Im Flur von Annas und Vitaliys Wohnung stehen zwei Körbe voller Lebensmittel – zum Teil noch ungeöffnet und verpackt: Hafer, Cracker, Mehl. Einen Teil davon werden Anna und Vitaliy bis Samstagabend aufbrauchen. Denn dann beginnt Pessach und dann müssen viele Lebensmittel aus jüdischen Wohnungen verschwunden sein. "Weizenmehl verschenken wir wahrscheinlich. Wir werfen es nicht weg, sondern geben es weiter an diejenigen, die es brauchen können", sagt Anna.
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Pessach beginnt am Samstagabend mit dem Sonnenuntergang
Anna und Vitaliy bereiten seit vier Wochen alles für Pessach vor. Samstagabend mit dem Sonnenuntergang beginnt eines der wichtigsten und aufwändigsten jüdischen Feste. Es dauert acht Tage, heuer bis Sonntag 20. April. Währenddessen muss alles was "Chamétz" ist, also alles, was mit Hefe, Säuerungsmittel oder Gärstoffen hergestellt wird, raus aus dem Haus: Brot, Nudeln, Bier oder Mehl. "Chamétz" ist in den acht Tagen von Pessach absolutes Tabu. "Man darf Chamétz nicht essen, nicht besitzen, nicht sehen und nicht finden und keinen Nutzen ziehen", erklärt Anna. Auch ihre Katze bekommt in der Zeit Katzenfutter ohne Getreide.
Pessach wird nicht zufällig im Frühling gefeiert. Denn das Fest steht für den Neuanfang. Erinnert wird dabei an den "Exodus", die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei und ihren Auszug aus Ägypten. Es ist die Geschichte, die auch Christen aus dem gemeinsamen Teil der Bibel gut kennen: Nach der zehnten und letzten Plage flohen die Hebräer unter der Führung von Mose in einer Nacht- und Nebel-Aktion. Ihnen blieb keine Zeit, um den Teig fürs tägliche Brot durchsäuern zu lassen. In Erinnerung daran verzichten Jüdinnen und Juden bis heute während Pessach auf gegorene Produkte – und essen stattdessen "Matze", ungesäuertes Brot.
Innerer Frühjahrsputz
Bei Pessach geht es auch im übertragenen Sinn darum, was in Menschen persönlich gärt und brodelt. Beim gründlichen Pessach-Putz, vergleichbar mit dem Frühlingsputz, geht es nicht nur um die Reinigung der Wohnung, sondern auch darum, Dinge loszulassen, sich zu befreien von Belastendem. "Man lebt danach bewusster: Was braucht man wirklich, was ist überflüssig. Gesäuertes steht für Bequemlichkeit, für Komfort, für Gewohntes – auch wenn es uns nicht guttut", sagt Anna.
Auch in der Jüdischen Gemeinde in Erlangen laufen die Vorbereitungen seit einer Woche auf Hochtouren. Gemeinsam werden im Gemeindehaus die Küchen "gekaschert", also koscher gemacht und für die Séder-Abende hergerichtet, für das feierliche Mahl zum Auftakt von Pessach. "Man muss sehr genau sein, es darf kein Krümel da bleiben. Der Rabbiner muss am Ende nochmal mit der Kerze in alle Ecken gucken, ob irgendwo noch was übriggeblieben ist", sagt Anna.
Vor Pessach muss alles "gekaschert" werden
"Séder" ist Hebräisch und heißt so viel wie "Ordnung". Denn die beiden ersten Abende von Pessach haben einen seit Jahrhunderte festgelegten Ablauf. Diesen gibt die "Haggada" vor, das Buch, eine Mischung aus Legenden und Handlungsanweisungen. Zu Beginn eines Séder-Abends singt traditionell das jüngste Kind am Tisch das "Ma Nischtana", ein hebräisches Lied, das aus vier Fragen besteht und in die Pessach-Geschichte einführt.
Auch wenn die Vorbereitungen für Pessach und den Gemeinde-Séder aufwändig und stressig sind, freuen sich Anna und Vasiliy auf die feierliche Stimmung. Umso schöner sei dann die Belohnung, sagt Vasiliy: "Das ist dieses Zusammensitzen und das Erleben. Es ist ein einmaliges Gefühl für Freunde und Familie. Das ist es was wir lieben und was uns Energie für das kommende Jahr gibt."
Im Video: Vorbereitungen auf das Pessach-Fest
Morgen Abend beginnt für alle Jüdinnen und Juden das Pessach-Fest.
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