Die beiden Politiker im Mai 2023
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Wolodymyr Selenskyj (links) und der französische Präsiden Macron

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"Der Frosch wird gegart": So reagiert Russland auf NATO-Streit

"Der Frosch wird gegart": So reagiert Russland auf NATO-Streit

Nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron den Einsatz von westlichen Bodentruppen in der Ukraine nicht völlig ausschloss, wird er von russischen Propagandisten mit Napoleon verglichen: "Es war wahrscheinlich ein Versuchsballon".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Mit typisch britischer Coolness hieß es in der "Financial Times": "Jeder weiß, dass westliche Spezialkräfte in der Ukraine im Einsatz sind - sie haben es nur noch nicht offiziell bestätigt." Bei diesem Zitat beruft sich das Blatt auf einen hochrangigen europäischen Verteidigungspolitiker. Der soll erklärt haben, dass der französische Präsident Emmanuel Macron mit seiner hoch umstrittenen Bemerkung über den Einsatz von westlichen Bodentruppen in der Ukraine Putin "abschrecken und verunsichern" wollte. Wie auch immer: In Russland wird darüber lebhaft debattiert, und zwar überraschend kontrovers - aber auch ironisch.

Während kremlnahe Propagandisten die NATO im Allgemeinen und Macron im Besonderen nach Kräften verspotten, zeigen sich Politologen eher besorgt: "Eine solche Aussage war wahrscheinlich ein Versuchsballon mit einer absolut verständlichen und vorhersehbaren Reaktion, aber kann irgendjemand sagen, wie es in sechs Monaten oder einem Jahr aussehen wird? Wir nicht. Sie haben auch über die NATO-Erweiterung gelacht, na und? Ist alles gut?"

"Franzosen haben schlechtes Gedächtnis"

Die Franzosen hätten ja eine Fremdenlegion, die in Afrika zunehmend unterbeschäftigt sei, spottete ein Leser der St. Petersburger Zeitung "Fontanka". Ein anderer meinte ironisch, wenn die "Gelbwesten" an die Front entsendet würden, also die innerfranzösische Protestbewegung, könne es wirklich schwierig werden für den Kreml. Ein Etymologie-Fan meinte: "Es stellt sich heraus, dass die Franzosen ein schlechtes Gedächtnis haben. Deshalb machen sie so viel Aufhebens. Das französische Wort 'Bistro' kommt aus dem Russischen. Mit diesem Begriff trieben russische Offiziere und Kosaken die besiegten Franzosen nach der Einnahme von Paris im Jahr 1813 vor sich her." Allerdings ist umstritten, ob der russische Ausdruck "bystro" (schneller!) wirklich den bekannten Lokalen den Namen gab.

Macron solle erst mal seine eigenen Bauern besiegen, war zu lesen, und auch: "Warum Stalin darauf bestand, das von der Wehrmacht besetzte Frankreich zu den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs zu zählen, versteht bis heute niemand. Schwächlich, redselig, gierig, gibt der Franzose immer schnell auf." Das Symbol Frankreichs sei nicht von ungefähr der gallische Hahn. Und etwas anzüglich schrieb jemand: "Der Macron-Kuchen wird auf dieselbe Weise zubereitet wie der von Napoleon, nur ohne Eier."

"Deeskalation durch Eskalation ist alte Methode"

Der kremlnahe Politologe Nikolai Sewostjanow argumentierte betont unaufgeregt, der Westen habe schon lange keine Angst mehr vor "roten Linien" aus Moskau. Leider hätten recht hochrangige russische Politiker dazu wesentlich beigetragen: "Das westliche Kontingent befindet sich de facto bereits in Form von Söldnern, Beratern und Militärpersonal auf dem Territorium der Ukraine." Vermutlich habe der Westen im Kreml einige Fürsprecher, die am Einlenken interessiert seien: "Deeskalation durch Eskalation, insbesondere verbal und unabhängig von einer realen Bedrohung, ist eine alte und vielfach erprobte Methode. Die Tatsache, dass ein solches Szenario überhaupt möglich wurde, ist die Schuld derjenigen [russischen Politiker], die immer wieder versprochen haben, 'eine Abreibung zu verpassen, wenn...' und dann so getan haben, als wäre nichts geschehen, als dieses 'wenn' eintrat."

