Ein Kampfpanzer vom Typ Leopard fährt in eine Kaserne im Freistaat.
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Münchner Sicherheitskonferenz: Bilanz der Zeitenwende

Münchner Sicherheitskonferenz: Bilanz der Zeitenwende

Die Bundeswehr brauche "neue und starke Fähigkeiten", so hat es Kanzler Scholz 2022 in seiner Zeitenwende-Rede verkündet. Was sich getan hat, dürfte auch Thema auf der Münchner Sicherheitskonferenz werden. Die wichtigsten Entwicklungen im Überblick.

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik am .

Für Boris Pistorius (SPD) wird es der zweite Besuch auf der Münchner Sicherheitskonferenz als Verteidigungsminister werden. Im vergangenen Jahr war er gerade einmal einen knappen Monat im Amt, als er am Samstagnachmittag die Hauptbühne betrat. Er sei ein "Kind des Kalten Krieges", sagte Pistorius damals. In seiner Rede zeichnete er Bilder von britischen Soldaten denen er einst auf seinem Schulweg durch Osnabrück begegnet war.

Pistorius: Sicherheit des Baltikums und Polens ist Sicherheit Deutschlands

Deutschland, so der Minister, sei einst die Ostflanke der NATO gewesen. Die Bündnispartner hätten diese hierzulande gesichert. Nun sei es für ihn "selbstverständlich, dass wir Deutschen heute die gleiche Solidarität leben". Die Sicherheit des Baltikums und Polens sei die Sicherheit Deutschlands.

Zu seinen Zuhörern an jenem Samstagnachmittag gehörten mehrere Generäle der Bundeswehr. Ihnen hat der Minister seitdem einige Hausaufgaben diktiert. Zu einer der schwierigsten gehört die dauerhafte Stationierung einer Heeresbrigade in Litauen. Die Pläne folgen der Doktrin der Abschreckung, die auch zu Zeiten des Kalten Krieges galt. Ein Krieg soll durch die Stationierung von Truppen verhindert werden.

Ambitioniertes Großprojekt: Litauen-Brigade

Insgesamt sollen etwa 4.800 Soldatinnen und Soldaten dauerhaft in Litauen stationiert werden. Dazu kommen rund 200 zivile Angestellte. Aus Bayern wird dafür das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach verlegt.

Im zweiten Quartal soll ein Vorkommando für die Aufstellung der Brigade die Arbeit aufnehmen. Kommendes Jahr soll sie offiziell in Dienst gestellt werden. Dann sollen laut Verteidigungsministerium auch erste Ausbildungs- und Übungsaktivitäten starten. Einsatzbereit soll die Brigade bis Ende 2027 sein, wie aus der im Dezember unterzeichneten "Roadmap" hervorgeht. Litauen soll die Infrastruktur bereitstellen.

Die Pläne hatten im Sommer vergangenen Jahres für große Überraschung gesorgt. Schließlich ist die dauerhafte Stationierung deutscher Soldaten im Ausland ein Novum. Das Projekt gilt Beobachtern als ambitioniert.

Dauerhafte Stationierung statt Rotationsprinzip

In Litauen beteiligt sich Deutschland seit 2017 mit Einheiten der Bundeswehr an einem multinationalen Gefechtsverband der NATO. Die Truppen werden aber nach einigen Monaten ausgetauscht.

In Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine waren Fragen nach einer stärkeren Präsenz in dem baltischen Land laut geworden. Deutschland verlegte zunächst aber nur Führungspersonal im Rahmen einer NATO-Mission und beließ den Großteil der zugesagten Unterstützungseinheiten in der Heimat, um sie erst im Bedarfsfall in Marsch zu setzen.

Einsatzbereite Heeresdivisionen versprochen

Während die Pläne für die Brigade-Stationierung das vielleicht deutlichste Zeichen eines neuen sicherheitspolitischen Selbstverständnisses Deutschlands sowie der "Zeitenwende" sind, hat die Bundesregierung der NATO noch viel weitreichendere Zusagen gemacht: Sie will unter anderem die drei deutschen Heeresdivisionen so ausstatten, dass diese für einen Einsatz im Rahmen der Bündnisverteidigung zur Verfügung stehen.

Zunächst steht hierbei die 10. Panzerdivision mit ihren rund 20.000 Soldatinnen und Soldaten im Mittelpunkt. Bis 2025 soll sie den Versprechungen zufolge entscheidende Hürden genommen haben. Das Ziel wurde vorverlegt. Die 1. Panzerdivision soll bis 2027 folgen.

Derzeit läuft noch eine Phase der Umstrukturierung, während der Einheiten auch von einer in eine andere Division wechseln. Ziel der Heeresplaner ist es, langfristig wieder Großverbände zu schaffen, die weitestgehend eigenständig eingesetzt werden können. Durch den russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 kam Bewegung in das Vorhaben, das weit vor diesem erdacht worden war. Pistorius erbte das Projekt von seinen Amtsvorgängerinnen.

