Teahupo'o: Hier treten die Olympia-Surfer an
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Surfer-Kritik an IOC: Olympia 2024 auf Tahiti "total sinnfrei"

Surfer-Kritik an IOC: Olympia 2024 auf Tahiti "total sinnfrei"

Am Samstag soll das olympische Surf-Spektakel vor Teahupo'o losgehen. Die Veranstalter und das IOC hoffen auf spektakuläre Bilder, doch hinter den Kulissen gibt es Ärger im Paradies. Der deutsche Co-Bundestrainer Martin Walz übt deutliche Kritik.

Über dieses Thema berichtet: BR24Sport im Radio am .

Mitten im Pazifik liegt eine winzige Doppelinsel namens Tahiti. Von oben betrachtet sieht sie aus wie eine umgefallene Acht, sie ist nicht einmal halb so groß wie das Saarland. Ganz im Süden liegt einsam das Küsten-Dörfchen Teahupo’o. Während der 1500-Seelen-Ort im Norden durch üppige grüne Berge vom stürmischen Pazifik abgeschirmt wird, türmt sich auf der anderen Seite im Ozean eine der mächtigsten Wellen der Erde auf.

Wer die sagenumwobene Welle von Teahupo’o noch nicht kannte, wird sie schon bald kennenlernen. Denn genau auf dieser werden ab Sonntag (27. Juli) die Olympischen Surf-Wettbewerbe ausgetragen. Das unberührte tropische Paradies wird für insgesamt vier Wettkampftage zur Bühne der weltbesten Wellenreiter. Frankreichs Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra freute sich vorab auf ein Surf-Spektakel an einem "magischen Ort".

Co-Bundestrainer über Olympia: "Reden wir ehrlich …"

Doch ganz so magisch ist die olympische Stimmung vor Ort nicht. Seitdem das Nationale Organisationskomitee (NOK) den Plan fasste, die Surfmedaillen nicht an der französischen Atlantikküste, sondern am anderen Ende der Welt zu vergeben, regt sich Unmut auf der polynesischen Insel. Das IOC und das NOK hatten ihre Entscheidung pro Tahiti mit dem Nachhaltigkeitsgedanken begründet. Demnach sei die Anreise für den Großteil der teilnehmenden Surfer (aus Ozeanien und Nordamerika) deutlich kürzer als nach Frankreich.

Der deutsche Co-Bundestrainer Martin Walz hat im exklusiven BR24Sport-Interview kein Verständnis für die Entscheidung: "Reden wir ehrlich: Das (Olympia auf Tahiti) ist total sinnfrei." Der Münchener ist am Samstag gemeinsam mit Chef-Bundestrainer Didier Piter und den deutschen Olympia-Surfern Camilla Kemp und Tim Elter auf dem "schwimmenden Olympischen Dorf" vor der Küste Tahitis angekommen. Aus logistischen Gründen sind die Athleten und Delegationen nicht im kleinen Teahupo’o untergebracht, sondern auf einem extra für die Spiele gecharterten Kreuzfahrtschiff.

Ärgernis Jury-Turm: Korallenriff beschädigt

Trotz aller Freude über Gesangseinlagen des Hotelpersonals und traditionelle Blumenketten beim Empfang, hat sich bei Walz und Co. eine Ambivalenz im Umgang mit den Spielen eingeschlichen: "Wir gehen kritisch damit um, auch wenn wir nicht dafür verantwortlich sind, sondern nur ein Teil eines Systems."

Hauptkritikpunkt der lokalen Bevölkerung ist die Errichtung eines neuen 14 Meter hohen Wettkampfturms inmitten des Korallenriffs für die Olympischen Spiele. Hier soll nicht nur die Jury Platz finden, sondern auch die Übertragungstechnik. Im vergangenen Winter war es jedoch zu Komplikationen gekommen. Die polynesische Regionalregierung hatte den Bau Anfang Dezember vorerst gestoppt, nachdem ein Lastkahn, mit dem das Fundament für den Turmbau vorbereitet werden sollte, Teile des Korallenriffs beschädigt hatte.

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Dieser Wettkampf-Turm wurde extra für Olympia installiert

Forscher warnt: "Magie wird durch Olympia bedroht"

Neben den unmittelbaren ökologischen Auswirkungen auf das Riff, das sich sehr nah unter der Wasseroberfläche befindet, könnte sich auch die von den Surfern ehrfürchtig verehrte Welle in Teahupo’o verändern. Meeresbiologe Sebastian Ferse sagte Anfang des Jahres im Sportschau-Interview: "Wenn das Riff (...) eine andere Form annimmt, kann das dazu führen, dass über kurz oder lang der Charakter dieser Welle verloren geht. Das, was die Magie dieses Ortes ist, und die Veranstalter eigentlich dahin gezogen hat, wird durch diese eine Veranstaltung (Olympia 2024) bedroht."