"Für Peking wird es schmerzhaft"

Ein Kommentator vermutete, Macron habe lediglich die [nachlassende] Aufmerksamkeit des französischen Publikums auf die Ukraine richten wollen. Seine Bemerkungen hätten sich in erster Linie ans eigene Land gerichtet: "Sie sind notwendig, um die Bereitschaft der Bürger zu erhöhen, mehr Geld für die Ukrainehilfen auszugeben, und um die Aufmerksamkeit von den inneren Problemen des Landes auf äußere zu lenken."

Im Prinzip führten "globalisierte Gesellschaften der postindustriellen Welt" nicht gern Kriege. Darauf müssten westliche Politiker Rücksicht nehmen: "In der aktuellen Lage ist selbst der Austausch solcher verbalen Schläge und 'Komplimente' gefährlich: Es könnte eine Situation entstehen, in der es keinen naheliegenden Ausweg mehr gibt. Aber im Moment hat es keinen Sinn, darüber nachzudenken, die Möglichkeiten einer Deeskalation bleiben bestehen. Die Vereinigten Staaten scheinen sich [von Macron] zu distanzieren: Die Geschichte lehrt, dass ihnen eine solche Strategie langfristig Dividenden bringt. Aber im aktuellen Szenario gibt es auch einen möglichen 'Beifall eines Dritten' – von China. Allerdings wird es für Peking schmerzhaft sein, wenn China von den europäischen Märkten abgeschnitten wird, und im Falle einer Eskalation wird das passieren."

"Warum tauchte das Thema auf?"

"Eine weitere 'rote Linie' wird langsam ausradiert. NATO-Staaten denken darüber nach, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden", heißt es in einem der meist zitierten Blogs: "Es sollte klar sein: Obwohl es sowohl in der ukrainischen, als auch in der russischen Armee längst ausländische Söldner gibt, wird die Entsendung von NATO-Truppen zu einer stärkeren Eskalation des Konflikts und einer erheblichen Schwächung der Position Moskaus führen. Der Frosch wird langsam gegart, und es scheint, dass auch Russland kurz vor dem Garvorgang steht."

Für den kremlkritischen Exil-Politologen Anatoli Nesmijan ist nicht so sehr interessant, was Macron sagte, sondern welche möglichen Absichten dahinter standen: "Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder stehen die ukrainischen Streitkräfte kurz vor der Niederlage, oder es gibt noch andere Dinge, die noch nicht beim Namen genannt wurden. Ehrlich gesagt sieht es nicht nach einer Niederlage aus, obwohl die Situation für die ukrainischen Streitkräfte eindeutig schwierig ist. Bisher liegt alles im Rahmen der militärischen Logik: Die ukrainischen Streitkräfte versuchen, das Offensivpotenzial der russischen Streitkräfte zu zermürben und auszuschalten, gehen etwa 30 km von den aufgegebenen Stellungen entfernt in die Defensive; russische Truppen versuchen, diese Distanz zu überwinden, um zu verhindern, dass die ukrainischen Streitkräfte Fuß fassen können. Das ist im Allgemeinen ziemlich nachvollziehbar und wird als 'Routine' bezeichnet. Warum also tauchte plötzlich das Thema der Entsendung ausländischer regulärer Streitkräfte in die Ukraine auf?"

"Genau weiß es niemand. Nur der Herr."

Für den rechtsextremen russischen Philosophen Alexander Dugin, der als Vordenker der Nationalisten gilt, ist es ausgemachte Sache, dass Russland zwei Jahre nach Beginn der "Spezialoperation" vor einer direkten Konfrontation mit der NATO steht. Macron warf er "narzisstische Idiotie" vor und erinnerte an den berühmten Ausspruch des französischen Königs Ludwig XIV. (1638 - 1715), "Der Staat bin ich". Russland habe sich "endgültig" vom Westen gelöst, jetzt sei jeder auf sich allein gestellt: "Tatsächlich war die Spezialoperation der Beginn des Krieges mit der NATO. Und wenn sich alles noch ein bisschen mehr in diese Richtung bewegt, ist das Ende der Welt nicht auszuschließen, und das ist im Allgemeinen das größte aller Ereignisse. Aber genau weiß es niemand. Nur der Herr." Dugin hofft auf ein Ende der "Hegemonie des Westens" und eine Welt "ohne Liberalismus": "Das ist nicht nur schon lange nicht mehr passiert, sondern überhaupt noch nie."