Kritische Stimmen, darunter der Verteidigungspolitikexperte Christian Mölling mahnen, die Zeit dränge. Im BR-Interview sagte er kürzlich, das Ziel einsatzbereite Divisionen bereitzustellen, sei durch Versäumnisse der Vergangenheit in weite Ferne gerückt. In Folge der Annexion der Krim 2014 hätte Deutschland entsprechende Zusagen gemacht, sei dann aber "wieder in den Schlaf verfallen".

Fähigkeitslücken rücken Ziel in die Ferne

Tatsächlich mangelt es bis heute neben Munition und einer zeitgemäßen Funkausstattung unter anderem an neuen mobilen Flugabwehrverbänden, die unter anderem Bedrohungen aus der Luft abwehren können. Deren Bedeutung verdeutlich der Krieg in der Ukraine, wo massenhaft Drohnen zum Einsatz kommen. Das deutsche Defizit ist längst erkannt. An seiner Beseitigung wird gearbeitet, wie Gespräche mit Heereskreisen nahelegen. Unter anderem wird die Einführung eines neuen Flugabwehrpanzers für die Bundeswehr befürwortet. Klar ist aber auch, dass mit der Auflösung der entsprechenden Truppengattung viel Wissen verloren gegangen ist.

Dazu kommt, dass Deutschland im Zuge der Umstrukturierung des Heeres noch mitten im Aufbau einer neuen Kräftekategorie steckt. Sogenannte "Mittlere Kräfte", die auf Rad- statt auf Kettenpanzer setzen, sollen künftig schneller größere Distanzen überbrücken können. Sie müssen allerdings erst mit dem entsprechenden Material ausgestattet werden. Auf der Wunschliste der Heeresplaner stehen dafür unter anderem Rad-Haubitzen, über die die Bundeswehr bisher nicht verfügt. Sie basieren auf dem eingeführten Radpanzer vom Typ Boxer. Unklar ist noch, ob sie in dem Umfang beschafft werden, den sich das Heer wünscht.

Beobachter zweifeln unter anderem aufgrund der Fähigkeitslücken daran, dass Deutschland seine NATO-Zusagen wirklich im Wortsinn erfüllen kann. Erschwert wird dies zudem dadurch, dass neben Munition auch gepanzerte Radfahrzeuge, Panzer oder Artilleriegeschütze sowie Mehrfachraketenwerfer, die an die Ukraine abgegeben worden sind, erst wieder ersetzt werden müssen. Verzögerungen sind denkbar.

Was genau wird ersetzt?

Neue Panzerhaubitzen 2000 soll die Truppe nach Angaben des Verteidigungsministeriums ab 2025/26 erhalten. In die Ukraine wurden 14 Stück geliefert. Das Nachfolgesystem für die fünf abgegebenen Mehrfachraketenwerfer MARS II soll frühestens ab 2028 kommen. 18 neue Leopard-Panzer vom Typ 2 A8 sollen zwischen 2025 und 2026 auf dem Hof stehen. Sie ersetzen 18 Panzer des älteren Typs Leopard 2 A6.

Im Falle der Leopard-Panzer rühmt sich das Verteidigungsministerium damit, dass die Verträge "innerhalb von weniger als sechs Monaten unterschriftsreif" gewesen seien. Zuvor hätte das Aushandeln solcher Verträge bis zu zwei Jahre in Anspruch genommen.

Für das Heer bringen die Nachbeschaffungen zwar einen Modernisierungsschub mit sich, Bundeswehrkreise kritisieren aber nach wie vor, dass keine Reserven angelegt würden und die Bestände quasi 1 zu 1 aufgefüllt werden sollen.

Generalinspekteur: Deutschland braucht mehr Zeit

Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang ein Interview, das der Generalinspekteur der Bundeswehr der Welt am Sonntag gab. General Carsten Breuer räumte darin ein, dass militärische Fähigkeiten, die die Bundesregierung der NATO zugesagt hat, voraussichtlich erst später zur Verfügung gestellt werden können. Konkreter wurde der ranghöchste Soldat der Bundeswehr aber nicht.

Die deutschen Streitkräfte steckten in einer Umbruchsphase, sagte Breuer: "Zur Ehrlichkeit gehört auch der Satz: Das wird jetzt nochmal ein bisschen rumpeln - aber im positiven Sinne."

Mit dem NATO-Oberbefehlshaber Cavoli stehe er im ständigen Kontakt. Der US-General habe ihn in diesem Kurs bestärkt und mitgeteilt: "Ja, sagt uns bitte, was ihr jetzt schon könnt und ab wann ihr alles könnt. Damit kommen wir viel besser klar, als wenn man ein Wolkenkuckucksheim baut."

