Ein Bild sagt manchmal mehr als tausend Worte: Bevor die Parteispitzen am Montag den Koalitionsvertrag im Berliner Gasometer unterzeichneten, gab es einen Fototermin mit den SPD-Parteichefs sowie den neuen Ministern und Staatssekretären der Partei. Lars Klingbeil, ganz links, überragte mit seinen 1,96 Metern alle anderen. So wie sie da standen, schien die Sonne lediglich auf seinen Kopf – während alle anderen im Schatten standen.
SPD-Minister: Jünger und weiblicher
"Wenn Klingbeil keine Regieanweisung an Petrus gegeben hat, das so zu arrangieren, dann kennzeichnet dieses Bild die Situation in der SPD", sagt Politikwissenschaftler Gero Neugebauer im BR24-Interview. Seitdem er Parteichef ist, habe Klingbeil mehr und mehr Macht an sich gerissen. Nach der Bundestagswahl übernahm Klingbeil zusätzlich vorübergehend den Fraktionsvorsitz. In der neuen Regierung ist er nun Vizekanzler und Finanzminister. Auch bei der Auswahl der SPD-Minister hatte er maßgeblich das Sagen.
Nur einer hat seinen Ministerposten behalten, Verteidigungsminister Boris Pistorius. Die restlichen Minister und Staatssekretäre sind nicht nur neu, sondern im Vergleich der letzten Regierung jünger und weiblicher. "Einerseits ist es die Strategie der Erneuerung", erklärt Parteienforscher Neugebauer. "Klingbeil will Gesichter zeigen, die dem Anspruch der SPD, jünger und weiblicher zu sein, gerecht werden." Zugleich würden die neuen aber auch die nötige Erfahrung mitbringen. "Es sind keine Neulinge im Regierungsgeschäft", so Neugebauer. Dieser "Mix aus Erneuerung und Erfahrung" sei Klingbeil gut gelungen.
Geht Klingbeils Strategie auf?
Damit könne überdeckt werden, dass mehrere SPD-Landesverbände bei der Postenvergabe leer ausgegangen sind. Proporz spielte im Vergleich zu sonst eine untergeordnete Rolle – wichtiger war offenbar ein gutes Verhältnis zu Klingbeil, der vor allem Vertraute mit in die Regierung nahm. Für Neugebauer zeigt das die gegenwärtige Machtfülle von Klingbeil innerhalb der Partei. "Klingbeil will Menschen um sich haben, die loyal sind, die mit ihm kooperiert haben, mit denen er auf gleicher Wellenlänge ist". Bestes Beispiel dafür sei der neue Umweltminister Carsten Schneider.
Inwiefern die Strategie aufgeht, mit einer jüngeren und weiblicheren Ministerriege Menschen innerhalb und außerhalb der Partei zu überzeugen, da wagt Neugebauer noch keine Prognose. Man müsse den Erfolg davon abhängig machen, wie das neue Kabinett in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und wie es in den Medien abschneidet.
Grummeln in der SPD
Dass sie gut performen, werde für Klingbeil essenziell sein. Sein Prinzip, mehr als seine Vorgänger auf Vertraute und weniger auf Proporz zu setzen, könne dazu führen, "dass er die von ihm erwünschte Zustimmung der gesamten Partei aufgrund mangelnder Berücksichtigung nicht bekommt", sagt Neugebauer im BR24-Gespräch. Dann dürften inhaltliche Konfliktlinien sichtbarer werden. Hier sieht Neugebauer besonders die Migrations-, Wohnungs- und Rentenpolitik als Themen, die aufkochen könnten.
Dass es Unzufriedene in der SPD gibt, habe auch die erste, gescheiterte Wahl von Friedrich Merz zum Kanzler gezeigt. Neugebauer vermutet die Abweichler eher in der SPD als in der CDU. Die Identität der CDU werde durch den Machtbesitz bestimmt. "Kein Unionsabgeordneter ist so blöd, dies in Frage zu stellen, selbst wenn es grummelt". Die SPD sei eher werteorientiert, verstehe sich als diskussionsfreudige Partei. Ärger über das Durchregieren Klingbeils könne Abgeordnete dazu veranlasst haben, im ersten Wahlgang gegen Merz zu stimmen.
"Die SPD wird es in dieser Koalition nicht leicht haben"
Der Parteienforscher glaubt deswegen, dass CDU/CSU nach dem Ärger vom Dienstag schon bald klarmachen wolle, wer Koch ist – und wer Kellner. Die Union werde womöglich bei mehreren Punkten des Koalitionsvertrags, die unter Finanzierungsvorbehalt gestellt wurden, von den Sozialdemokraten eine Abkehr fordern.
"Die SPD wird es in dieser Koalition nicht leicht haben", glaubt Neugebauer, und sie laufe Gefahr, zu einer Funktionspartei zu verkommen. Es werde für Klingbeil die große Herausforderung sein, in einer Koalition mit der Union ein neues, eigenständiges SPD-Profil zu schaffen. Es gehe darum, "wieder Interesse in der Wählerschaft zu erzeugen, dass ihre politischen Angebote auch nachgefragt werden."
Dabei kann die neue Ministerriege helfen. Aber Klingbeil muss auf schnelle Erfolge hoffen – um sowohl bei Wählern zu punkten als auch in der eigenen Partei.
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