Es hat ein bisschen gedauert, bis wir uns daran gewöhnt haben: an die einfachen schwarzen Schuhe, an einen Papst, der lieber im Kleinwagen statt im Papamobil gefahren wird und der höchstpersönlich zum Optiker geht, um neue Brillengläser zu bestellen. Das alte Gestell tut's noch.
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- Zum Nachruf: Der Papst der Armen: Franziskus ist gestorben
- Zur Chronologie: Franziskus: Ein Papst vom "Ende der Welt"
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Pontifex Maximus – Ein Papst wie du und ich
In den ersten Wochen und Monaten seines Pontifikats hat uns Franziskus immer wieder überrascht. Und die Erzählungen über Jorge Mario Bergoglio begannen oft so: "Das gab es noch nie …" Bei Auslandsvisiten trägt der Pontifex Maximus seine abgewetzte Aktentasche selbst ins Flugzeug. "Es ist doch völlig normal, dass man seine Tasche mit persönlichen Sachen selbst trägt", sagte Franziskus auf Nachfrage. "Wir müssen uns an die Normalität des Lebens gewöhnen."
Vorgänger Benedikt schwebte in anderen Sphären, wirkte entrückt, weit weg von der Lebens- und Kirchenwirklichkeit. Otto Normalpapst Franziskus verordnete seiner Kirche, der Kurie und vor allem seinem Amt Bodenhaftung. Ein Papst wie du und ich. Revolutionär fanden das viele. Papst Benedikt XVI. war erst ganz am Ende seines Pontifikats revolutionär, als er mit seinem wirklich revolutionären Rücktritt selbst für das Ende der Entrückung gesorgt hatte.
Zeichen, hinter die Franziskus' Nachfolger nicht zurückkönnen
Franziskus setzte Zeichen, hinter die seine Nachfolger nicht zurückkönnen. Die verwaiste Papstwohnung im Apostolischen Palast wird wohl ein Museum. Wer da künftig noch einziehen will, nachdem Franziskus gezeigt hat, dass ein Papst auch in einem schlichten Apartment im vatikanischen Gästehaus wohnen kann, muss sich zumindest rechtfertigen.
Franziskus wirkte damit stilbildend für die gesamte Kirche. Er wollte eine "arme Kirche für die Armen". Da fallen dicke Bischofslimousinen und protzige Residenzen unangenehm auf.
Klerikalismus als "Krankheit" und "Perversion" in der Kirche
Stärker noch war sein Kampf gegen den Klerikalismus. Elitäres Gehabe von Geistlichen war für Franziskus das Grundübel der Kirche, eine "Krankheit", eine "Perversion", eine "Plage". Da kannte der päpstliche Furor keine Grenzen. Auch den Missbrauchsskandal führte er im Kern auf Klerikalismus zurück. Dass sich jemand für besser hält, nur weil er geweiht ist.
Vor dem Kirchenrecht wurden dank Franziskus alle gleich: Auch Bischöfen kann nun der Prozess gemacht werden. Und wenn Kardinäle sich etwas zuschulden kommen ließen, dann scheute sich der Papst nicht, ihnen Titel und Würde zu entziehen.
Tür an Tür: Franziskus und Benedikt XVI.
Das gab es wirklich noch nie: Dass ein Papst Tür an Tür mit seinem Vorgänger im Vatikan lebt. Franziskus und der Emeritus Benedikt pflegten nach außen eine herzliche Beziehung. "Es ist, wie den Großvater im Hause zu haben, einen weisen Großvater", sagte der Papst über den fast zehn Jahre älteren Joseph Ratzinger. Doch bei aller Harmonie: Benedikt und Franziskus könnten unterschiedlicher kaum sein.
Und nach dem Tod des emeritierten Papstes am Silvestermorgen 2022 wurde bekannt, dass der "weise Großvater" Benedikt nicht alles gut fand, was sein Nachfolger unternahm. Seit dem wissen wir, dass Benedikt perplex war über manche Passagen in Lehrschreiben von Franziskus, dass er die Rücknahme der alten Messe für einen Fehler hielt, dass also doch das eine oder andere Thema die beiden Männer in Weiß trennte.