"Rache in napoleonischem Ausmaß"

Wenig überraschend, dass die aggressivsten Kreml-Propagandisten Macron an den verhängnisvollen Feldzug von 1812 erinnerten. Der russische Parlamentspräsident Wjatscheslaw Wolodin empfahl dem Franzosen, nicht zu vergessen, "wie es für Napoleon und dessen Soldaten endete, von denen mehr als 600.000 in der feuchten russischen Erde" geblieben seien.

Der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew sprach von einem "westlichen Panoptikum", das einen "traurigen, manchmal lustigen, aber auch unheilvollen Anblick" darbiete und empfahl Macron, seine "Ernährung umzustellen". Austern und Champagner seien zwar an sich lecker, aber Macron zeige Symptome von "Sprachdurchfall": "Die kleinen Erben Bonapartes, die die vor zweihundert Jahren abgerissenen goldenen Schulterklappen wieder anprobieren, dürsten nach Rache in napoleonischem Ausmaß und sorgen für einen heftigen und äußerst gefährlichen Schneesturm über die Entsendung von Truppen einzelner NATO-Staaten nach Kiew."

"Ohne juristische Quälerei gelöst"

Der kremlnahe Politologe Sergej Markow vermutete, dass Macron in Europa keineswegs so isoliert dastehe wie es zunächst den Anschein hatte: "Stellte sich heraus, dass Macron der einzige ist, der darüber nachdenkt, Truppen in die Ukraine zu schicken? Nein. Ich bin sicher, dass Großbritannien und Polen in der ersten Reihe stehen. Doch der Aufschrei war so groß, dass ihre Regierungen einen Rückzieher machten."

Der ebenfalls dem Kreml gewogene Politikwissenschaftler Georgi Bovt wagte eine sehr konkrete Prognose: "Offenbar ist die direkte Einbindung von NATO-Einheiten in den militärischen Konflikt eine Frage des laufenden Jahres. Darauf folgt die Einführung einer Flugverbotszone über zumindest einem Teil der Ukraine, die Proklamation des Status der NATO-Truppen als Friedenstruppen und ihr späterer Einsatz an der Front. Wenn etwas schief geht, steht ein Atomkrieg unmittelbar bevor. Im Falle eines militärischen Zusammenstoßes mit der NATO wird auch die Frage der Beschlagnahmung russischen Eigentums [im Ausland] sehr schnell und ohne juristische Quälerei gelöst."

"Rückgang militärischen Potentials"

Deutlich mehr Aufruhr als Macron erzeugt derzeit in Russland der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan, der sich faktisch aus dem von Moskau dominierten Militärbündnis der "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" (OVKS) zurückzog und die Annäherung an Frankreich sucht: "Der Auslöser dafür war natürlich die Ukraine-Front und der Kriegsverlauf, der zu einem spürbaren Rückgang unseres militärischen Potenzials führte, das nun möglicherweise nicht mehr ausreicht, um die regionale Führungsrolle zu gewährleisten", urteilte ein russischer Polit-Blogger.

Selbst ein NATO-Beitritt Armeniens sei längerfristig nicht ausgeschlossen: "Das bedeutet eine fast vollständige Neuordnung des regionalen Sicherheitssystems, das wir in den 1990er Jahren aufgebaut haben, und schafft eine neue Quelle von Turbulenzen, die das Gewicht Russlands verringern und enorme Risiken in der Zone unseres wichtigsten 'Korridors' zum Nahen Osten schaffen." Russland könne mangels militärischer Möglichkeiten nicht nur Armenien "verlieren", sondern den gesamten Kaukasus.

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