Der ehemalige Fox-News Moderator Tucker Carlson beim Invertiew mit Wladimir Putin
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Harsche Kritik der EU an Putin-Interview

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"Propeller abgeschraubt": Russen spotten über Putin-Interview

"Propeller abgeschraubt": Russen spotten über Putin-Interview

Selbst Kreml-Propagandisten wollen dem zweistündigen Gespräch des russischen Präsidenten mit US-Journalist Tucker Carlson nichts Neues entnommen haben. Dafür werden Putins Geschichtslektionen parodiert: "Historismus ist eine schreckliche Sache."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es sei ein Segen, dass Wladimir Putin in den achtziger Jahren nicht dem damals tonangebenden russischen Historiker und Nationalisten Apollon Kuzmin (1928 - 2004) begegnet sei, so der Politologe Konstantin Kalaschew ironisch. Begründung: Kuzmin habe die Geschichte Russlands seinerzeit zurückgeführt bis auf Flüchtlinge aus dem antiken Troja, während Putin seinen halbstündigen Exkurs im Gespräch mit US-Journalist Tucker Carlson "nur" mit den Wikingern begonnen habe, also ungefähr im Jahr 870: "Historismus ist in der Politik eine schreckliche Sache."

Andere Kommentatoren amüsierten sich darüber, dass Putin als neuer "Chefhistoriker" dem in geschichtlichen Fragen sichtlich desorientierten Interviewer empfahl, seine "Hausaufgaben" zu machen und die Briefe des Kosakenführers Bohdan Chmelnyzkyj (1595 - 1657) zu lesen - womöglich "auf Birkenrinde", wie ein Zuschauer ulkte. Der Kriegsheld und Antisemit hatte im 17. Jahrhundert einen Aufstand gegen die Polen und Litauer organisiert, wobei sich Tucker Carlson selbst die Frage stellte, was das mit dem Ukraine-Krieg zu tun habe. Dazu ein russischer Blogger: "Ist es möglich, jemanden mit einer Geschichtsstunde zu begeistern, jemanden zu überzeugen oder zu fesseln? Offensichtlich nicht."

"Schießen Sie nicht auf den Pianisten"

Polit-Blogger und Exilant Wladimir Pastuchow- (147.000 Fans), der in London unterrichtet, fühlte sich an das nächtliche Interview erinnert, das der deutsche Starautor Lion Feuchtwanger 1937 mit Stalin führte, obwohl das Gespräch mit Putin "von der Qualität her" nicht ganz heranreiche. Der für seine Wahnvorstellungen berüchtigte Stalin hatte auf Nachfrage damals die verblüffende Ansicht vertreten, Beweise gebe es für all die Verschwörungen um ihn herum natürlich nicht, sonst wären sie ja keine, was Feuchtwanger unwidersprochen gelten ließ.

Über Tucker Carlson schrieb Pastuchow: "Er reißt Löcher in die Minenfelder, durch die Trump seine Sommeroffensive gegen Bidens pro-ukrainische Außenpolitik starten wird. Um das zu erreichen, ist es keine Schande, Artillerie größten Kalibers einzusetzen und Putin persönlich in die Manege zu schicken. Am Inhalt des Interviews habe ich nichts weiter auszusetzen: Der eine ist nicht Feuchtwanger, der andere nicht Stalin. Schießen Sie nicht auf den Pianisten – er spielt, so gut er kann."

"Brauchen Dialog nicht"

Für Putin sei der Auftritt "demütigend" gewesen, urteilte Blogger Roman Aljechin (106.000 Fans), denn der amerikanische Interviewer sei in diesem Fall aus Sicht der russischen Medien deutlich wichtiger gewesen als der Befragte. Putin habe sich "zu komplex und detailliert" ausgedrückt: "Entweder Tucker Carlson war nicht vorbereitet oder Wladimir Putins Autorität war für ihn zu groß. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er im weiteren Verlauf des Gesprächs aufgrund der zu unübersichtlichen Analyse zu wenig vom eigentlichen Kern von Putins Anliegen verstand." Möglicherweise habe das Interview "überhaupt keinen Zweck" gehabt: "Das heißt, wir sind zwar zum Dialog bereit, aber wir brauchen ihn nicht."