Während sich der Theologen-Papst Benedikt immer an einem dogmatischen oder philosophischen Ideal orientierte und jede Abweichung davon als "Relativismus" diskreditierte, schrieb Franziskus in seiner Enzyklika "Evangelii gaudium": "Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee."
Hoffnung auf Annäherung an Lebenswirklichkeit des 21. Jahrhunderts
So nährte dieser Papst die Hoffnung, dass er die katholische Lehre mit der Lebenswirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert versöhnen will. Wie umgehen mit homosexuellen Partnerschaften, die laut katholischem Katechismus in "keinem Fall zu billigen" sind? "Wenn jemand homosexuell ist und Gott sucht und guten Willens ist, wer bin ich, über ihn zu richten?", antwortete Franziskus und schlug damit einen ganz neuen Ton an.
Kurz vor Weihnachten 2023 dann ein erstaunliches Schreiben aus dem Vatikan: Katholische Priester dürfen künftig unverheiratete und gleichgeschlechtliche Paare segnen. Eine Kehrtwende um 180 Grad an der Spitze der katholischen Kirche, via Grundsatzdokument aus der obersten Glaubensbehörde, jener Stelle also, der einst Joseph Ratzinger vorstand, als sie noch Glaubenskongregation hieß.
Reform der katholischen Lehre: den einen zu viel, den anderen zu wenig
Doch in vielen Fragen blieb er den Beweis schuldig, dass er "guten Willens" war, auch konkrete Reformen einzuleiten. Da war der Synodale Weg in Deutschland die Probe aufs Exempel. Der Papst hielt den Reformprozess der katholischen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) für elitär und grundsätzlich falsch. Franziskus regte an, ermöglichte Diskussionen, doch Reformen oder die offizielle Abkehr von möglicherweise überkommener Lehre verabreichte er seiner Kirche in homöopathischen Dosen. Den einen war das schon viel zu viel, den anderen viel zu wenig.
Kirchlich-konservative Kardinäle zweifelten öffentlich die Autorität des Papstes an. Und reformorientierte Katholiken wünschten sich paradoxerweise nichts sehnlicher als ein Machtwort des Papstes, ein Ja zu konkreten Reformen: die Aufhebung der Zölibatspflicht, mehr Mitspracherechte für die Kirchenbasis, die Diakoninnen- oder sogar Priesterinnenweihe.
Methode der Jesuiten: langes Ringen und nicht klare Ansagen
Jorge Mario Bergoglio war Jesuit. Wie man schwierige Fragen löst, zu Entscheidungen kommt, hat er im Orden gelernt: Die "Unterscheidung der Geister" ist die jesuitische Methode der Urteilsfindung. Das ist ein langes Ringen um die beste Lösung und eben nicht die klare Ansage.
Dieses Prinzip, auf eine große und sehr bunte Weltkirche angewandt, überforderte bisweilen Klerus und Kirchenvolk. Doch es traut dem Christenmenschen fast alles zu. Bei moralisch oder theologisch umstrittenen Fragen setzte Franziskus mehr auf das Gewissen des Einzelnen als auf lehramtliche Direktiven.
Gemeinsames Abendmahl? "Sprecht mit Gott und geht voran!"
Bezeichnend für diesen Nicht-Regierungsstil des Papstes war eine Fragestunde in der evangelischen Gemeinde in Rom. Wann sie denn einmal mit ihrem katholischen Mann gemeinsam zum Abendmahl, zur Eucharistie gehen kann, fragte eine Protestantin. Und Franziskus setzte diesen für ihn typischen Stan-Laurel-Blick auf und verweigerte eine eindeutige Antwort. Er werde nicht wagen, die Erlaubnis dafür zu geben. Und dann wurde er ernst und sagte: "Sprecht mit Gott und dann geht voran, andate avanti!"
Video zum Nachschauen: Der Papst der Armen – Franziskus ist gestorben
Die Kardinäle seien fast bis ans Ende der Welt gegangen, um ihn, Jorge Mario Bergoglio, zum Papst zu wählen. So hat es Franziskus 2013 erzählt.
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