisen", sagte ein Sprecher am Montag. Doch nicht alle können oder wollen sofort das Land verlassen. In Gesprächen mit BR24 erläutern mehrere Betroffene ihre Beweggründe, Hoffnungen und Sorgen.

Behörden machen sich große Sorgen

Nahost-Experte Markus Schneider von der Friedrich-Ebert-Stiftung war bis vor wenigen Tagen noch selbst im Libanon. Er folgte der Aufforderung der Botschaft, auszureisen. "Das bedeutet natürlich, dass das Auswärtige Amt und die Botschaft große Sorgen haben, dass es zu einer weiteren Eskalation kommt, möglicherweise einem Krieg auch im Libanon", antwortet Schneider auf die Frage, mit welchem Gefühl er den Libanon verließ.

Angst um einzigen internationalen Flughafen im Libanon

Im Libanon gibt es nur einen internationalen Flughafen. Dieser war im Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 schon am zweiten Tag des Krieges bombardiert worden. Damals gab es dementsprechend über den Luftweg keine Möglichkeit mehr auszureisen. "Und ganz ähnliches befürchtet man eben heute auch", so Schneider.

Auf der Krisenvorsorgeliste Elefand des Auswärtigen Amts haben sich laut Behörde etwa 1.100 deutsche Staatsbürger eingetragen, die sich im Libanon aufhalten. Doch es gibt auch Deutsche, die gar nicht ausreisen wollen, sondern aus Überzeugung im Land bleiben.

"Hisbollah kann sich den Krieg leisten, die Menschen hier nicht"

Caroline Steinegger studiert in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Sie schreibt gerade ihre Masterarbeit. Auch nach dem Studium will sie im Libanon bleiben, sieht das Land, in dem sie seit vier Jahren lebt, als ihr Zuhause an. "Was soll ich irgendwo anders, wenn das hier mein Zuhause ist", antwortet sie auf die Frage, ob sie überlegt, auszureisen. Hinzu komme, dass sie nur einen deutschen und einen schweizerischen Pass besitze. Sollte sie ausreisen, so fürchtet Steinegger, könnte sie womöglich nicht zurück nach Beirut.

"Meine Befürchtung ist, dass, wenn ein Krieg käme, und der womöglich Jahre dauern würde, dass das alles zerstören würde, was sich die Leute hier aufgebaut haben", sagt Steinegger. "Das Land ist sowieso schon in einer Krise. Nach der Explosion [im Hafen von Beirut im Jahr 2020. Anmerkung der Redaktion] haben sie sich alles aufgebaut. Einen Krieg kann sich das Land jetzt nicht leisten. Die Hisbollah kann sich den Krieg leisten, aber die Menschen hier nicht."

Zwar seien ihre Familie und Freunde in Deutschland etwas besorgt, aber sie fühle sich im Libanon zuhause. Auch Freunde und Bekannten in Beirut hätten etwas Angst, so Steinegger. "Der Unterschied zwischen mir und ihnen ist, dass sie alle schon Krieg erlebt haben. Wir nehmen es jetzt Tag für Tag."

"Alle sind nervös und haben Sorgen, wie das ausartet"

Auch der Maschinenbau-Ingenieur Nabil Haddad befindet sich aktuell im Libanon. Er hat einen deutschen und einen libanesischen Pass, hat in Deutschland studiert und lebt mit seiner Frau in Delmenhorst. Seit 1994 widmet er sich im Libanon verschiedenen Projekten in der Landwirtschaft, im Tourismus, in der Baubranche, sowie in sozialen Organisationen. Er ist Vizepräsident des gemeinnützigen Vereins Orienthelfer, der sich seit 2012 in der Region engagiert.

Einige Kilometer nördlich von Beirut sei er zwar weit weg von der Südgrenze, aber auch dort seien schon Veränderungen zu spüren. So würden Menschen aus dem Süden Wohnungen anmieten, um sich weiter im Norden eine Bleibe zu sichern. Auch im täglichen Leben gebe es schon Einschnitte: "Man kann nichts planen. Die Banken arbeiten nicht normal, die Behörden auch nicht."

"Alle sind nervös und haben Sorgen, wie das ausartet. Die Unsicherheit ist so groß", berichtet Haddad. Man müsse Vorkehrungen treffen: Sprit und Lebensmittelvorräte lagern, falls keine Schiffe mehr kommen könnten, sagt Haddad. Das Notwendige müsse man besorgen – und die Lage täglich beobachten.

