Im Streit um die Rückgabe des Gemäldes „Mädchen mit Strohhut“ von Friedrich von Amerling haben die Erben der jüdischen Kunsthändler "Brüder Lion" nach eigenen Angaben vor einem US-Gericht im Bundesstaat New York Klage gegen den Freistaat Bayern und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen eingereicht.
Streit um Bildertausch von 1935
Seit fast drei Jahren fordern die Lion-Erben das wertvolle Gemälde, mit vermutetem Millionenwert, zurück. Im Januar 1935 gelangte es durch einen Bildertausch in die staatliche Sammlung. Die Erben sehen darin einen NS-verfolgungsbedingten Entzug, da die Kunsthändler im Gegenzug nur minderwertige Gemälde aus dem Museumsbestand erhalten hätten. Das lege eine interne Notiz des damaligen Generaldirektors nahe.
Außerdem bezweifelt Erben-Anwalt Hannes Hartung, ob die beiden Bilder aus dem Museum den Brüdern Lion überhaupt ausgehändigt wurden, Belege gebe es dafür nicht. Die Kunsthandlung der Lions wurde Ende 1936 von den Nazis aufgelöst, die Brüder mussten nahezu mittellos ins Ausland fliehen.
Die Provenienzabteilung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen bewertet das Tauschgeschäft grundsätzlich anders. In einem Bericht dazu heißt es, "im Fall des Amerling-Gemäldes sprechen die Forschungsergebnisse […] dafür, dass die Kunsthandlung zum Zeitpunkt des Tauschgeschäfts noch auf dem Markt agieren konnte und von einem Handelsgeschäft im Rahmen eines 'ordnungsgemäßen üblichen Geschäftsverkehrs' auszugehen ist." Der damalige Geldwert der abgegebenen Werke sei Schätzungen zufolge sogar höher gewesen als der des eingelieferten Amerlings.
Früher im Besitz der "Brüder Lion": Friedrich von Amerlings "Junges Mädchen mit Strohhut", um 1835
Erben-Anwalt: Amerling geht nicht vor neues Schiedsgericht
Die Staatsgemäldesammlungen würden den strittigen Fall Amerling gerne von der neuen Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut klären lassen, die am 01. Dezember 2025 ihre Arbeit aufnehmen wird. Das wäre aber nur möglich, wenn die Erbengemeinschaft von sich aus das Schiedsgericht anrufen würde.
Diesen Weg über die deutsche Schiedsgerichtsbarkeit schließt Hannes Hartung derzeit aber aus. Er kritisiert, dass der zugrundeliegende Bewertungsrahmen für künftige Schiedssprüche Ansprüche von jüdischen Kunsthändlern schlechter stelle als die von jüdischen Bürgern.
Größere Chancen vor US-Gericht?
Zusammen mit seinem US-Kollegen John Meehan sieht Hartung stattdessen größere Chancen vor einem US-Gericht. Zuständig sei es, da fünf der sieben Erben in den USA lebten. Außerdem stünden die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen etwa durch Leihen und Ausstellungsbeteiligungen in geschäftlichen Beziehungen mit den USA, man könne sich so auf internationales Recht berufen.
Erst vor zwei Tagen erklärte Bayerns Kunstminister Markus Blume im Umgang der bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit NS-Raubkunstfällen, dass es "keine Anhaltspunkte für System- oder Organisationsversagen" gebe, Verbesserungspotenzial aber erkannt worden sei. Und versprach: "Wir wollen unserer historischen Verantwortung umfassend gerecht werden und einen Neuanfang an den Staatsgemäldesammlungen anschieben." Unter anderem soll die personelle Ausstattung für die Provenienzforschung an den Staatsgemäldesammlungen aufgestockt werden.
Erfolg der Klage noch unklar
Welche Erfolgschancen die Klage der Lion-Erben in den USA tatsächlich hat, ist offen. Im Jahr 2016 hatten Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim versucht, den Freistaat Bayern vor einem New Yorker Gericht auf Herausgabe von Kunstwerken zu verklagen. Damals sahen sich die US-Richter aber nicht zuständig und verwiesen die Klage 2018 zurück nach Deutschland.
Anmerkung der BR24-Redaktion: Der Artikel wurde in seiner aktuellen Fassung im zweiten Absatz um Hintergründe zur Kunsthandlung Lion ergänzt.
Dieser Artikel ist erstmals am 14. November 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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