Cover des Romans "Blondes Herz" von Bernardine Evaristo
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Satire, die entlarvt: "Blondes Herz" von Bernardine Evaristo

Satire, die entlarvt: "Blondes Herz" von Bernardine Evaristo

"Blondes Herz" von Bernardine Evaristo erzählt die Geschichte der Versklavung mit vertauschten Rollen: Schwarz ist weiß und mutige Kolonisatoren aus "Aphrika" unterdrücken Europäer. Satire, die entlarvt - und das durchaus witzig. Eine Rezension.

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Bernardine Evaristo wurde in Deutschland erst spät bekannt: 2019 war das, damals hat sie den Booker Prize bekommen – als erste Schwarze Autorin überhaupt. Ausgezeichnet wurde damals "Girl, Woman, Other". Mit diesem Roman begann in Deutschland das Nachholen: Ältere Werke der Autorin wurden ins Deutsche übersetzt. Und so erscheint jetzt der Roman "Blondes Herz", eine satirische Auseinandersetzung mit dem Sklavenhandel, im Original von 2008.

Weiß ist schwarz und Afrika unterdrückt Europa

Die Welt in diesem Roman steht kopf: Weiß ist Schwarz. Afrika und Europa haben die Plätze getauscht, Opfer sind Täter geworden. Denn Bernardine Evaristo spielt mutig mit Geschichte und Geografie, um einen frischen Blick auf den transatlantischen Sklavenhandel zu ermöglichen. Europa ist in dieser Erzählung also der graue Kontinent, immer wolkenverhangen – gerade an der "Kohlkopfküste", an der mutige Kolonisatoren aus "Aphrika" landen, um unzivilisierte Europäer aus ihrer eigenen Wildheit zu führen. Zu diesem Zweck pferchen sie sie auf Schiffen zusammen und verschleppen sie nach "Aphrika". Dort – auf dem sonnigen Kontinent – angekommen, sind die blassen Männer und Frauen zwar nicht mehr frei, aber immerhin auf zivilisiertem Boden. Die Erzählung ist historisch verbrieft, nur die Rollen musste Bernardine Evaristo umkehren.

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Die Schriftstellerin Bernardine Evaristo

Der Roman ist eine Satire. In einer der witzigsten Szenen landet die Ich-Erzählerin Doris – eine Europäerin, die als Kind verschifft und versklavt wurde – in einem Friseursalon, in dem es schmalzinkige Kämme speziell für "schwer zu bändigendes, feines Flatterhaar" wie ihres gibt. Der Selbsthass, von dem Schwarze in den USA und Europa so oft berichten, ein Selbsthass, der sich in der Realität oft im Glätten und Bleichen von dunklem Haar ausdrückt, wird in diesem Buch zum Teil einer Weißen Geschichte.

Lange, glatte, blonde Haare sind hässlich

Für ihre Hauptfigur Doris hat Bernardine Evaristo eine Prominente Modell gestanden: die Schauspielerin Gwyneth Paltrow. "Als ich mit dem Roman anfing, das ist jetzt 23, 24 Jahre her, war sie ein Musterbild weißer Schönheit", erzählt die Autorin dem BR. "Sehr dünn, feine Gesichtszüge, langes, glattes, blondes Haar. Und ich dachte mir: Meine Figur soll aussehen wie sie, aber in der Schwarzen Welt ihrer Sklavenhalter wird das als hässlich angesehen."

Die verkehrte Welt stellt Bernardine Evaristo bis ins Detail sprachlich und erzählerisch dar. Doris etwa wird als Sklavin umbenannt in Omorenomwara – "Doris" ist unaussprechlich für ihre Herren. Den Namen zu benutzen wird also die absolute Ausnahme, ein Akt der Selbstbehauptung, der – wie in historischen Erzählungen von Sklaven – von enormer Bedeutung ist.

Hier ein Ausschnitt aus dem Roman:

Bitte sag Doris zu mir. Ich bin Doris. Mein Name ist Doris. (Protagonistin)

Er lächelte breit und gab sich alle Mühe, meinen richtigen Namen auszusprechen, langsam und mit betretener Miene machte er drei lange Silben daraus, und seine Zunge stolperte über die fremdartigen Laute.

Doooraaascha

Herrje.

Mit wem lachen und mit wem weinen wir beim Lesen?

Der Roman "Blondes Herz" breitet die eigenen Emotionen, Reaktionen auf dem Seziertisch aus: Mit wem habe ich Mitleid, wenn ich von Doris lese? Mit der Weißen Versklavten, von der hier wortwörtlich geschrieben ist, oder mit den Millionen von Schwarzen, auf deren Schicksal Doris’ Geschichte eigentlich abzielt?

Das ist natürlich von der Autorin so gewollt: "Für weiße Leser ist da immer die Frage: Worüber lache ich hier? Das Buch kann dich fertigmachen, es sind da so viele Schichten – und deshalb weiß ich es zu schätzen, wenn Leser nicht wissen, wie sie reagieren sollen."

Ein originelles literarisches Experiment

Bernardine Evaristo beweist schon mit diesem frühen Roman, dass sie eine durch und durch originelle Autorin ist, eine Autorin, die das literarische Experiment sucht. Und sie beweist, dass sie bei aller Experimentierfreude nie aus dem Blick verliert, was einen Roman im Kern zusammenhält: eine Figur aus Fleisch und Blut, ein Mensch. Denn genau das ist Doris, diese Frau, die auch als Sklavin beides erlebt: den Horror des Lebens und das große Glück, am Leben zu sein.

Bernardine Evaristo: "Blondes Herz", Roman. Aus dem Englischen von Tanja Handels. Erschienen bei Klett-Cotta, 288 Seiten.

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