Polynesier und Surfer begehren gegen Olympia-Turm auf

Die Bevölkerung Tahitis hatte sich schon vor dem Zwischenfall kritisch zu dem Vorhaben geäußert, sei jedoch von Anfang nicht in den Planungsprozess des NOK einbezogen worden. Dies zumindest sagte Astrid Drollet von der Umweltschutzorganisation "Vai Ara O Teahupo’o" im Deutschlandfunk. Die Organisation sammelte per Online-Petition über 250.000 Unterschriften gegen den Bau des Turms.

NOK lehnt Kompromissvorschlag ab

Unterstützung erhielt die Bewegung von prominenten Surfern wie Ikone Kelly Slater und dem olympischen Dachverband International Surfing Association (ISA). Die ISA hatte den Olympia-Veranstaltern als Kompromissvorschlag eine abgespeckte Version des Turms am Strand vorgelegt. Nach dem Vorbild der jährlich stattfindenden World Surfing League sollte demnach ein temporärer Turm aufgebaut werden, die Jury säße dabei am Strand und würde wie die TV-Zuschauer mit Bildern mehrerer Drohnen versorgt werden.

Dies entspricht jedoch nicht den Voraussetzungen für einen olympischen Wettkampf, teilte das Organisationskomitee mit und hielt am rund 4,5 Millionen Euro teuren Neubau fest. Neben der Bewertung der Wettkämpfe und der Sicherheitsüberwachung sei es nur mit dem großen neuen Turm möglich, eine qualitiativ hochwertige Übertragung der TV-Bilder in die ganze Welt zu gewährleisten. Der neue olympische Sport gilt schließlich als Prestigeprojekt des IOC, das Olympia für neue Zielgruppen öffnen soll.

"Die Polynesier sind ein stolzes Volk"

"Es wurde schnell etwas gemacht und die Einheimischen nicht inkludiert", erklärte Martin Walz im BR24Sport-Interview sein Verständnis für die lokalen Anwohner: "Die Polynesier sind zu Recht ein sehr stolzes Volk, sie haben die Kolonialisierung und die Missionierung erlebt." Als leitender Experte für Sportpsychologie bei der deutschen Surf-Mannschaft ist er durch frühere Reisen nach Tahiti immer wieder im Austausch mit den Einheimischen und kennt die Probleme vor Ort.

"Die Schule hier hat ein Dach, das seit zehn Jahren repariert werden müsste. Auch der Kinder-Surfclub hat keine Aufmerksamkeit. Das interessiert niemanden vom IOC oder dem Organisationskomitee. (...) Eigentlich geht es um die Nachhaltigkeit für das Dorf und die Einheimischen und nicht um Profit für die Sponsoren." - Martin Walz, Co-Bundestrainer des olympischen Surfteams
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Co-Bundestrainer Martin Walz sieht Olympia in Tahiti kritisch

Großes Ziel: Team D will langfristig in die Top drei

Dennoch gilt der Blick von Walz dem großen Olympischen Wettkampf, der zwischen dem 27. Juli und dem 8. August stattfindet. In dieser zehntägigen Wartephase können die Veranstalter frei entscheiden, an welchen vier Tagen die Bedingungen am besten sind und um Medaillen gesurft wird. Auch wenn das abgelegene Teahupo’o sprichwörtlich als "End of the Road" ("Ende der Straße") bezeichnet wird, soll Olympia 2024 für das deutsche Team nur eine Zwischenetappe sein.

Aus der Zwergnation Deutschland ist ein echter Herausforderer im internationalen Surfsport geworden. Beim Olympia-Debüt der Surfer 2020 in Tokio hatte Leon Glatzer als einziger deutscher Starter den Grundstein gelegt, seitdem ist das deutsche Team "von Weltranglistenplatz 25 auf einen stabilen Platz sechs vorgerückt", erklärt Walz und formuliert selbstbewusst: "In den nächsten vier Jahren zielen wir auf Platz drei ab. Der Plan ist, dass wir für Los Angeles 2026 auf Medaillen gehen."

Der unbeschwerte Underdog-Status des Mini-Teams (nur Walz und Piter als Betreuer in Tahiti dabei) soll ab Sonntag zum deutschen Faustpfand werden. "Camilla ist als erste deutsche Frau hier, Tim als jüngster Starter des Männerfeldes. Egal wie es ausgeht: It’s always a fucking win", sagte Walz angriffslustig: "Wir haben lange Vokabeln gelernt, jetzt wollen wir mal sehen, ob wir sie wirksam einsetzen können."

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