Archivbild: Reichsbürger-Demo in Magdeburg im August 2023. Reichsflaggen, Fahnen mit dem Reichsadler und Wappen verschiedener Herzogtümer und Königreiche werden von sogenannten Reichsbürgern bei der Demonstration auf dem Domplatz in die Luft gehalten.
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Archivbild: Reichsbürger-Demo in Magdeburg im August 2023.

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Reichsbürger - "Das Skurrile und das Gefährliche Hand in Hand"

Reichsbürger - "Das Skurrile und das Gefährliche Hand in Hand"

In München hat der Prozess gegen Mitglieder der mutmaßlichen Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß begonnen. Was über die Reichsbürger-Szene bekannt ist und welche Ideologie dahintersteckt, erklärt der Politikwissenschaftler Jan Rathje im BR24-Interview.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die "Reichsbürger"-Gruppe um Prinz Reuß soll einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben. In mehreren Städten stehen die mutmaßlichen Mitglieder vor Gericht, seit heute auch in München.

Welche Ideologie steckt hinter der Reichsbürger-Szene? Was lässt sich über ihre Mitglieder sagen? Und welche Gefahr geht von ihnen aus? Einblicke in die Welt der Reichsbürger gibt Jan Rathje im BR24-Interview. Rathje ist Politikwissenschaftler, Senior Researcher bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) und Experte für Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien.

BR24: Herr Rathje, was sind Reichsbürger und worum geht es ihnen genau?

Jan Rathje: Als Reichsbürger bezeichnet man einen Teil eines Milieus, das ich als verschwörungsideologisch-souveränistisch bezeichnen würde. Das heißt, diese Menschen glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht souverän sei und in Wirklichkeit ein Mittel in einer großen Verschwörung von geheimen Kräften gegen das deutsche Volk darstellen würde. Was diese Personen machen, ist: Sie streben an, die Souveränität - die vermeintlich fehlende Souveränität - eines Deutschlands wiederherzustellen.

Reichsbürger zielen darauf ab, in diesem Zusammenhang ein historisches Deutsches Reich wieder handlungsfähig zu machen - sei es das nationalsozialistische Deutsche Reich oder auch das Deutsche Kaiserreich. Andere Gruppierungen arbeiten daran unterschiedlich und versuchen nicht unmittelbar, ein Deutsches Reich wiederherzustellen, sondern proklamieren beispielsweise ihre individuelle Souveränität oder erklären ihr Grundstück dann zum Teil eines eigenen Fantasiestaats.

"Milieu ist sehr heterogen"

BR24: Das heißt, dass wir bei den Reichsbürgern nicht von einer homogenen Gruppe sprechen können?

Rathje: Das Milieu von Reichsbürgern und anderen Souveränisten ist sehr heterogen. Es gibt aber geteilte Grundüberzeugungen, die sie miteinander verbinden. Zum einen ist es die Vorstellung, dass die Bundesrepublik Deutschland Teil einer bösartigen Verschwörung gegen das deutsche Volk ist. Und das andere ist die Vorstellung, dass man sich über verschiedene Akte, verschiedene Handlungen wieder souverän machen könnte von dieser vermeintlichen Fremdbestimmung, die den Deutschen aufoktroyiert wurde.

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Jan Rathje, Politikwissenschaftler und Senior Researcher bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie).

"Reichsideologie älter als die Bundesrepublik Deutschland"

BR24: Seit wann gibt es diese Reichsbürger-Szene?

Rathje: Die Reichsideologie oder auch der verschwörungsideologische Souveränismus ist älter als die Bundesrepublik Deutschland selbst. Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten versuchen seit dem Ende des Deutschen Reiches zum Ende des Zweiten Weltkriegs hin, ein Deutsches Reich wieder handlungsfähig zu machen. Das haben sie auch dann in der Bundesrepublik Deutschland, die er erst später dann gegründet wurde, vorangetrieben.

