Der Friedhof in Mindelheim
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Trends um Tod und Trauer: Wie sich die Bestattungskultur wandelt

Trends um Tod und Trauer: Wie sich die Bestattungskultur wandelt

Im Mittelalter wurden Leichen regelrecht entsorgt. Die Bestattung auf dem Friedhof ist eine Errungenschaft der Neuzeit, die sich aber verändert. Die Feuerbestattung etwa galt in der katholischen Kirche als "barbarische Sitte", heute ist sie Usus.

Über dieses Thema berichtet: Evangelische Perspektiven am .

Engel, Statuen, Grabsteine mit der Berufsbezeichnung des Verstorbenen, Gestecke und Blumenschmuck - so individuell wie die Menschen, so unterschiedlich sind auch die Gräber auf dem Friedhof gestaltet, wie Birgit Neher von der Friedhofsverwaltung im schwäbischen Mindelheim zeigt.

Zu wenig Gräber? Heute haben die Friedhöfe Platz

Etwa 2.500 Gräber befinden sich auf dem Mindelheimer Friedhof. Vor rund 20 Jahren suchte man noch fieberhaft einen Ort, um den Friedhof zu erweitern. Doch die Bedenken, der Platz könnte nicht mehr reichen, sind inzwischen Geschichte. Heute ist das Gegenteil der Fall. Nicht zu übersehen sind die vielen Lücken zwischen den Gräbern, zahlreiche Grabstätten werden aufgelassen.

Sie verlangen nicht nur Pflege, sondern kosten auch Geld: Je nach Gemeinde sind die Gebühren unterschiedlich hoch. Die Grabnutzungsgebühr für ein Familiengrab in Mindelheim kostet pro Jahr 62 Euro, ein Doppel-Familiengrab 111 Euro. Die Gebühr für ein Urnenerdgrab beträgt 47 Euro, eine Nische in der Urnenwand kostet 96 Euro im Jahr.

Aber es seien weniger finanzielle Gründe, dass Gräber verschwänden, sagt Birgit Neher von der Mindelheimer Friedhofsverwaltung. Ältere Menschen würden ihren Kindern die Grabpflege nicht zumuten wollen, weil die beispielsweise nicht in der Nähe wohnen. "Jedes Grab ist auch verbunden mit einer Grabpflege, das muss man sich auch mal vor Augen führen."

Im Mittelalter entsorgte man Leichen

Dabei ist die Tradition, Verstorbene auf einem Friedhof zu bestatten, noch gar nicht so alt. Im Mittelalter wurden Leichen regelrecht entsorgt, ohne Sarg, in Tücher gehüllt, vergraben. Friedhöfe sind eine Errungenschaft der Neuzeit. Oft lagen die Grabstätten rund um die Kirche. Die so genannten Kirchhöfe galten als Symbol für die Nähe zu Gott.

Bestattungsregeln, um Seuchen vorzubeugen

Vorgaben für Bestattungen gab es zunächst kaum – auch nicht, wie tief die Leichname begraben sein mussten. Quellen berichten, dass Totengräber gerügt wurden, wenn Hunde die Gebeine wieder ausgegraben haben. Und auch der Verwesungsgeruch in den Städten muss teilweise unerträglich gewesen sein. So war es weniger die Erinnerungskultur als vielmehr der Hygieneaspekt, warum die heutigen Friedhöfe mit ihren strengen Bestattungsregeln entstanden sind: Infektionen und Seuchen sollten verhindert werden.

Immer mehr Überhangflächen, die Geld kosten

Heute gibt es bundesweit 32.000 Friedhöfe mit einer Fläche von rund 35.000 Hektar. Darauf befinden sich rund 40 Millionen Gräber. Egal ob in der Großstadt, in mittleren Städten oder auf dem Land – die so genannten Überhangflächen nehmen zu. Diese Bereiche werden nicht mehr für Bestattungen benötigt, müssen aber trotzdem gepflegt werden und kosten Unterhalt. Laut Statistik sind zwischen 20 und 70 Prozent der Friedhofsflächen von diesem Problem betroffen.

Nach der so genannten Ruhefrist - für Erdgräber beträgt sie je nach Bodenbeschaffenheit zwischen 20 und 30 Jahre – kann ein Grab eingeebnet werden. Das geschieht immer häufiger. Die Fläche der aufgelassenen Gräber auf deutschen Friedhöfen entspricht 22.170 Fußballfeldern – das haben Experten 2019 auf einer Tagung zum Wandel der Friedhöfe ausgerechnet.

Diese Entwicklung ist auch ein Spiegel der Gesellschaft, erklärt Oliver Wirthmann. Er ist Bestatter und Theologe und war viele Jahre Geschäftsführer im Kuratorium Deutsche Bestattungskultur: Die subjektive Zeitwahrnehmung habe sich beschleunigt. "Und das führt dazu, dass man an Groß- und Urgroßväter und andere Vorfahren gar nicht mehr so denkt und das oft gar nicht aus einem bösen Willen oder einer Nachlässigkeit oder einer emotionalen Herzlosigkeit, sondern das Leben geht immer nach vorne."

Feuerbestattung – einst "barbarische Sitte", heute Usus

Wenn ein Mensch stirbt, muss er auf einem Friedhof oder einem ausgewiesenen Bestattungswald beerdigt werden. In Deutschland gilt der Friedhofszwang. Aus überwiegend praktischen Gründen wählen immer mehr Menschen oder Angehörige eine Feuerbestattung. Über Jahrhunderte hat das Christentum die Einäscherung eines Leichnams strikt abgelehnt. Papst Leo XIII nannte sie gar "eine barbarische Sitte". Erst 1963 gestattete die katholische Kirche auch Feuerbestattungen.

Zwar steige die Nachfrage nach Bestattungen unter Bäumen, sagt Bestatter Wirthmann: "Da reden wir schon von einigen wenigen Prozent. Aber die meisten Verstorbenen werden auch weiterhin auf dem Friedhof bestattet." Und auch der Trend zur anonymen Bestattung sei gebrochen. Neue Formen wie Ballon-Bestattungen oder Diamantbestattungen, die ja in Wirklichkeit keine Bestattungen seien, sondern die Umwandlung der Totenasche in einen synthetischen Diamanten, würden zwar medial viel berichtet. "Wenn es dann aber um die eigene Mutter, den Vater oder andere Angehörige geht, sagt man ja, ich glaube, wir machen das dann doch mal anders. Und das zeigt, dass die Menschen schon ein gutes Gefühl dafür haben, was gut und richtig ist."

Wandel in der Bestattungskultur sei dabei weder gut noch schlecht. Die Bestattungskultur habe sich immer gewandelt und dürfe das auch weiter. Aus Erfahrung weiß der Theologe und Bestatter Wirthmann, dass Angehörige einen Platz brauchen, an dem sie ihre Verstorbenen geborgen wissen – und dass sie diesen Ort besuchen wollen – auch wenn das selten ist. "Wir können das Leben nur verstehen, wenn wir auch wissen, wo wir herkommen, und nur dann werden wir in eine gute Zukunft gehen können."

"Die Verstorbenen lehren die Lebenden"

Bestattungskultur sei daher mehr als nur ein Geschäft von Bestattern, mehr als lokales Brauchtum oder Volkskolorit, sagt Wirthmann: "Es ist die Frage, wer wir sind und wer wir sein wollen. Die Lateiner, die Römer haben gesagt: Morituri docent vivos – die Verstorbenen lehren die Lebenden. Und da ist etwas dran, auch nach über 2000 Jahren."

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