Schwierige Phase der Koalitionsverhandlungen in Österreich: Am Dienstagnachmittag machten bereits Gerüchte über einen bevorstehenden Abbruch der Gespräche zwischen der rechtspopulistischen FPÖ und der konservativen ÖVP die Runde. Doch am Abend wurde bekannt, dass die Gespräche nun am Mittwoch weitergehen. Die großen Fragen scheinen dennoch weiter offen.
Nach Einzelgesprächen mit Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärten der geschäftsführende ÖVP-Bundesparteiobmann Christian Stocker und FPÖ-Chef Herbert Kickl, man rede weiter – laut FPÖ in "guter Atmosphäre". Nach Mitteilung des Büros des Bundespräsidenten ersuchte Van der Bellen nach den Einzelgesprächen beide Parteichefs, "rasch und endgültig zu klären, ob die Verhandlungen abgeschlossen werden können".
ÖVP erhöht Druck
Bei der ÖVP hörte sich das verhaltener an. Stocker versuchte, den Druck zu erhöhen, gemeinsame Leitlinien für eine immer noch mögliche gemeinsame Regierung festzuschreiben, die ein konstruktiver Partner in der EU sein wolle. Diese Leitlinien widersprechen dem erklärten Kurs von Kickl. Zu den offenen Themen zählen nach Angaben von Stocker Österreichs Rolle als verlässlicher Partner in der Europäischen Union, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit sowie die "Souveränität und Unabhängigkeit von Russland". "Über das alles müssen wir noch reden", sagte er vor seinem Treffen mit Van der Bellen. Die FPÖ vertritt EU-kritische Positionen und lehnt Sanktionen gegen Russland ab. Bei Kickl ist bisher keine Bewegung zu erkennen.
Am Nachmittag war gemeldet worden, die ÖVP schließe ein Scheitern der Gespräche mit der FPÖ nicht mehr aus. "Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass es sich noch ausgeht", sagte der außenpolitische ÖVP-Verhandlungsführer Reinhold Lopatka am Dienstag der "Kleinen Zeitung" [externer Link]. "Da hat es wenig Sinn, noch weiter zu tun." Kickl hatte solche Spekulationen zurückgewiesen. "Wenn die Verhandlungen gescheitert wären, dann hätten Sie etwas Diesbezügliches gehört", sagte er dem ORF.
FPÖ beansprucht Schlüsselministerien
Die ÖVP ist der einzige potenzielle Partner der FPÖ. Die Gespräche schienen aber weitgehend festgefahren zu sein. Zuletzt waren Details über Streitpunkte wie Einwanderung, die EU und Sanktionen gegen Russland bekannt geworden. Zudem beansprucht die FPÖ die Kontrolle über die mächtigen Ministerien Finanzen und Inneres. Am Wochenende war ein 223-seitiges Dokument durchgesickert, das die bisherigen Gespräche zusammenfasst. Daraus ließ sich lesen, dass ÖVP und FPÖ noch weit auseinander liegen – selbst in der Frage der Einwanderung, wo beide Seiten eine harte Linie vertreten.
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Politikwissenschaftler Prof. Peter Filzmaier
Geplatzte Verhandlungen der ÖVP mit SPÖ und Neos
Die euroskeptische und russlandfreundliche FPÖ hatte bei den Parlamentswahlen im September mit rund 29 Prozent der Stimmen den ersten Platz belegt. Sie war aber erst im Januar zur Regierungsbildung aufgefordert worden. Zuvor waren Verhandlungen der ÖVP mit der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen Neos geplatzt.
Bundespräsident Van der Bellen hatte Kickl daraufhin beauftragt, in Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP eine Regierungsbildung zu versuchen. Sollte eine FPÖ-geführte Koalition gelingen, wäre Kickl der erste rechte Bundeskanzler in Österreich seit Kriegsende.
SPÖ und Neos erklären erneute Verhandlungsbereitschaft
SPÖ und Neos erklärten sich indessen mit Blick auf ein mögliches Scheitern der Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP bereit, erneut mit der ÖVP zu verhandeln. "Es gibt Alternativen zu dieser Situation, zu dieser Tyrannei der FPÖ", erklärte etwa Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. "Wir sind nicht die USA, wir sind Österreich. Bei uns muss man Mehrheiten finden." Der ÖVP stünden alle Türen offen. "Sie kann, wenn sie will, auch einen anderen Weg einschlagen. Niemand ist Geisel eines selbsternannten Führers."
Die Regierungsbildung in Österreich dauert nach der Parlamentswahl im Herbst 2024 schon mehr als 130 Tage – ein Rekord. Nach einem etwaigen Abbruch der aktuellen Bündnisgespräche wäre eine Möglichkeit auch eine Neuwahl voraussichtlich im Frühsommer. Einen erneuten Urnengang müsste die FPÖ wohl nicht fürchten. Die Rechtspopulisten könnten laut Demoskopen nun mit 35 Prozent der Stimmen rechnen, im Herbst 2024 erhielten sie knapp 29 Prozent.
Im Video: Schwierige Phase der Koalitionsverhandlungen in Österreich
FPÖ-Chef Herbert Kickl
Mit Informationen von Reuters, dpa und AFP
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