Andere Gruppierungen haben diese Idee übernommen, abgewandelt und in andere Formen dann auch noch umgewandelt. Etwa seit den 1980er-Jahren gibt es eine Strömung innerhalb dieses Milieus, das nicht zuvor durch eine Mitgliedschaft in traditionellen, extrem rechten Organisationen aufgefallen ist. Und ab den 2000er-Jahren gibt es dann auch noch andere internationale Einflüsse auf dieses Milieu, wo es dann stärker darum geht, eigene Pseudo-Staaten zu gründen.

BR24: Was kann man über die Zusammensetzung der Reichsbürger-Szene sagen? Gibt es da Auffälligkeiten in Bezug auf Alter oder Beruf beispielsweise?

Rathje: Bisher gibt es meines Erachtens nur wenige Daten darüber, wie sich die Mitgliedsstruktur und die Sozialstruktur des Reichsbürgermilieus zusammensetzt. Einerseits gibt es von Ermittlungsbehörden verschiedene Angaben, die gemacht werden: dass es sich dabei eher um ältere Personen handeln soll, eher um Männer; aber im Vergleich zu anderen Extremismusbereichen sollen auch durchaus viele Frauen innerhalb dieses Milieus eine Rolle spielen. Ganz grundsätzlich wissen wir aber leider immer noch nicht genug. Und es bedarf hier weiterer Forschung, wie sich das Milieu zusammensetzt und wie Menschen - unabhängig von individuellen Krisenerfahrungen - Mitglieder des Milieus werden.

"Schwierig, zu bestimmen, wie groß das Milieu ist"

BR24: Wie könnte man denn an mehr Daten zu den Reichsbürgern kommen?

Rathje: Es gibt unterschiedliche Ansätze, wie etwa empirische Sozialforschung, aber auch Umfrageforschung, genutzt werden könnte, um zu schauen: Was geben diese Personen über sich preis? Natürlich gibt es immer wieder auch das Problem, dass Menschen, die sich diesen Milieus zugehörig fühlen, auch eine Abneigung, ein Misstrauen gegen Wissenschaft hegen und entsprechende Forschung sicherlich auch schwierig sein wird.

BR24: Wie viele Reichsbürger gibt es in Deutschland ungefähr?

Rathje: Es ist schwierig, zu bestimmen, wie groß das Milieu insgesamt ist. Zum einen gibt es Angaben vom Bundesamt für Verfassungsschutz für das Jahr 2022: Dort rechnet man 23.000 Personen diesem Milieu zu. Allerdings gibt es auch Indikatoren dafür, dass das Milieu wesentlich größer sein könnte. So gibt es beispielsweise eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung, die darauf verweist, dass ungefähr fünf Prozent der deutschen Bevölkerung empfänglich sein könnten für Reichsbürger-Thesen.

Andererseits kann ich aus unserer Arbeit berichten: Es ist so, dass - wenn wir uns einschlägige Kanäle auf dem Netzwerk Telegram anschauen, die dem Reichsbürgermilieu zuzurechnen sind - hier auch sehr große Kanäle existieren, sodass man von mehr als diesen 23.000 Personen ausgehen muss, die von Ermittlungsbehörden angegeben werden. Es handelt sich bei der Zahl höchstwahrscheinlich eher um ein Hellfeld, um das herum noch ein weiteres Dunkelfeld existiert.

BR24: Sie haben die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Reichsbürger-Szene angesprochen. Können Sie deren Ausrichtung noch mal genauer beschreiben?

Rathje: Innerhalb dieses Milieus lassen sich unterschiedliche Strömungen identifizieren. Diejenigen, die traditionell extrem rechten Organisationen zuzurechnen sind, vor allem durch Holocaust-Leugnung und expliziten Antisemitismus auffallen, und damit versuchen, auch ein nationalsozialistisches Deutsches Reich wiederherzustellen.

