Dieses von "Planet Labs PBC" zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt einen Überblick über die Schäden am Kachowka-Damm in der Süd-Ukraine.
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Zerstörter Kachowka-Staudamm: Was wir wissen – und was nicht

Zerstörter Kachowka-Staudamm: Was wir wissen – und was nicht

Nahe der ukrainischen Stadt Nowa Kachowka zerstört eine heftige Explosion einen wichtigen Staudamm. Die Ukraine und Russland machen sich gegenseitig dafür verantwortlich. Ursache und Motiv sind bisher jedoch unklar. Was wir wissen – und was nicht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

In den frühen Morgenstunden am 6. Juni 2023 wurde der Kachowka-Staudamm durch eine Explosion zerstört. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge soll sich die Detonation gegen 02.50 Uhr Ortszeit (01.50 Uhr MESZ) zugetragen haben. Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig verantwortlich. Welche Folgen hat die Explosion für die Ukraine, aber auch für die Welt? Ein Überblick.

Wo liegt der Kachowka-Staudamm?

Der Kachowka-Staudamm und das angrenzende Wasserkraftwerk befinden sich in der Stadt Nowa Kachowka in dem von Russland besetzten Teil der ukrainischen Region Cherson. Russland hatte das Nachbarland Ukraine im Februar 2022 überfallen und das Gebiet Cherson besetzt. Die gleichnamige Gebietshauptstadt steht zwar unter ukrainischer Kontrolle, Städte südlich des Flusses Dnepr wie Nowa Kachowka sind hingegen in russischer Hand.

Der Fluss, der in dieser Gegend die Frontlinie darstellt, wird in Nowa Kachowka zum sechsten und letzten Mal vor dem Schwarzen Meer insgesamt auf 200 Kilometer Länge gestaut.

Karte: Die militärische Lage in der Ukraine

Welchen Schaden hat die Explosion angerichtet?

Das angrenzende Wasserkraftwerk ist nach Angaben beider Kriegsparteien betroffen. Der nahe der Kriegsfront gelegene Staudamm ist zerstört. Auch das Wasserkraftwerk ist komplett ruiniert.

War der Kachowka-Damm immer schon ein potentielles Angriffsziel?

Bereits zu Beginn des russischen Angriffskrieges besetzte Russland den Staudamm und das Kraftwerk. Die Kontrolle über Wasser und Energie gehören zu den wichtigsten Druckmitteln des Krieges.

Schon lange wurde befürchtet, dass der Staudamm zerstört und das Gebiet überflutet werden könnte. Denn es ist nicht das erste Mal, dass er Ziel von Attacken wird: Im Herbst 2022 etwa hatten ukrainische Kräfte die Brücke über den Staudamm mit Präzisionsschlägen angegriffen und den russischen Nachschub gestört. Russische Truppen wiederum hatten bei Rückzügen mit kontrollierten Sprengungen weitere erhebliche Schäden angerichtet. Bald war die Brücke nicht mehr passierbar. Für besondere Beunruhigung sorgte, als die Besatzer im November die Evakuierung Nowa Kachowkas ankündigten.

Wer ist für die Explosion verantwortlich?

Moskau und Kiew weisen sich gegenseitig die Schuld an der Explosion zu. Beide Seiten sprechen von einem "Terroranschlag". Während die Ukraine Russland Staatsterrorismus vorwirft und die Tat mit dem Einsatz einer Massenvernichtungswaffe vergleicht, beschuldigt Moskau ukrainische Truppen des Beschusses und einer vorsätzlichen Sabotage. Keine der beiden Seiten legte bislang Beweise vor.

Auch der Westen macht Russland für die Tat verantwortlich: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wirft Moskau vor, immer stärker zivile Ziele anzugreifen.

Für Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigt die Tat "einmal mehr die Brutalität von Russlands Krieg in der Ukraine". Der britische Außenminister James Cleverly spricht von einem "Kriegsverbrechen".

Welches Motiv könnte es für die mutmaßliche Sprengung geben?

Spekuliert wird, dass der Vorfall ein russischer Sabotageakt sein könnte, um eine ukrainische Gegenoffensive auszubremsen. Moskau streitet das ab.

Die Überschwemmungen betreffen besonders die von Russland besetzte Region südlich des Dnepr, die als ein Hauptziel eines solchen möglichen Vormarsches gilt.

Besteht ein atomares Risiko?

Für das am nördlichen Ende des Stausees gelegene Atomkraftwerk Saporischschja bestehe keine unmittelbare Gefahr, heißt es übereinstimmend von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) und dem russischen Atomkonzern Rosenergoatom. Die IAEA hatte bereits gestern auf Twitter Entwarnung gegeben.

