Es ist noch früh am Tag, als Friedrich Merz in Kiew ankommt. Der Kanzlerkandidat von CDU und CSU steigt im Wintermantel aus einem Zug. "Auf die Minute pünktlich, die ukrainische Bahn", frotzelt er bei seiner Ankunft in Kiew. Ein kleiner Seitenhieb auf die pannengeplagte Deutsche Bahn. Natürlich ist sich Merz bewusst, dass die Ukrainer gerade andere Sorgen haben als die Verlässlichkeit von Fahrplänen. Weshalb er gleich auf einen staatsmännischen Ton umschwenkt: Er wolle "erfahren, was wir tun können, um diesem geschundenen Land zu helfen".
Es ist das zweite Mal, dass Merz die attackierte Ukraine besucht. Wenige Monate nach dem Beginn des russischen Überfalls war er bereits dort – und kam damals dem Kanzler zuvor. Diesmal war es Olaf Scholz, der vor Merz nach Kiew fuhr. Vor einer Woche war das. Schon diese Häufung von Besuchen aus Deutschland zeigt: Es geht dieser Tage um ein Zeichen der Solidarität – aber auch um Wahlkampf.
CDU sieht in Merz einen "Mutmacherkanzler"
Begleitet wird Merz von Johann Wadephul, der im Vorstand der Unionsfraktion für Außen- und Verteidigungspolitik zuständig ist. Wadephul schreibt auf BR24-Anfrage während der Reise: "Wir stehen fest an der Seite der Ukraine." Soweit das Signal an den Gastgeber. Der CDU-Politiker hat aber auch eine Botschaft fürs heimische Publikum: Er lobt Merz – im Vorgriff auf einen erhofften Wahlsieg der Union – als "Mutmacherkanzler". Scholz dagegen sei ein "Angstkanzler", der die Sorgen der Menschen schüre.
Damit meint Wadephul die wiederholten Warnungen aus der Kanzler-Partei SPD, der Krieg könne durch eine Lieferung bestimmter Waffen eskalieren. Die persönlichen Umfragewerte von Scholz mögen für einen amtierenden Kanzler schlecht sein. Was den viel diskutierten Taurus-Marschflugkörper betrifft, ist seine Position jedoch mehrheitsfähig. Laut dem ARD-Deutschlandtrend von November sind drei Fünftel der Befragten dagegen, der Ukraine auch diese Waffe zur Verfügung zu stellen. Und auch unter Unionsanhängern ist die Skepsis groß.
Merz bleibt bei Bereitschaft zu Taurus-Lieferung
Innenpolitisch ist für Merz in der Taurus-Debatte zurzeit nicht viel zu gewinnen. Außenpolitisch sieht es anders aus. Denn die ukrainischen Verteidiger wünschen sich den Marschflugkörper aus Deutschland seit Langem. In der Hoffnung, damit Munitionslager oder Flugplätze der russischen Angreifer zu zerstören – auch weit hinter den Frontlinien. Merz hat immer wieder klargemacht, dass er als Kanzler zu einer Taurus-Lieferung bereit wäre. "Daran hat sich nichts geändert", sagt er in Kiew.
Der deutsche Oppositionsführer wird von Wolodymyr Selenskyj persönlich empfangen. Eine Begegnung, die protokollarisch eher unüblich ist. Aber der ukrainische Präsident dürfte dringendere Probleme als die Frage haben, ob ein solcher Termin im fernen Berlin Verwunderung hervorrufen könnte. Und für Merz sind die Bilder von ihm und dem Gastgeber politisches Gold. Kurz nach dem Treffen stellt er ein Foto von sich und Selenskyj ins Internet – vereint im festen Händedruck.
Kanzlerkandidat Merz: Krieg durch Stärke beenden
Am Abend gibt Merz den ARD-Tagesthemen von Kiew aus ein Interview. Der CDU-Chef stellt klar, dass es nicht nur um den Taurus geht – über den die Ukraine bisher ohnehin nicht verfügt. Sondern darum, "dass die Ukraine stark genug ist, um diesen Krieg zu beenden". Aus seiner Sicht müssen die Verteidiger deshalb die Möglichkeit erhalten, mit den bereits gelieferten Waffen auch auf russisches Gebiet zu feuern – wenigstens in Grenznähe.
Auf dem Rückweg nach Deutschland steht an diesem Dienstag ein weiterer wichtiger Termin an. In Warschau ist ein Gespräch mit dem polnischen Regierungschef Donald Tusk geplant. Wieder dürfte es um die Unterstützung der Ukraine gehen. Und auch hier kann sich Merz als Staatsmann empfehlen. Ganz ausblenden lässt sich der Wahlkampf eben auch auf Reisen nicht.
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