Zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse wurde die amerikanisch-polnische Historikerin und Journalistin Anne Applebaum mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. "Die Verleihung des Friedenspreises ist vielleicht ein guter Moment, um darauf hinzuweisen, dass der Ruf nach Frieden nicht immer ein moralisches Argument ist", sagte Applebaum in der Frankfurter Paulskirche.
"Wer 'Pazifismus' fordert und nicht nur Gebiete an Russland abtreten will, sondern auch Menschen, Prinzipien und Ideale, der hat rein gar nichts aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt", sagte Applebaum. Die eigentliche Lehre aus der deutschen Geschichte sei nicht, dass Deutsche nie wieder Krieg führen dürfen, "sondern dass sie eine besondere Verantwortung dafür haben, sich für die Freiheit einzusetzen und dabei auch Risiken einzugehen."
Laudatio von Irina Scherbakowa
Zuvor wurde die Friedenspreisträgerin von der russischen Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa in einer Laudatio gewürdigt. Applebaum habe den westlichen Ländern vor Augen geführt, dass sie sich gegenüber der Aggressivität Russlands "im wahrsten Sinne des Wortes" verteidigen müssten, sagte Scherbakowa. Die Kulturwissenschaftlerin ist Mitbegründerin der seit 2022 in Russland verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial, der im selben Jahr der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde.
Scherbakowa, die ihr Heimatland 2022 verließ, warnte davor, die Gefahr zu unterschätzen, die von der Bedrohung durch das Putin-Regime ausgehe. Applebaum habe aufgezeigt, dass der Sieg über den Faschismus für die Länder in Osteuropa keine Befreiung gewesen sei. Vielmehr habe das russische System mit seiner Mischung aus Terror und Gewalt für sie eine andere Form von Diktatur gebracht.
Wichtige Analytikerin autokratischer Herrschaftssysteme
In der Begründung zur Verleihung des Friedenspreises lobte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Applebaum als eine der wichtigsten Analytikerinnen autokratischer Herrschaftssysteme. Die Expertin der osteuropäischen Geschichte habe schon früh vor einer möglichen gewaltvollen Expansionspolitik des russischen Präsidenten Putin gewarnt. Das Werk der Historikerin sei ein wichtiger Beitrag für die Bewahrung von Demokratie und Frieden.
"Anne Applebaum hilft der Welt zu verstehen, wie sie ist: gespalten, mit einer sinkenden Zahl an Demokratien und einer wachsenden Zahl von Autokratien", sagte Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
Expertin für Russland und Internationale Beziehungen
Applebaum wurde 1964 in Washington D.C. als Kind jüdischer Eltern geboren. Sie studierte Russische Geschichte und Literatur an der Yale University sowie Internationale Beziehungen in London und Oxford. 1988 wurde Applebaum Auslandskorrespondentin in Polen für das britische Nachrichtenmagazin "The Economist", dann arbeitete sie für mehrere britische Zeitungen. Bis 2019 schrieb sie als Kolumnistin für die "Washington Post", seither vornehmlich für die US-amerikanische Zeitschrift "The Atlantic".
2017 übernahm sie eine dauerhafte Professur an der London School of Economics and Political Science. Ihr dort entworfenes Programm "Arena" über Desinformation und Propaganda verlegte sie 2019 an das Agora-Institut der Johns Hopkins University in Baltimore.
Preisgekrönte Publizistin
Applebaum lebt seit 30 Jahren mit Unterbrechungen in Polen, verheiratet ist sie mit dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski. Für ihre Bücher "Der Gulag" (2003), "Der Eiserne Vorhang" (2012), "Roter Hunger" (2019) und die "Die Verlockung des Autoritären" (2021), in denen sie den Mechanismen autoritärer Machtsicherung nachspürt, wurde sie ausgezeichnet. Unter anderem erhielt sie den Pulitzer-Preis 2004 und den Carl-von-Ossietzky-Preis 2024.
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Auszeichnung wird traditionell am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse in der Frankfurter Paulskirche verliehen. Im vergangenen Jahr wurde der Schriftsteller Salman Rushdie geehrt.
Mit Informationen von AFP und dpa.
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