Dann diejenigen, die sich in den 1980er-Jahren gebildet haben, um Wolfgang Gerhard oder Günter Ebel, der so in etwa das repräsentiert, was man heute unter dem Begriff Reichsbürger zentral versteht. Die eher versuchen, ein deutsches Kaiserreich oder auch andere Deutsche Reiche ohne unmittelbaren Bezug auf den Nationalsozialismus wieder handlungsfähig zu machen.

Und dann Gruppierungen, die versuchen, eher souveränistisch aufzutreten, indem man das eigene Grundstück etwa zu einem eigenen Staat erklärt, an dessen Spitze man selbst steht - oder durch andere Handlungsformen. Und dann gibt es dazu auch noch neurechte Vorstellungen von Souveränismus, die eher darauf abzielen, ein anderes Deutsches Reich, was nicht demokratisch und liberal ist, anstelle der Bundesrepublik Deutschland wieder aufzubauen.

"Das Skurrile und das Gefährliche gehen Hand in Hand"

BR24: Für die einen gelten Reichsbürger lediglich als Spinner, andere sehen sie als große Gefahr. Gibt es da eine Trennlinie?

Rathje: Trotz allem, was innerhalb des Milieus auch an den Bereich der Realsatire oder an etwas Skurriles erinnert, sollte man sich vor Augen führen, dass die Ideologie des Milieus eine ist, die auch in letzter Instanz Gewalt legitimiert. Innerhalb dieses Milieus werden Vorstellungen verbreitet, dass die deutsche Bevölkerung durch eine bösartige Verschwörung in letzter Instanz ausgerottet werden soll. Und dagegen ist dann jedes Mittel recht. Das haben wir bei Personen gesehen, gegen die etwa in der Vergangenheit auch im Zusammenhang mit Gewalttaten ermittelt wurde, die der Vorstellung anhingen: Dass - weil man jetzt ja alles im Vorfeld unternommen hat, sei es Demonstrationen, Schreiben an Behörden etc. und ein Konflikt mit dem Staat existiert - man nun auch zum Mittel der Gewalt greifen müsse, um sich zu verteidigen.

Das skurril Anmutende als auch das Gefährliche gehen hier Hand in Hand. Besonders problematisch ist das, wenn man sich anschaut, wie schnell sich Menschen gerade im Rahmen der letzten Krisen radikalisiert haben, besonders in Verbindung mit Corona und den Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung dieser Pandemie. Da ist es so, dass Menschen, die zunächst an Verschwörungserzählungen geglaubt haben, in dieses Reichsbürgermilieu hinein radikalisiert worden sind.

Am Beispiel der Gruppe Reuß und allem, was ihr jetzt vorgeworfen wird, sieht man doch recht deutlich, wie Menschen, die vorher vielleicht nicht auffällig gewesen sind, über zum Teil auch skurrile Vorstellungen dann zu dem Schluss gelangen können, dass es an der Zeit ist, die Regierung und das politische System der Bundesrepublik Deutschland zu stürzen und dabei auch Gewalt einzusetzen.

BR24: Es gibt den Vorwurf, dass sich die Justiz viel zu spät mit dieser Szene beschäftigt habe. Teilen Sie das? Und wenn ja, warum hat es so lange gedauert?

Rathje: Seit dem Jahr 2016, als das Milieu um Reichsbürger und andere in der öffentlichen Wahrnehmung durch einen tragischen Polizistenmord in Georgensgmünd überhaupt erst aufgekommen sind, hat sich einiges verändert. Sicherheitsbehörden haben angefangen, dieses Milieu durchaus ernster zu nehmen und vor allen Dingen auch das Gewaltpotenzial, das innerhalb dieses Milieus existiert. Problematisch ist leider immer noch, dass - gerade auch vonseiten der Ermittlungsbehörden - unterschieden wird zwischen Rechtsextremismus und Reichsbürgern und man nur kleinere Überschneidung eingesteht.