"Gescheiterte Spezialoperation abschließen"

Sergej Belokonew von der Moskauer Hochschule für Finanzwissenschaften vermisste bei Putin Klarheit über die Zukunftspläne: "Was meiner Meinung nach ungesagt blieb, ist der entscheidende Punkt – welche Kampfeinsätze die russische Armee in der Ukraine zu führen bereit ist und wo die genauen Grenzen liegen, für die wir künftig kämpfen. Aber das gehört offensichtlich zur Kunst der Diplomatie – seine Pläne und Absichten nicht preiszugeben."

Auf einem kremlkritischen Telegram-Kanal mit 155.000 Abonnenten ist das Fazit zu lesen: "Wenn wir von den Verschwörungstheorien des Kremls und einer seltsamen Sicht auf die Geschichte absehen, dann zeigen die Aussagen deutlich den Wunsch des Präsidenten, die gescheiterte Spezialoperation abzuschließen und auf den Weg der diplomatischen Verhandlungen zurückzukehren." Allerdings sei Putins Argumentation alles andere als überzeugend, denn es sei "seltsam", die Kapitulation eines Gegners zu fordern, der "aufgrund seiner Überlegenheit einen langwierigen Krieg geruhsam gewinnen" könne.

"Alte Schallplatte mit Sprung"

Es sei "lächerlich und lustig", dass Putin verlangt habe, der Westen möge seine territorialen Eroberungen anerkennen. Das erinnere an eine Filmkomödie über den russisch-schwedischen Krieg von 1571, wo ein einfältiger Kreml-Hausmeister den Schweden Gebiete überlassen will, weil sie "so höflich darum gebeten und darum gekämpft" hätten.

Leser spotteten, Putin habe bei seinem Ausflug in die Vergangenheit die Eiszeit vergessen, aber ansonsten einen "großartigen Sinn für Humor". Er habe geklungen wie eine "alte Schallplatte mit Sprung". Schade sei, dass das Gespräch ohne Lacher aus dem Off ausgestrahlt worden sei: "Warum hatte Tucker Carlson Angst, Putin nach dem Krönungsdatum zu fragen?" Andere fragten sich, "wie viele Kapitel im Geschichtsbuch jetzt wohl umgeschrieben" werden müssten. Sicher habe sich mancher Amerikaner die Tränen weggewischt, als er Putins Erzählungen über die Abenteuer des Wikingers Rurik im frühen Mittelalter gehört habe.

"Würde Vorhaben als gescheitert ansehen"

Der im Exil lebende Politikwissenschaftler Abbas Galljamow meinte, Putins Behauptung, die Ukrainer seien Russen, "hätte von den Briten während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges problemlos gegen die Amerikaner verwendet werden können": "Es ist erstaunlich, dass Carlson das nicht bemerkte. Es sah so aus, als ob er die Geschichte seines eigenen Landes nicht kannte, geschweige denn die Geschichte anderer."

Carlsons "Inkompetenz" und Putins "Lügen" seien derart extrem gewesen, dass es sich nicht lohne, darüber weiter nachzudenken: "Ich denke, wenn ich im Kreml arbeiten würde, würde ich das Vorhaben als gescheitert ansehen. Denn jeder, der sich noch mehr oder weniger für Politik interessiert und nicht zum Lager der tollwütigen Trumpisten gehört, wird durch diesen Skandal nun wieder einmal davon überzeugt sein, dass der Glaube an Putin bedeutet, sich selbst nicht zu respektieren."

"Radikale Patrioten sehr unzufrieden"

Auch Anatoli Nesmijan (111.000 Fans) schüttelte den Kopf über Putins weitschweifige Geschichtsstunde: "Wenn es in einem Krieg keinen Gewinner gibt, muss man den Ist-Zustand erkennen und darauf aufbauen. Eine Ausnahme bildet die totale Niederlage einer der Parteien, der der Sieger dann die Bedingungen diktiert. Aber auch hier sind historische Ansprüche zweitrangig; der Sieger diktiert, was er hier und jetzt diktieren kann. Im aktuellen Konflikt gibt es aber keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum wir auf Demagogie setzen und uns auf alte Schriftrollen berufen müssen. Weitere Argumente gibt es nicht."

