"Miss Germany hat sich verändert – weg vom klassischen Schönheitswettbewerb zu Female Empowerment. Das neue Konzept rückt die Persönlichkeiten der Kandidatinnen in den Fokus und gibt Frauen eine Bühne, die mit Haltung und Persönlichkeit die Welt verändern und Verantwortung übernehmen", so die Veranstalter des diesjährigen Wettbewerbs im Europapark Rust auf ihrer Homepage. Gewonnen hat die gebürtige Iranerin Apameh Schönauer, die sich für die Frauenrechte in ihrem Geburtsland einsetzt und als Architektin und Mutter zweier Kinder beruflich wie privat sehr gefordert ist.
"Apameh möchte Frauen dazu ermutigen, ihre Geschichten und Erfahrungen zu teilen und einander zu unterstützen, um ihr volles Potenzial ausschöpfen zu können", heißt es im Werbetext der Miss-Germany-Verantwortlichen, einer PR-Agentur mit Sitz im niedersächsischen Oldenburg, die sich 1999 beim Europäischen Markenamt die Exklusivrechte am prestigeträchtigen Titel gesichert hat und den Wettbewerb 2019 grundlegend modernisierte.
"Ganz besonderes Charisma" Schönauers
Seit der Preisvergabe sieht sich Apameh Schönauer einem internationalen Shitstorm ausgesetzt. Einerseits wird "Schummelei" unterstellt, weil ihre Baufirma Bürofläche an den Chef der ausrichtenden Miss-Germany-Agentur vermietet haben soll, was die Gewinnerin in einem Interview mit dem "Stern" bestätigte [externer Link, möglicherweise hinter einer Bezahlschranke]. Allerdings habe das im Vorfeld des Wettbewerbs keine Rolle gespielt: "Im Büro, in dem ich gerade sitze, ist Platz für 70 Menschen. Die kommen und gehen, und ich bin in meine Projekte vertieft. (...) Es gab keine Schummeleien." PR-Unternehmer Max Klemmer erklärte Schönauers Sieg mit ihrem "ganz besonderen Charisma".
Andererseits wird die Architektin wegen ihres Alters und ihres Migrationshintergrunds seit Tagen im Netz angepöbelt. Möglicherweise liegt das auch daran, dass es Missverständnisse über die Kriterien für den Wettbewerb gab. So textete die BILD-Zeitung [externer Link, möglicherweise hinter einer Bezahlschranke] über Schönauer: "Sie ist jetzt die schönste Frau Deutschlands." Nicht nur das Aussehen der Gewinnerin wurde in den sozialen Medien heftig kritisiert, der Veranstalter musste sich auch wegen seines angeblich "woken" Anliegens, also einem vermeintlichen Bekenntnis zur politischen Korrektheit, beschimpfen lassen.
Das war den französischen Kollegen im vergangenen Jahr übrigens ebenso ergangen, nachdem sie erstmals eine Kandidatin mit Kurzhaarschnitt zur Siegerin gekürt hatten. In England hatte die dortige Miss-Wahl-Organisatorin Angie Beasley im vergangenen Sommer mit der Bemerkung für Empörung gesorgt, sie werde sich "nicht der woken Bewegung beugen". Sie konnte sich sogar vorstellen, wieder eine "Bikini-Parade" für die Teilnehmerinnen einzuführen, die seit 2002 abgeschafft war.
"Wir dürfen darüber nicht urteilen"
In Deutschland ereiferten sich Kritiker über einen "Schönheitswettbewerb ohne Schönheit", hielten alles für "verloren" und zeigten sich ahnungslos, "worum es jetzt überhaupt noch geht". Von einer "Schande" war die Rede und manche hatten auch keine Probleme, offen ihren Sexismus und ihre Ausländerfeindlichkeit auszuleben. Ein "woker Spruch" sei heutzutage offenbar ausreichend, um eine Jury zu überzeugen, regte sich ein Kommentator auf.
Besonders in Osteuropa, nicht zuletzt in Russland, zeigten sich Kommentatoren fassungslos über die Neuausrichtung des deutschen Miss-Germany-Entscheids. "In meiner Straße gibt es noch fünf bis zehn schöne Frauen", wetterte ein Blogger. Ein anderer postete das Foto von Schönauer mit der Bildunterschrift: "So sieht Miss Germany aus - kein Witz!" Weitere Russen vermuteten "Bestechung", wetterten, sie würden so eine Frau "nicht mal in die Garderobe lassen" und warfen Deutschland vor, "von einem Extrem ins andere" zu fallen. Die Deutschen selbst "seien schockiert", hieß es, und ein Blatt titelte herablassend: "Wir dürfen darüber nicht urteilen".
"Konsequent eigenen Weg gehen"
Apameh Schönauer reagierte auf die Beleidigungen im "Stern" mit dem Hinweis, sie schaue sich "gar nicht alles an": "Ich hatte mit Gegenwind gerechnet, allerdings nicht in diesem Ausmaß. Aber ehrlich gesagt: Es bestärkt mich darin, dass meine Mission gerade nicht wichtiger oder aktueller sein könnte."
In ihrer Selbstauskunft hatte die Wettbewerbsteilnehmerin gesagt: "Ich bin selbst mit 6 Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen und habe gelernt, wie schwierig und wie wichtig es ist, sich zu integrieren, aber gleichzeitig seine Träume zu formulieren und konsequent seinen eigenen Weg zu gehen." Ihre Vorbilder seien "die starken und mutigen Frauen im Iran", die jeden Tag ihr Leben riskierten, wenn sie auf die Straße gingen und für ihre Freiheit und ihre Rechte demonstrierten.
Beim diesjährigen "Miss Germany"-Entscheid, der vergangenen Samstag im Europapark Rust ausgetragen worden war, waren auch zwei Teilnehmerinnen aus Bayern in die Runde der Top Ten gekommen: Melda Siraz aus Würzburg, eine Stand-up-Comedian, und Tamara Schwab aus Roth, die sich für Organspenden einsetzt.
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