Der Lyriker im Interview mit dem BR
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"Freiheit und Strenge": Dichter Eugen Gomringer gestorben

"Freiheit und Strenge": Dichter Eugen Gomringer gestorben

Der Begründer der Konkreten Poesie löste 2017 mit einem Gedicht an einer Hausfassade viel Wirbel aus. Eugen Gomringer galt als einer der wichtigsten Wegbereiter der Moderne in der Nachkriegsdichtung. Nun ist der Dichter gestorben.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Radio Infoblock am .

Verletzungen seien nicht geblieben, so Eugen Gomringer nach dem größten "Skandal" seines Lebens, dafür sei sein Glaube an sich selbst zu stark: "Höchstens eine Art Enttäuschung." Mit ganzen sechs spanischen Worten hatte der in Bolivien geborene Lyriker 1951 die Atmosphäre einer Flaniermeile beschrieben. Es ging in "avenidas", seinem "Ursprungs- und Schlüsselgedicht", um die Alleen, die Blumen, die Frauen und einen, der das alles bewunderte.

Ein Meisterwerk der von Gomringer maßgeblich mitbegründeten "Konkreten Poesie", einer ausgesprochen reduzierten Kunstform, die sich an der Nüchternheit und Funktionalität der Bauhaus-Werke orientiert.

Die möglichst schmucklose Sprache selbst sollte fortan im Mittelpunkt stehen, ihre Buchstaben, ihre Architektur, ihre Konstellation, der Raum, den sie einnimmt. Deshalb ist das Schriftbild von derartigen Gedichten auch so ungemein wichtig: Verse wie Telegramm-Zeilen, die den eiligen Leser im Idealfall bremsen und gedanklich ungemein bereichern.

"Mir kommt das wie eine Säuberung vor"

Doch einige Betrachter, männliche wie weibliche, fühlten sich von "avenidas" belästigt und sorgten 2017 für eine lautstarke Auseinandersetzung. Das Gedicht war an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin angebracht worden, riesengroß, als Auszeichnung, denn Gomringer war 2011 von der Universität ein Poetik-Preis zuerkannt worden. Doch das ließen seine Kritiker im Nachhinein nicht gelten.

Ihr Vorwurf: Der Dichter setze in seinem Werk Alleen, Blumen und Frauen unterschiedslos gleich, behandle sie sämtlich wie Objekte, verhalte sich damit "patriarchalisch" und erinnere damit an die "sexuelle Belästigung, der Frauen täglich ausgesetzt" seien. Tatsächlich wurde "avenidas" auf Druck der Studentenvertretung 2018 entfernt und durch ein Gedicht von Barbara Köhler ersetzt.

Doch für Eugen Gomringer ging es trotzdem "versöhnlich" aus: Eine Berliner Wohnungsgenossenschaft brachte sein Werk ein paar Straßenecken weiter an einer anderen Hausfassade an, diesmal nicht nur mit Wandfarbe, sondern sogar mit Buchstaben, die indirekt beleuchtet sind, und zwar zweisprachig, im spanischen Original und in deutscher Übersetzung.

"Mir kommt das vor wie der Vorgang einer Säuberung", sagte Gomringer damals nach der Entfernung seines Texts: "Da wird etwas weggesäubert durch eine andere Ideologie, die das verdrängen soll, und ja, darüber muss man reden, ob das gerechtfertigt ist."

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Gomringer in Berlin

Sein Vater war ein Schweizer, der in Südamerika eine Kautschuk- und Gummifabrik leitete. Er brachte seinen Sohn in die Schweiz, wo Gomringer bei den Großeltern aufwuchs. Er strebte zunächst eine militärische Karriere an, wolle "Instruktionsoffizier" werden. Angeblich behielt er die damals gelernte Disziplin zeitlebens bei, faltete seine Betttücher akkurat und stand Punkt sechs auf.

Erste Kritiker waren wenig gnädig: "Gomringer kann nur stottern", hieß es, und die tonangebenden Linken im Literaturbetrieb sollen enttäuscht gewesen sein, dass sich die Gedichte nicht politisch interpretieren ließen.

Gomringer, der sich auch als "Pantheist" bezeichnete, fand ein berufliches Unterkommen als Sekretär von Max Bill an der Ulmer Hochschule für Gestaltung, gründete die Zeitschrift "Spirale", war Herausgeber einer Buchreihe mit Konkreter Poesie und war nebenbei im Kulturbeirat der Rosenthal AG im bayerischen Selb tätig.

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Umstrittenes Gedicht von Gomringer

Familiär sah sich Gomringer allenfalls von seinem Großvater, einem Goldschmied, künstlerisch geprägt. Der Lyriker hatte sieben Söhne und eine Tochter (die Schriftstellerin Nora Gomringer) von drei Frauen, die er alle dazu angehalten haben soll, "möglichst wenig Emotionen" zu zeigen, weshalb ihn die Kinder nicht "Vater" nannten, sondern mit seinen Initialen "EG". Die Arbeit sei immer wichtiger gewesen: "Man darf sich das Familienleben nicht allzu eng vorstellen."

Im Januar 2022 wurde Gomringer mit dem Preis "Pro Meritis Scientiae et Literarum" des Bayerischen Kunstministeriums ausgezeichnet. In der Laudatio hieß es: "Die Konstellationen, die Sie geschaffen haben, haben sich in das kollektive ästhetische Bewusstsein eingeschrieben. Da entsteht eine besondere sinnliche Anmutung in genialer Mischung aus Freiheit und formaler Strenge. Wer sie anschauen und hören durfte, wird sie nicht vergessen."

Am Donnerstag starb der Dichter im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Bamberg,

Im Video: Nachruf - Dichter Eugen Gomringer gestorben

Der Dichter Eugen Gomringer ist tot. Er starb am Donnerstag im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Bamberg.
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Der Dichter Eugen Gomringer ist tot. Er starb am Donnerstag im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Bamberg.

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