Für Kolumnist Dmitri Drise vom liberalen Wirtschaftsblatt "Kommersant" lohnt sich die Aufregung um das Putin-Gespräch nicht: "Es war ein Vortrag über historische Themen, dessen allgemeine Bedeutung darin bestand, das Scheitern der Ukraine als Staat zu demonstrieren." Die "Grundfesten der westlichen Welt" werde das wohl nicht erschüttern. Andere Publizisten scherzten über Putins Ausführungen: "Die einzige kleine Neuheit ist, dass Jelzin doch ein guter Politiker und nicht nur Alkoholiker war. Jetzt müssen wir also vorsichtiger sein mit Aussagen über die 'verdammten 90er'."

"Propeller abgeschraubt"

Selbst der kremltreue Politologe und Propagandist Sergej Markow musste einräumen, dass Putin nichts wesentlich Neues sagte: "Radikale russische Patrioten sind daher mit Putins Interview sehr unzufrieden, denn Putin will Frieden, und sie wollen Krieg. Putin rückt die Friedensverhandlungen wieder in den Mittelpunkt der globalen Agenda. Und das zu Recht."

Der prominente russische TV-Propagandist und Kriegsblogger Alexander Sladkow (930.000 Fans) schrieb tatsächlich etwas säuerlich: "Einige bezeichneten das Interview als Vorstufe zu Verhandlungen. Aber wir haben Verhandlungen nie abgelehnt. Moskau hat die ganze Zeit gesagt, dass wir bereit sind, aber, liebe Freunde, was sollen wir tun, wenn es überhaupt keinen Mechanismus gibt, mit dem die Kriegsparteien bei Nichterfüllung ihrer Verpflichtungen zur Verantwortung gezogen werden können?"

Von einem "seltsamen Schweigen" der russischen Elite nach dem TV-Auftritt war die Rede. Putin habe kein Interview gegeben, sondern einen "Meisterkurs in politischer Kommunikation", lobte ein Blogger ironisch: Der Präsident habe dem Journalisten gleich am Anfang "den Propeller abgeschraubt". Im Grunde sei Putin mit seinen ganzen akademischen Abschweifungen als "friedlicher Intellektueller" rübergekommen. Der oben erwähnte Sladkow kann sich sogar vorstellen, Putins Exkurse in die fernere Vergangenheit zum Prüfungsstoff für russische Studenten zu machen.

"Streit unter Verwandten"

Nicht wenige russische Nationalisten ereiferten sich darüber, dass die kremltreuen Medien um Tucker Carlson einen wahren "Tanz" aufgeführt hätten, was einer Selbsterniedrigung gleiche: "Schließlich sah es von außen so aus, als ob wir dem westlichen Gast auf jede erdenkliche Weise gefallen wollten, damit er sich unserer 'erbarmt' und TV-Material herstellt, das zu uns passt. Allerdings ist irgendwie nicht ganz klar, wer er nun ist, dieser T. Carlson, welchen Platz er unter der westlichen Sonne einnimmt, ob er überhaupt politische Perspektiven hat."

Politologe Sergej Starowoitow hatte eine originelle These parat: "Im Wesentlichen sagte Putin, auch wenn der Westen Russland im Stich lässt, werde Russland den Westen dennoch niemals ziehen lassen. Ob das bedeutet, dass die 'Wende nach Osten' als ökonomische Zwangsmaßnahme unmittelbar nach einer erneuten Reaktion des Westens beendet wird oder ob wir nun eine Doppel-Strategie haben, ist noch nicht ganz klar. Aber im strategischen Sinne ist etwas sehr Wichtiges passiert. Es zeigte sich, dass alles, was geschieht, ein Streit zwischen geistig nahestehenden Menschen ist, ein 'Streit unter Verwandten'."

Michail Winogradow von der St. Petersburger Politik-Stiftung fasste alles in dem Satz zusammen: "Es stellt sich mal wieder die ewige Frage, was wichtiger ist, der Umfang der Berichterstattung oder ihr Inhalt."

Blick auf die Kameras und Scheinwerfer
Bildrechte: Gavriil Grigorov/Picture Alliance
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Tucker Carlson und Putin im Kreml beim Interview

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