Der Institution zufolge werden aber in dem von Russland besetzten AKW Maßnahmen zum Weiterbetrieb der Kühlsysteme getroffen, die normalerweise mit dem aufgestauten Wasser gespeist werden. Verhindert werden muss, dass die Reaktorkerne und der Atommüll gefährlich überhitzen.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace zeigte sich am Mittwoch dennoch alarmiert: Sinke der Wasserspiegel des Stausees zu sehr ab, könne das AKW-eigene Kühlbecken nicht mehr direkt nachgefüllt werden, sondern nur noch mit Pumpen aus anderen Quellen. Das russische Militär müsse die Besatzung des Atomkraftwerks sofort beenden und es dem ukrainischen Personal ermöglichen, die notwendigen Maßnahmen ohne jegliche Einmischung zu ergreifen.

Was bedeutet die Sprengung für die Bevölkerung vor Ort?

Südlich gelegenen Orten und auch der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim könnte eine Knappheit bei der Wasserversorgung drohen, denn sie werden aus dem Kachowka-Stausee beliefert. Auch Ortschaften stromaufwärts könnten betroffen sein, wenn das riesige Wasserreservoir etwa für die Landwirtschaft fehlt. Die Zerstörung des Wasserkraftwerks könnte zudem zu den Energieproblemen der Ukraine beitragen.

In der Großstadt Cherson stieg das Wasser laut Behörden bereits um mehr als zwei Meter, die ersten Etagen von Gebäuden sind überschwemmt. Die Evakuierung der Bewohner laufe, hieß es.

Außerdem meldeten die Ukraine und Russland am Donnerstag insgesamt drei Tote in der teilweise überschwemmten ukrainischen Region Cherson bei Angriffen der jeweils anderen Seite. Durch russischen Beschuss auf das Zentrum der von der Ukraine kontrollierten Stadt Cherson sei ein Zivilist während Evakuierungen getötet worden, teilte die örtliche Staatsanwaltschaft mit. In einem Ort bei Cherson seien zudem vier Menschen bei einem weiteren Angriff verletzt worden.

Wie ist der aktuelle Stand der Überschwemmungen?

Die Wasserpegel in einigen von Russland kontrollierten Gebieten von Cherson werden einem Bericht der Nachrichtenagentur Tass zufolge noch drei bis zehn Tage lang weiter steigen. Die Agentur beruft sich bei ihrer Prognose vom Mittwoch auf Rettungsdienste.

Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal sprach schon kurze Zeit nach der Explosion von einer Überschwemmungsgefahr für bis zu 80 Ortschaften. Wissenschaftler der Hochschule Magdeburg-Stendal haben in einer frühen Modellierung errechnet, dass 60.000 Menschen betroffen sein könnten, etwa ein Drittel davon sind gefährdet. Dem Gouverneur des Verwaltungsgebiets Cherson, Olexander Prokudin, zufolge befinden sich 16.000 Menschen in der Gefahrenzone. Die EU sprach von Hunderttausenden Zivilisten, deren Leben gefährdet sei. Informationen zu möglichen Verletzten gab es zunächst nicht.

Unabhängige Angaben zu Opfern, Verletzten und Geretten gibt es bisher keine. Ukraines Präsident Selenskyj sprach von 2000 Menschen, die im ukrainischen Teil des vom Hochwasser besonders betroffenen Gebiets Cherson gerettet worden seien. Schwer sei die Lage allerdings im russisch besetzten Teil des Gebiets. Er machte keine Angaben, wie viele Ukrainer durch das Hochwasser ums Leben kamen.

Was bedeutet die Explosion aus militärischer Sicht?

Die russischen Truppen haben durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine aus Sicht des Militärs in Kiew und von US-Experten Verluste hinnehmen müssen. Die Besatzer seien nicht vorbereitet gewesen auf die Folgen der Sprengung des Staudamms und hätten deshalb Soldaten, Ausrüstung und Militärtechnik verloren, teilte der Generalstab am Donnerstag in Kiew mit.

Weitere Konsequenzen werden sich

Welche Folgen hat die Katastrophe für die Umwelt?

Nach nicht unabhängig prüfbaren Angaben der ukrainischen Führung sind mindestens 150 Tonnen Maschinenöl in den Fluss Dnepr gelangt. 300 weitere Tonnen Öl drohten noch auszulaufen. Auch Flora und Fauna werden wahrscheinlich stark betroffen sein.

Greenpeace zeigte sich alarmiert und warnt vor allem vor Umweltbedrohungen durch giftige und andere Schadstoffe, schwere Schäden an empfindlichen Ökosystemen, Nationalparks und am Biosphärenreservat Schwarzes Meer.

Welche Folgen drohen global?

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) ist alarmiert. Sie warnt nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine vor verheerenden Konsequenzen für hungernde Menschen weltweit. "Die massiven Überflutungen vernichten neu angepflanztes Getreide und damit auch die Hoffnung für 345 Millionen Hungerleidende auf der ganzen Welt, für die das Getreide aus der Ukraine lebensrettend ist", sagte der Leiter des Berliner WFP-Büros Martin Frick der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Mit Informationen von dpa, Reuters

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