"O du fröhliche, o du selige" – in vielen Familien ist die Weihnachtszeit oftmals nicht ganz so friedlich, wie es in Weihnachtsliedern besungen wird. Intimität erzeugt unvermeidlich Konflikte, sagt Maren Wiechers, Psychotherapeutin bei "Die Lösung", dem Psychologie-Podcast des BR.
Hohe Erwartungen: Ein Nährboden für Stress
Das heißt also: Den Ärger über Alltägliches bekommen in der Regel vor allem diejenigen ungefiltert ab, die uns am nächsten sind. Kommt eine gewisse Erwartungshaltung zu einem Fest wie Weihnachten dazu, bietet das Nährboden für Stress, wie Ulrike Dahme, stellvertretende Leiterin der Telefonseelsorge im Erzbistum München und Freising im Interview mit dem BR ausführt: "Wenn die Erwartungen zu hoch sind, dann kommt die Enttäuschung. Und aus der heraus passieren diese Konflikte."
Streit an sich ist dabei nichts Verwerfliches, wie die Verhaltenstherapeutin Maren Wiechers im Psychologie-Podcast "Die Lösung" erklärt: "Wir setzen manchmal wenige Konflikte mit Beziehungsglück gleich. Aber: Nicht ob gestritten wird, entscheidet darüber, ob eine Beziehung hält, sondern wie gestritten wird."
Faustregel: Die ersten drei Minuten sind entscheidend
Hierbei gelte die Faustregel: Die ersten drei Minuten eines Streits sind entscheidend. Und zwar so entscheidend, dass Forscher anhand der ersten drei Minuten eines Streits Vorhersagen darüber treffen konnten, ob und wie das Paar nach sechs Jahren noch zusammenlebte. Denn in diesen drei Minuten werden sozusagen die Weichen gestellt für den Fortgang des Streits:
Wird das Anliegen dem anderen pampig oder als Vorwurf entgegengeschleudert oder wird es im Sinne der gewaltfreien Kommunikation als sogenannte Ich-Botschaft formuliert? Wird also eine Beobachtung aus der Ich-Perspektive geschildert nach dem Motto: "Ich sehe, der Baum ist nicht geschmückt. In den vergangenen Jahren habe ich das gemacht. Ich würde mir wünschen, dass wir das gemeinsam machen."
Dabei hilft nach den Worten der Verhaltenstherapeutin Maren Wiechers auch das Wissen über den Konfliktstil und damit verbundene Streit-Muster, die wiederum beim Gegenüber etwas auslösen: Bin ich beispielsweise eher ein konfliktvermeidender Typ, ziehe ich mich eher aus der Situation zurück, was mein Gegenüber zusätzlich ärgern könnte. Oder bin ich eher impulsiv und verletze damit mein Gegenüber potentiell mehr, als ich beabsichtige?
Besser streiten mit der 5:1-Regel
Helfen könne hier die sogenannte 5:1-Regel, die die amerikanischen Paartherapeuten Julie Schwartz Gottman und John Gottman aufstellten. Demnach muss jede negative Interaktion im Verlauf eines Streits mit mindestens fünf positiven aufgewogen werden, also jede abfällige Bemerkung, jedes Augenverdrehen braucht mindestens ein Lächeln, ein "ich verstehe deinen Punkt" und zusätzliche weitere drei positive Interaktionen.
Ein günstigerer Verlauf eines Streits lässt sich also durchaus trainieren. Ulrike Dahme von der Telefonseelsorge plädiert aber gerade zu Weihnachten dafür, schon vorher anzusetzen, indem man ein Umfeld kreiert, das weniger anfällig ist für Streit. Oftmals sei der Druck sehr hoch, dass an Weihnachten nicht gestritten werde. Gerade dann aber kämen häufig Themen auf den Tisch, die schon vor Wochen hätten besprochen werden können. Auch werde oftmals den einzelnen Familienmitgliedern nicht zugestanden, dass sie verschiedene Bedürfnisse hätten.
Mehr Gelassenheit an Weihnachten zulassen
Wenn aber zugelassen werde, dass der eine vielleicht lieber eine Stunde auf dem Sofa liegt, während der Rest der Familie zum Spaziergang aufbricht, sei schon viel gewonnen, so Ulrike Dahme. Und schließlich bricht sie eine Lanze dafür, Weihnachten "abzurüsten". "Vom perfekten Geschenk bis zum perfekten Weihnachtsmenu, es ist ja eine wahnsinnige Erwartung."
- Die Telefonseelsorge erreichen Sie bundesweit, kostenfrei und rund um die Uhr unter den Rufnummern 0800/ 111 0 111 (evangelisch) oder 0800/ 111 0 222 (katholisch)
Im Audio: Wie man richtig streitet und Konflikte konstruktiv löst
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