Die Bundesregierung will afghanische Straftäter in ihr Heimatland abschieben. Doch dort regieren die international nicht anerkannten Taliban. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) könnte sich vorstellen, direkt mit ihnen zu verhandeln.
Wie ist die bisherige Praxis?
Ende Mai waren nach Angaben des Bundesamtes für Migration knapp 11.500 Afghanen in Deutschland ausreisepflichtig. In Bayern seien es rund 1.900, wie das bayerische Innenministerium aktuell auf Nachfrage von BR24 erklärte. Die meisten der ausreisepflichtigen Afghanen verfügen allerdings über eine sogenannte Duldung. Regelmäßige Abschiebungen lässt die Lage vor Ort nicht zu. Die Vereinten Nationen verweisen auf häufige Menschenrechtsverletzungen wie Hinrichtungen sowie die Unterdrückung von Frauenrechten durch die Taliban und halten es deshalb derzeit für nicht angebracht, überhaupt über die Rückführung von Menschen nach Afghanistan zu sprechen.
Im August des vergangenen Jahres gab einen Abschiebeflug nach Kabul. 28 Straftäter wurden in ihre Heimat gebracht. Diese Ausnahme war von katarischen Vermittlern mit den Taliban ausgehandelt worden und ist bisher ein Einzelfall. Direkte Gespräche mit dem international geächteten Regime in Kabul führt die Bundesregierung bisher nicht.
Wie sehen die Pläne des Innenministers aus?
Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, Straftäter und sogenannte Gefährder nach Afghanistan und auch nach Syrien abzuschieben. In Bayern bearbeitet die zuständige Taskforce nach Angaben des Landesinnenministeriums derzeit 196 Fälle schwerer Straftäter mit afghanischer Staatsangehörigkeit. Weil ihre Abschiebung bisher in der Praxis in der Regel nicht umsetzbar ist, sucht der Bundesinnenminister nun nach neuen Wegen. Wer Rückführungen nach Afghanistan wolle, müsse auch mit denen reden, die darüber entscheiden, betont Dobrindt. Der CSU-Politiker könnte sich direkte Verhandlungen mit den Taliban vorstellen.
Wie die konkret aussehen könnten und was Deutschland bereit wäre, den Taliban dafür zu geben, dass sie Abschiebungen zustimmen, teilte das Bundesinnenministerium auf Nachfrage nicht mit. Zu überwinden wären auch technische Probleme. Die deutsche Botschaft in Kabul ist geschlossen. Inoffizielle Kontakte zum Regime in Kabul laufen über das deutsche Verbindungsbüro im katarischen Doha. Dobrindt trifft sich am 18. Juli auf der Zugspitze mit europäischen Amtskollegen, um über die Migrationspolitik zu sprechen. Dann könnte auch das Thema Abschiebungen nach Afghanistan eine Rolle spielen.
Welche Bedenken gibt es dagegen?
Bis auf Russland erkennt kein Land weltweit die Taliban-Regierung in Kabul als legitim an. Eine Anerkennung durch Deutschland dürfte aber der Preis der Taliban dafür sein, dass sie mit Deutschland über Abschiebungen sprechen bzw. diese ermöglichen. International werden die Fundamentalisten als Terrororganisationen eingestuft und es wurden Sanktionen verhängt, an denen sich auch Deutschland beteiligt.
Verhandlungen mit den Taliban wären vor diesem Hintergrund widersprüchlich, sagt unter anderem der SPD-Innenexperte im Deutschen Bundestag, Sebastian Fiedler. Die Regierungskoalition von Union und SPD ist in der Frage also nicht geeint. Die Oppositionsparteien Grüne und Linke sind strikt gegen direkte Verhandlungen mit den Taliban.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!