Die EU-Kommission bleibt dabei: Trotz des Widerstands einiger Mitgliedsstaaten empfiehlt sie Investitionen in Atomkraft und Erdgas unter bestimmten Auflagen als nachhaltig. Die Brüsseler Behörde hat ihren am Silvestertag vorgelegten und heftig umstrittenen Entwurf für die sogenannte Taxonomie kaum verändert. Das war allerdings auch nicht zu erwarten. Schließlich hatten Fachleute der Kommission im Vorfeld ausgiebig mit allen 27 Regierungen diskutiert.
Außerdem kann es Brüssel sowieso nicht allen Recht machen: Einige Mitgliedsstaaten lehnen ein grünes Siegel für Investitionen in Nuklearenergie und Erdgas ab. Andere fordern genau das, um wegzukommen von der noch klimaschädlicheren Kohleverstromung.
Herausgekommen ist ein typischer Brüsseler Kompromiss, der vor allem den Interessen der zwei größten und wichtigsten Mitgliedsstaaten Rechnung trägt: Frankreich, das seinen Strom zu 70 Prozent aus Kernkraft gewinnt und diese Technologie unbedingt einbeziehen wollte. Und Deutschland, das zwar Nuklearenergie nicht als nachhaltig bewertet, Erdgas übergangsweise aber schon.
Privates Kapital für den grünen Wandel
Kohle, Atom, Gas, Wind und Sonne - aus welchen Quellen ein EU-Land seine Energie gewinnt, ist und bleibt allein seine Sache. Da hat die EU-Kommission nichts mitzureden. Wenn es um Regeln für die Finanzmärkte geht, allerdings schon. Brüssels sogenannte Taxonomie ist also ein Instrument der Finanz- und nicht der Energiepolitik. Das Ziel ist, mehr privates Kapital aufzubringen für Europas nachhaltigen Umbau.
Der wird nach Schätzungen der Kommission pro Jahr rund 350 Milliarden Euro kosten. Die Behörde empfiehlt in ihrem Regelbuch Finanzprodukte, die Umwelt und Ressourcen schonen. Dazu zählt sie auch Investitionen in Atomkraft und Erdgas – jedenfalls solange, bis in Europa der Strom ganz aus Sonne, Wind und Wasser kommt.
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Strenge Auflagen für Atom und Gas
Dafür gelten Bedingungen: Atomkraftwerke müssen für das Öko-Siegel die Baugenehmigung vor 2045 bekommen, für die Zeit ab 2050 braucht es einen Plan zur Endlagerung des strahlenden Abfalls. Hier sieht die Kommission Finnland, Schweden und Frankreich auf gutem Weg. Auch die Nachrüstung alter Meiler bis 2040 ist laut dem Rechtsakt nachhaltig.
Für Gaskraftwerke gilt: Sie dürfen bestimmte CO2-Grenzwerte nicht überschreiten, ersetzen noch klimaschädlichere Kohlemeiler und die Betreiber müssen bis 2035 auf klimafreundlichere Energieträger umsteigen, zum Beispiel auf grünen Wasserstoff oder Biogas. Im Silvester-Entwurf hatte die Kommission noch Zwischenschritte bis zu diesem Umstieg vorgeschrieben – etwa die Beimischung klimafreundlicherer Energieträger schon ab 2026. Dieser Passus wurde gestrichen. Die Bundesregierung hatte verlangt, die Kriterien für Gas lockerer zu fassen. Kraftwerke können also möglicherweise länger vergleichsweise schädliches Erdgas verfeuern.
Protest aus Nord und Süd
Frankreich und Finnland sind zufrieden mit dem Brüsseler Vorstoß. Auch osteuropäische Länder setzen auf Atomkraft und Gas, um mittelfristig aus der Kohleverbrennung auszusteigen. Aber Dänemark, Schweden und die Niederlande halten Erdgas nicht für nachhaltig. Österreich und Luxemburg haben Klagen gegen den Rechtsakt angekündigt. Die Erfolgsaussichten sind nach Ansicht von Fachleuten allerdings gering.
Umweltverbände sowie Europaabgeordnete von SPD, Grünen und CSU haben den Beschluss scharf kritisiert. Aber die Kommission sitzt am längeren Hebel. EU-Parlament und Mitgliedsstaaten bekommen bis zu sechs Monate Zeit, um den Rechtsakt zu studieren, abschmettern können sie ihn kaum noch. Dafür müssten 20 der 27 EU-Regierungen dagegen stimmen oder eine absolute Mehrheit der Abgeordneten, beides ist wenig wahrscheinlich.
Mehr Geld für Atomkraft?
Die Meinung der Deutschen dazu ist eindeutig: In Umfragen stuft eine Mehrheit Nachhaltigkeit bei der Geldanlange als wichtig und Atomenergie als nicht nachhaltig ein. Dies folgt aus repräsentativen Umfragen 2021 im Auftrag von Bürgerbewegung Finanzwende und der Deka Bank.
Ob Anlegerinnen und Anleger in Deutschland nach der Brüsseler Empfehlung mehr Geld in Atomkraft stecken werden ist deshalb zumindest offen. Fondsanbieter sind zurückhaltend. Manche schätzen die Bedeutung des Brüsseler Vorstoßes für die Finanzmärkte zunächst als sehr gering ein und wollen ihre Kriterien für Nachhaltigkeit nicht nachjustieren.
Das könne sich aber ändern, wenn die Kommission ihre Taxonomie ausbaut, heißt es. Einige kritisieren, dass der ohnehin unübersichtliche Markt für grüne Fonds jetzt noch komplizierter wird. Und sie bezweifeln, dass der Kommissionsbeschluss das Vertrauen in Öko-Finanzprodukte steigert. Möglicherweise wird der Brüsseler Vorstoß also weniger schaden, als seine Kritiker fürchten, aber auch weniger nützen, als seine Befürworter hoffen.
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