Der Appell, den CNN-Journalistin Christiane Amanpour in der ersten Episode von "Disclaimer" während einer Preisverleihung äußert, ist so kurz wie unmissverständlich: "Nehmen Sie sich vor Narrativen und Denkmustern in acht." Dass sich ihre Warnung nicht nur an die im Saal versammelten Serienfiguren richtet, sondern vor allem an das Publikum vor dem heimischen Monitor, ist in diesem Moment noch nicht klar. Aber die lauwarme Kloßbrühe, als die sich "Disclaimer" entpuppt, wird mit diesen mahnenden Worten ja grad erst serviert.
Rache an Cate Blanchett
Aufpassen sollte man sowieso von Anfang an. Denn die siebenteilige Miniserie des mexikanischen Starregisseurs Alfonso Cuarón springt munter zwischen allerlei Zeitebenen hin und her. Die Galaveranstaltung mit dem Gastauftritt von Amanpour repräsentiert die Gegenwart und führt die von Cate Blanchett gespielte Hauptfigur Catherine Ravenscroft ein: eine Dokumentarfilmerin aus der Londoner Upper Class, die für ihre hohen moralischen Standards ausgezeichnet wird und bereits am Ende der ersten Episode als fragwürdiger und undurchschaubarer Charakter erscheint. Der Grund ist ein Roman, in dem sie eine Schlüsselrolle spielt. Veröffentlicht wurde er unter Pseudonym von einem verbitterten Witwer. Kevin Kline spielt diesen ehemaligen Lehrer, der in der jüngeren Vergangenheit einen Rachefeldzug gegen Ravenscroft austüftelt. Er macht sie verantwortlich für den Verlust seiner Familie, schildert in dem Buch ein Ereignis, das 20 Jahre zurückliegt und einen Großteil der Gesamthandlung ausmacht.
Distanzierte Figuren
Viel detaillierter soll es hier nicht werden, schließlich will Cuarón das Publikum mit dem mysteriösen und zunehmend komplexeren Aufbau seiner Serie fesseln. Dazu gehört auch, dass die Figuren oft gottgleich aus dem Off kommentieren. Was insofern irritierend ist, weil statt emotionaler Nähe sterile Distanz zu ihnen entsteht. Für Cuarón jedoch ist dieser Kunstgriff ein essenzieller Bestandteil, wie er auf einer Pressekonferenz nach der Serienpremiere in Venedig erklärte. Es solle verdeutlichen, dass sich die Figuren in der Serie als Kontrast zu einem mehr wissenden Charakter verstehen. Vor allem gehe es aber auch darum, wie das Publikum die Charaktere wahrnehme.
Eine Handlung wie im Groschenroman
Was ist wahr, was ist Wahn? Was ist konstruiert und was sind die individuellen Beweggründe? Die Fragen, die "Disclaimer" aufwirft, sind wichtig, definieren sie doch einen Teil unserer Gegenwart, in dem durch Fake News Parallelwelten entstehen und unterschiedliche Sichtweisen explosives Potenzial entwickeln können. Problematisch an der Serie ist insofern nicht das Was, sonders das Wie. Cuarón und seine beiden preisgekrönten Kameramänner Bruno Delbonnel und Emmanuel Lubezki legen viel Wert auf Kinoästhetik und die Visualisierung der unterschiedlichen Blickwinkel.
Dummerweise greift die Groschenroman-Handlung aus den Rückblenden wie ein Virus auf die anderen Zeitebenen über. Haupt- und Nebenfiguren verkommen zunehmend zu Karikaturen und insbesondere Cate Blanchett kann ihr Talent nicht entfalten. Sie muss Nägel kauen, wenn ihre Figur nervös wird, entsetzt schauen, wenn neue Eskalationsstufen erreicht werden. Das ist nicht nur verschenkt, sondern ärgerlich und mit keinem noch so durchdachten Kunstgriff erklärbar. Es unterstützt die Kernaussage des Films: Wie sich die Figuren im Kontrast zu anderen wahrnehmen, die vielleicht mehr wissen. Genauso wichtig ist dabei, wie das Publikum sie wahrnimmt.
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