Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) prüft den Fall mittlerweile seit fast vier Jahren. Bereits im Dezember 2015 konfrontierten Beamte Audi-Manager bei einem Treffen mit dem Vorwurf, in älteren Euro 4-Dieselfahrzeugen mit größeren 2,7 und 3,0 Liter-Motoren sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Das geht aus einem Protokoll des Treffens hervor, das BR Recherche vorliegt. "Dies wird von Audi vehement bestritten", heißt es in dem Protokoll weiter.
Es ging um die sogenannte "Akustikfunktion". Diese wurde bei Audi entwickelt, angeblich um beim damals neuen V6-Dieselmotor unangenehme Geräusche, häufig beschrieben als "Nageln", zu vermindern. Audi argumentierte, die Akustikfunktion "dient rein dazu, den Motor bzw. die Keramikglühkerzen des Motors zu schützen". Zudem bestand Audi darauf, dass die Funktion "keinerlei Zyklus-oder Prüfstandserkennung" habe.
Audi informierte falsch
Doch Audi informierte die Behörde nicht korrekt, wie interne Dokumente zeigen. Im Juni 2016 kam der Arbeitskreis Diesel des Audi-Aufsichtsrats zusammen. In dem Sitzungsprotokoll, überschrieben mit "Vertraulich!“, heißt es wörtlich, dass "die von Audi gegenüber dem KBA (…) abgegebene Darstellung zur Akustikfunktion unzutreffend" sei.
Es wird beschrieben, dass die Akustikfunktion auf dem Prüfstand den Stickoxid-Ausstoß vermindert. Auf der Straße stoßen die Fahrzeuge mehr gefährliche Stickoxide aus. Explizit ist von einer "Testerkennung" die Rede. Doch statt die Behörde umgehend zu informieren, mahnt ein Mitglied des Aufsichtsrates "das Aufklärungs- und Unternehmensinteresse abzuwägen". Audi will sich auf BR-Anfrage nicht dazu äußern, da es sich "um ein laufendes Verfahren des KBA handelt".
Kraftfahrt-Bundesamt verschleppt Aufklärung
Erst im Mai 2017, fast eineinhalb Jahre nach dem ersten Verdacht, gibt das Kraftfahrt-Bundesamt ein Gutachten in Auftrag. Der renommierte Motorexperte Prof. Georg Wachtmeister von der TU München, soll prüfen, ob die "Audi-Akustikfunktion" unzulässig ist. Das Gutachten liegt BR Recherche und dem Transparenzportal "Frag den Staat" vor.
Darin kommt der Motorexperte zu folgendem Urteil: "Eine Anwendung von Bauteil- bzw. Motorschutz ist mit den von Audi vorgebrachten Argumenten nicht gegeben. Damit wird in Fällen der Grenzwertüberschreitung die Akustikfunktion als unerlaubte Abschalteinrichtung eingestuft."
Statt aktiv zu werden, lässt das Kraftfahrt-Bundesamt wieder ein Jahr verstreichen. Im Juli 2018 hält die Behörde in einem internen Vermerk fest: "Die Akustikfunktion wird als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft." Laut dem Vermerk geht das KBA damals von rund 150.000 Diesel-Autos der Baujahre 2003 bis 2010 von Audi und VW mit der unzulässigen Abschalteinrichtung aus. Inzwischen dürften es weniger sein.
Im September 2018 dann teilt das Kraftfahrt-Bundesamt Audi schriftlich mit: Es sei beabsichtigt, einen Rückruf-Bescheid zu erlassen. Wörtlich heißt es in dem Schreiben, das BR Recherche vorliegt: "Alle betroffenen produzierten Fahrzeuge sind umzurüsten." Der Autobauer bekommt Gelegenheit zur Stellungnahme – mit Frist 27.9.2018. Die Frist verstreicht, ohne Konsequenzen. Das KBA gewährt dem Ingolstädter Autobauer offenbar weiter Aufschub. Zurückgerufen hat das KBA die Fahrzeuge bis heute nicht.
Auf BR-Anfrage antwortet das übergeordnete Bundesverkehrsministerium: "Die Messungen des KBA und die Bewertung der Ergebnisse dieser Messungen sind noch nicht in Gänze abgeschlossen."
Abgas-Experte: "Untätigkeit ist skandalös"
Der Darmstädter Jurist Martin Führ, der auch Gutachter im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags war, kritisiert die Untätigkeit der Behörde im BR-Interview scharf: "Ich finde das, gelinde gesagt, sehr erstaunlich, dass es immer noch nicht zu einem Eingreifen der Behörde gekommen ist. Wenn man bedenkt, dass es hier um den Schutz von Leben und Gesundheit geht, dann wäre unverzügliches Handeln geboten."
Schadenersatzansprüche drohen zu verjähren
Für Autofahrer, die ihren Euro 4-Audi vor 2010 erworben haben, ist die verschleppte Klärung des Falls ärgerlich. Verbraucheranwälte befürchten, Schadenersatzansprüche könnten nach zehn Jahren verjähren. "Das Kraftfahrt-Bundesamt hat hier eine Steilvorlage geliefert, dadurch, dass sie in den letzten Jahren nicht aktiv geworden sind. Audi wird sich in den Verfahren sicher darauf berufen, dass das Ganze so lange her ist, dass Ansprüche verjährt sind", meint der Münchner Anwalt Thorsten Krause, der zahlreiche Dieselfahrer vertritt.