Aus meiner Perspektive ist es aber so, dass das Reichsbürger- und souveränistische Milieu in seiner Gesamtheit eher als stark mit dem Rechtsextremismus verbunden wahrgenommen und auch als Teil der extremen Rechten in Deutschland angesehen werden sollte. Denn Menschen, die sich innerhalb dieses Milieus radikalisieren, radikalisieren sich in den Bereich der extremen Rechten hinein. Und auch das können wir beispielsweise beobachten, wenn wir uns anschauen, welche Personen Mitglieder in der mutmaßlichen Terrorgruppe Reuß gewesen sein sollen.

Gruppe Reuß hatte "großes Ressourcen-Potenzial"

BR24: Sie haben die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß angesprochen, die einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben soll. Können Sie uns die noch mal erklären: Wie gefährlich war diese Gruppe und welche Ziele haben sie verfolgt?

Rathje: Was die mutmaßliche Terrorgruppe Reuß nicht geschafft hätte, wäre das System der Bundesrepublik Deutschland zu stürzen. Was sie allerdings vermocht hätte - zumindest nach allem, was mir und auch in der breiten Öffentlichkeit um diese Gruppe herum bekannt ist - ist es so, dass schon ein gehöriges Gewalt- und Terrorpotenzial vorhanden gewesen ist. Zum einen ist es so, dass sie gezielt Soldatinnen und Soldaten rekrutiert haben. Und auch nicht irgendwelche Soldaten, sondern Personen aus dem Umfeld der Spezialeinheit der Bundeswehr.

Zum anderen ist es so, dass eine große Menge an Waffen und Munition bei der Gruppe gefunden worden sind. Als drittes - und das ist auch ein wichtiger und entscheidender Punkt - gab es Pläne, in den Bundestag einzudringen, um dort unter Waffengewalt und auch unter Inkaufnahme von Toten und Verletzten Politikerinnen und Politiker festzunehmen.

Das ist ein großes Problem, was recht häufig hinter der Skurrilität, die auch in der Gruppe vorhanden gewesen ist, zurücktritt. Diese Menschen hatten ein großes Ressourcen-Potenzial zur Verfügung, um einen Anschlag im Bundestag vorzunehmen, um Regierungsmitglieder zu verhaften. Und jede Person, die dabei zu Schaden gekommen wäre, wäre eine zu viel gewesen. Abgesehen davon hätte es einen großen symbolischen Charakter gehabt, einen solchen Anschlag dann auf einer Regierungsinstitution vorzunehmen.

BR24: Sie haben gesagt, die Gruppe hätte die Regierung nicht stürzen können. Was macht Sie da so sicher?

Rathje: Dafür hätten viel zu viele andere Faktoren mitberücksichtigt werden müssen. Man kennt das aus dem Zusammenhang mit einer anderen mutmaßlichen Reichsbürger-Terrorgruppe, die geplant hat, die Bevölkerung und das politische System zunächst durch Blackouts, also Anschläge auf die Infrastruktur der Bundesrepublik, lahmzulegen und zu schwächen. Und in der Gruppe Reuß soll man sich mutmaßlich eher auf andere Verschwörungserzählungen bezogen haben, darauf gewartet haben, dass es Unterstützung von einer mutmaßlich mächtigen Allianz gegeben hätte aus Geheimdienstmitarbeitenden und Militärs, die sie in ihrem Vorhaben unterstützt hätten.

Nichtsdestotrotz sind das Gewaltpotenzial und das Gefahrenpotenzial die in der Gruppe vorhanden waren, durch den Ausbildungsstand der Personen, die dieser Gruppe angehört haben, sehr hoch gewesen - und dadurch, dass sich Mitglieder der Gruppe auch schon auf einen solchen Anschlag etwa mittels eines Schießtrainings vorbereitet haben sollen.

Im Video: BR24live: "Gruppe Reuß" – Reichsbürger vor Gericht

Heute begann der Reichsbürger-Prozess am Oberlandesgericht München.
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Heute begann der Reichsbürger-Prozess am Oberlandesgericht München.

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