Deutschland erreicht Zwei-Prozent-Ziel der NATO

Unterdessen geht es offenbar mit der Neubeschaffung voran. Deutschland wird in diesem Jahr erstmals seit 1992 das zwei Prozent-Ziel der NATO erreichen, wie im Zuge des gestrigen Treffens der Verteidigungsminister des Bündnisses bekannt wurde.

Zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung zu investieren, schafft Deutschland aber nur aufgrund des Sondervermögens Bundeswehr. Damit sollen 100 Milliarden Euro Schulden gemacht werden, um die Bundeswehr neu auszurüsten und so "Fähigkeitslücken zu schließen". Die Inflation dürfte neben höheren Materialpreisen allerdings zu Kostensteigerungen bei Einzelprojekten beitragen. Das bedeutet, dass mit der Gesamtsumme weniger gekauft werden kann als zunächst angenommen.

Beschlossen hat der Bundestag das Sondervermögen im Juni 2022, also vor rund eineinhalb Jahren. Offiziellen Angaben zufolge wird es voraussichtlich im Jahr 2027 aufgebraucht sein. Für Rüstungsausgaben bliebe dann nach derzeitigem Stand nur der reguläre Verteidigungshaushalt. Bereits seit Monaten warnen Experten vor dieser Situation.

Welche Projekte werden finanziert?

Wie das Verteidigungsministerium mitteilt, sind aktuell knapp zwei Drittel des Sondervermögens vertraglich gebunden. Konkret bewilligt und auf den Weg gebracht sind demnach etwa die Beschaffungen von 50 Schützenpanzern PUMA in der neuesten Variante (ca. 4,7 Milliarden Euro), 60 schweren Transporthubschraubern vom Typ CH-47 F Chinook (ca. 7,2 Milliarden Euro), dem Luftverteidigungssystem ARROW (ca. 3,7 Milliarden Euro), 35 Kampfjets vom Typ F35A (ca. 8,3 Milliarden Euro) sowie von drei Seefernaufklärern vom Typ P8A-Poseidon (ca. 1,1 Milliarden Euro). Dazu kommen Munitionskäufe, für die über drei Milliarden Euro ausgegeben werden.

Das auch Munition aus dem Sondervermögen bezahlt wird, sorgt bei Beobachtern nach wie vor für Stirnrunzeln. Finanziert werden sollten laut dem entsprechenden Gesetz eigentlich ausschließlich "bedeutsame Ausrüstungsvorhaben der Bundeswehr, insbesondere komplexe überjährige Maßnahmen". Für Kritik sorgt deshalb auch, dass Ersatzbeschaffungen für das an die Ukraine abgegebene Material aus dem Sondervermögen bezahlt werden. Dies ist ein Ergebnis der Haushaltsverhandlungen.

Geld ist nicht alles

In eine Zeitenwende-Bilanz lassen sich aber nicht nur Rüstungsausgaben hineinrechnen. Etwa wurde 2022 das "Beschaffungsbeschleunigungsgesetz" beschlossen, das Verfahren vereinfachen soll.

Bundeswehrinterne Beschaffungs-Regelungen, die gesetzliche Vorgaben verschärfen, wurden unter Pistorius darüber hinaus im Frühjahr 2023 per Erlass ausgesetzt. Marktverfügbare Produkte sollen bevorzugt werden. Zudem haben die Teilstreitkräfte wieder mehr Verantwortung bekommen: Die Inspekteure sitzen nun sprichwörtlich mit am Tisch, wenn es um konkrete Projekte geht. Sie sollen die Wünsche der Truppe einbringen.

Neu aufgebaut wurde 2022 außerdem beispielsweise das "Territoriale Führungskommando". Es bündelt Zuständigkeiten neu. Von seinem Sitz in Berlin aus ist es unter anderem für die Unterstützung anderer NATO-Partner zuständig, wenn diese Truppen innerhalb Deutschlands verlegen.

Die "Tragik der Zeitenwende"

Die Verteidigungspolitikexpertin Claudia Major spricht angesichts der Investitionen und Maßnahmen im BR-Interview von der "Tragik der Zeitenwende". Wenn man den aktuellen Stand mit dem im Januar 2022 vergleiche, seien die Entwicklungen "beeindruckend". Gemessen an dem, was es angesichts der Sicherheitslage und den von der Bundesregierung formulierten Zielen brauche, werde aber "zu wenig" getan, so die Politikwissenschaftlerin.

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie im am 14. sowie am 15.2. im Radioprogramm von Bayern2 und BR24 in der Sendung "Dossier Politik". Die Ausgabe zur Münchner Sicherheitskonferenz finden Sie auch als Podcast. Zum Beispiel hier.

Im Audio: 60 Jahre Sicherheitskonferenz - Weltpolitik im Nobelhotel

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