"Ich kann verstehen, wenn Leute nicht unbedingt hier sein möchten. Aber ich habe so viel Verantwortung – ich kann mich nicht 'abseilen'". Er habe 80 Mitarbeiter, für die er Gehälter und Versicherungen zu zahlen habe. Das könne er nicht alles aus weiter Entfernung machen.

"Will keinen Helden spielen, aber hier werde ich mehr gebraucht"

Haddad engagiert sich stark sozial – unter anderem für warme Mittagessen für Bedürftige, für Rettungskräfte und deren technische Ausstattung. "Ich fühle mich mitverantwortlich für die Menschen. Ich werde in Deutschland nicht so gebraucht wie hier im Libanon."

In Deutschland gebe es Vereine und alles sei gut organisiert, erläutert Haddad. "Aber hier gibt es viele Lücken – und einzelne Menschen können viel bewirken. Ich will keinen Helden spielen, aber hier werde ich mehr gebraucht als in Deutschland."

Die Mehrheit der Libanesen fürchte einen Krieg, so die Einschätzung Haddads. Doch der libanesische Staat sei schwach und viele wagten nicht, etwas gegen die Hisbollah zu sagen. Mit Blick auf den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sagt Haddad, seiner Einschätzung nach werde es zu keinem großen Krieg kommen. "Die Auswirkungen wären zu katastrophal. Weder die ökonomische noch die politische oder soziale Situation erlaubt es der Hisbollah, einen Krieg zu führen." Auch für Israel sei es zu katastrophal.

"Man spürt die Unruhe und Angst"

Auch Jacqueline Flory, die Gründerin des Vereins Zeltschule, der sich im Libanon engagiert, hielt sich bis vor wenigen Tagen im Libanon auf. Etwa zehn Mal im Jahr reist die Münchnerin in die Region, um das reibungslose Funktionieren des Hilfsprojekts zu gewährleisten. In wenigen Tagen steht die nächste Reise in den Libanon an. Doch die aktuelle Lage macht das Planen schwierig: "Wir schauen, wie wir noch fahren können", sagt Flory. "Wenn der Libanon wirklich in den Krieg eintritt, wird der Flughafen schließen", ist auch Flory überzeugt.

"Unsere Schulen sind zum Glück an der syrischen und nicht an der israelischen Grenze – so konnten die Schulen geöffnet bleiben", berichtet Flory, deren Verein in Flüchtlingslagern in Syrien und im Libanon mehrere Zeltschulen gegründet, hat, um dort Kindern Zugang zu Bildung zu ermöglichen.

"Es gibt kein anderes Thema im Land"

"Man spürt die Unruhe und Angst im Land", sagt Flory. "Ich hoffe, dass die Hisbollah nicht den Libanon in diesen Krieg zwingen wird. Sie würde einen Flächenbrand auslösen." Sie habe in persönlichen Gesprächen im Libanon den Eindruck gewonnen, dass die Hisbollah aktuell zunehmend Menschen hinter sich schare. "Es gibt kein anderes Thema im Land. Der eine Teil der Bevölkerung sagt 'Um Gottes Willen, ein Krieg hätte noch gefehlt', der andere Teil sieht es als 'Chance, gegen Israel vorzugehen'", beschreibt Flory ihre Eindrücke.

"Das Land hat eigentlich völlig andere Sorgen. Und jetzt gibt es Demos mit Tausenden Teilnehmenden, die hinter der Hisbollah stehen, und an dem Krieg teilnehmen wollen." Aktuell machen sich laut Flory schon steigende Benzinpreise und weitere Lebensmittelverknappung bemerkbar. Das mache den Menschen große Sorgen.

Trotz aller Besorgnis hofft Flory darauf, dass es nicht zum Äußersten kommt. "In den letzten Monaten ist viel passiert. Aber ich kann es mir im Moment nicht vorstellen – selbst wenn der Libanon in den Krieg verwickelt wird, dann bestimmt nicht flächendeckend." Sie hoffe insbesondere, dass die Bekaa-Ebene, in der sich die Flüchtlingscamps des Vereins befinden, nicht betroffen sein werden. Damit nicht die Unbeteiligten erneut die Leidtragenden werden.

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