Ein Gefängnis in Nordsyrien, kontrolliert von kurdischen Kräften. (Archivbild)
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Ein Gefängnis in Nordsyrien, kontrolliert von kurdischen Kräften – hier sitzen auch mutmaßliche IS-Kämpfer aus Europa in Haft. (Archivbild)
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Ein Gefängnis in Nordsyrien, kontrolliert von kurdischen Kräften – hier sitzen auch mutmaßliche IS-Kämpfer aus Europa in Haft. (Archivbild)

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Ex-IS-Kämpfer: Mutter kämpft um Sohn in kurdischer Haft

Ex-IS-Kämpfer: Mutter kämpft um Sohn in kurdischer Haft

Seit acht Jahren kaum eine Spur: Annas Sohn aus Bayern sitzt in Syrien als IS-Kämpfer in Haft – ohne Verfahren, ohne Kontakt. Wie Angehörige anderer Inhaftierter fordert die Mutter eine Rückführung nach Deutschland. Die Ungewissheit frisst sie auf.

Über dieses Thema berichtet: Politik und Hintergrund am .

Die Erinnerung sitzt noch im Schrank. Ein Morgenmantel, ein Bündel letzter Wäsche, nie gewaschen. "Seine Stimme werde ich nie vergessen", sagt Anna – so nennt BR24 die Frau aus Bayern, die ihren echten Namen aus Angst vor Anfeindungen nicht in diesem Artikel lesen will*. Ihr Sohn Mateo verließ 2014 Deutschland. Er schloss sich dem sogenannten Islamischen Staat (IS) an, absolvierte in Syrien nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitskreise eine Kampfausbildung und kämpfte. 2017 wurde er in Syrien von kurdischen Kräften festgenommen.

Seit mehr als acht Jahren sitzt der Deutsche jetzt in einem Gefängnis in Nordostsyrien – ohne Anklage, Verfahren oder Kontakt zur Außenwelt. Ob er noch lebt, weiß seine Familie nicht.

Ungewissheit und menschenunwürdige Haftbedingungen

Für Anna ist die Ungewissheit Alltag. "Ich wünsche mir, dass mein Sohn nach Deutschland kommt – nicht um straffrei zu sein, sondern damit er seine Strafe hier verbüßt", sagt sie. "Dann wüsste ich wenigstens, wo er ist, und könnte ihn ab und zu besuchen. Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt noch am Leben ist." Ihre Worte sind keine Entschuldigung für das, was war, sondern ein Ruf nach Rechtsstaatlichkeit.

Zwischen 2012 und 2017 zogen tausende Europäer nach Syrien und in den Irak, um sich dem IS anzuschließen. Nach dem militärischen Zusammenbruch des "Kalifats" wurden viele festgenommen. Heute sitzen bis zu 9.000 ehemalige IS-Kämpfer in Gefängnissen, darunter nach SWR-Recherchen rund 30 Deutsche. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International berichten von mangelnder medizinischer Versorgung, verschmutztem Wasser und unzureichender Nahrung; Tuberkulose tritt wiederholt auf. Männer haben in der Regel keinen Kontakt zu ihren Familien. Viele Familien haben seit Jahren nichts von ihnen gehört.

Familien fordern Rückholung und Gerichtsverfahren in Deutschland

Während mehr als 25 Frauen und rund 80 Kinder mit Deutschlandbezug in den vergangenen Jahren von deutschen Behörden zurückgeholt wurden, ist kein einziger Mann nach Deutschland zurückgeholt worden. Das Auswärtige Amt teilt auf BR24-Anfrage mit, die kurdische Selbstverwaltung habe wiederholt die internationale Gemeinschaft zur Rückholung von Frauen und Kindern aufgerufen; dazu sei Deutschland auch gerichtlich verpflichtet worden. Bei Männern, so das Ministerium, betonen die Behörden vor Ort ihren eigenen Strafverfolgungsanspruch. Nur: Verfahren gibt es bislang nicht.

"Unsere Söhne, Enkel oder Brüder haben sich in den Jahren vor ihrer Ausreise in Deutschland radikalisiert", schrieben Angehörige von Männern in kurdischer Haft kürzlich an mehrere Bundesministerien. Weder Familien noch Sicherheitsbehörden hätten die Ausreisen verhindern können. Sie fordern, die Männer nach Deutschland zu holen, damit deutsche Gerichte über Schuld und Strafe entscheiden.

Die Forschungsorganisation "Counter Extremism Project" warnt in einer Analyse (externer Link), dass deutsche Männer unter rechtswidrigen, radikalisierungsfördernden Bedingungen festgehalten werden, und regt gegenüber der Bundesregierung einen Rückführungs-, Strafverfolgungs- und Reintegrationsplan an. Auch die Anwälte Serkan Alkan und Martin Heising, die häufig Terrorverdächtige vertreten, plädieren für ein Umdenken: Viele Eltern fürchteten, ihre Kinder nie wiederzusehen. Heising betont, alle Inhaftierten sollten nach Deutschland zurückgeholt, vor Gericht gestellt und bereits in der U-Haft durch bewährte Deradikalisierungsprogramme betreut werden.

  • Zum Podcast: Islamismus-Aussteiger – Der schwierige Weg zurück in die Gesellschaft
  • Vom lebensfrohen Jugendlichen zum IS-Kämpfer

    Auch Annas zweiter Sohn Johannes ringt um das Bild des Bruders. Mateo sei früher lebensfroh gewesen, habe Hip-Hop gehört, eigene Texte geschrieben. Später habe er vieles weggeworfen – Hip-Hop galt in der Szene, in die er abrutschte, als Symbol des Westens. Anna glaubt, dass eine Frau, die Mateo online kennenlernte, den Prozess der Radikalisierung beschleunigte; am Ende reisten beide gemeinsam in das IS-Gebiet.

    Mateo meldete sich zunächst telefonisch aus Syrien; im letzten Gespräch betonte er seine Reue über den Weg zum IS. Nach der Festnahme 2017 herrschte Stille. 2021 erreichte die Familie ein einziges Lebenszeichen: ein kurzes Schreiben mit rotem Stempel, "Safe and Well", unterschrieben von Mateo. Seitdem – wieder Schweigen. In dieser Zeit starb Mateos Vater. "Sein letzter Wunsch war, seinen Sohn noch einmal zu sehen", sagt Anna leise. "Ich konnte ihm diesen Wunsch nicht erfüllen – das tut mir sehr weh."

    * Die Namen von Anna und ihren Angehörigen wurden in diesem Artikel geändert.

    Hörtipp für Sonntag, den 24. August um 8 Uhr: Politik und Hintergrund – Redaktion und Moderation: Ingo Lierheimer. Zu hören auf BR24 on air oder im Livestream. Die XL-Fassung ist bereits jetzt im Podcast verfügbar.

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