"Wir brauchen nichts, was anderen gehört, aber wir werden auch nichts aufgeben, was uns gehört", hatte der russische Präsident Wladimir Putin Anfang März verkündet. Damit schloss er keineswegs territoriale Ansprüche aus, wie sein Pressesprecher Dmitri Peskow in einem Interview mit dem französischen Nachrichtenmagazin "Le Point" (externer Link) jetzt noch einmal deutlich machte. Ein Waffenstillstand sei erst dann möglich, wenn die Ukraine alle Gebiete "Neurusslands" räume, so Peskow.
"Gebietsgewinne wurden Ziel des Krieges"
Dazu zählte er neben der Krim die vier teilweise besetzten ukrainischen Regionen, in denen Moskau "Volksabstimmungen" abhielt, um sie im Anschluss per Verfassungsänderung zu annektieren. Der Rücktritt des ukrainischen Präsidenten Selenskyj gehöre dagegen nicht zu den Forderungen Moskaus, so Peskow.
"Gebietsgewinne waren nicht das Ziel dieses Krieges, wurden es aber", stellt der in London lehrende russische Politologe Wladimir Pastuchow dazu in einer interessanten Analyse fest (externer Link). Die Einverleibung neuer Territorien sei entgegen der ursprünglichen Motive Putins zur "ideologischen Rechtfertigung" Moskaus geworden, was eine Verständigung enorm schwierig mache: "Für beide Seiten verloren Territorien ihre ursprüngliche Definition und wurden in heilige Trophäen mit symbolischer und kultischer Bedeutung verwandelt. Das macht die Verhandlungssituation äußerst schwierig."
"Dritte Option gibt es nicht"
Jeder territoriale Kompromiss werde von den Kriegsparteien als "teilweise Kapitulation" interpretiert: "Wenn Russland das Feuer einstellt, ohne zumindest einen Teil der besetzten Gebiete für sich zu sichern, dann ist das eine Kapitulation Putins." Das Problem sei letztlich "unlösbar": "Entweder erreicht Russland die internationale Anerkennung eines Teils oder aller besetzten Gebiete, oder der Krieg geht weiter – eine dritte Option gibt es praktisch nicht."
"Rückzug ist unvermeidlich"
Politologe Andrei Nikulin schrieb ironisch: "Interessant wird es, wenn die USA die Krim als russisch anerkennen, die Chinesen, Kubaner und andere afrikanische 'Freunde' [des Kremls] dies jedoch nicht tun." Auch andere russische Polit-Blogger verwiesen darauf, dass weder Peking, noch die Türkei und der Rest der Welt derzeit daran interessiert seien, russische Gebietsgewinne zu legitimieren.
BR24
"Anscheinend könnte sich die Prognose bewahrheiten, dass unser Rückzug unvermeidlich sein wird, da niemand die 'neuen' Gebiete und auch die Krim als russisch anerkennen wird", so das düstere Fazit eines Kommentators (externer Link): "Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Die Tatsache, dass all dies Russland, das schon während des Zweiten Weltkriegs erschöpft war, noch weiter schwächen wird, scheint zu unserem großen Bedauern nur wenige von uns zu beunruhigen."
"Handelt sich um einen Rechtsfehler"
Aufschlussreich dabei: Der Chefredakteur der russischen Zeitung "Nesawissimaja Gazeta", Konstantin Remtschukow, löste kürzlich mit einem Leitartikel (externer Link) viel Wirbel aus, in dem er argumentierte, Moskau könne sich, anders, als es die "Falken" behaupteten, durchaus mit einem Waffenstillstand entlang des aktuellen Frontverlaufs zufrieden geben und müsse nicht unbedingt auf den offiziellen Gebietsgrenzen der erwähnten vier ukrainischen Regionen beharren. Die seien nämlich in der russischen Verfassung gar nicht ausdrücklich erwähnt.
Damit hatte Remtschukow nationalistische Militärblogger gegen sich aufgebracht (externer Link). Der kremlnahe Propagandist Sergei Markow hatte Remtschukows Artikel mit den Worten bedacht (externer Link), er habe eine "wichtige Diskussion" angestoßen. Vermutlich habe die "Friedenspartei" im Kreml einen Versuchsballon gestartet: "Es handelt sich um einen Rechtsfehler. Ob er einen politischen Fehler gemacht hat, wird die nahe Zukunft zeigen."
"Instabilität wird sich auf Europa auswirken"
Politologe Ilja Graschtschenkow sagte voraus (externer Link), die vom Kreml ersehnte Neuaufteilung der Welt ("ein neues Jalta") werde gemessen an bisherigen Erwartungen deutlich bescheidener ausfallen: "Russland kann das Projekt eines Unionsstaates mit Belarus umsetzen und der fragile Friedensschluss mit der Ukraine (dessen Bedingungen nicht von allen Seiten vollständig verstanden werden) wird auch für künftige Generationen ein Problem bleiben."
Europa werde den "größten Teil der Ukraine bekommen", allerdings zu einem hohen Preis: "Die Instabilität dort wird sich auf den gesamten 'südlichen' Gürtel des europäischen Territoriums auswirken, einschließlich Moldawien und des Balkans."
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