Arbeit muss sich wieder lohnen: Diese Überzeugung scheint die Bundesregierung bei ihrem aktuellen Reformmarathon anzutreiben. Eines der vielen Vorhaben ist die Steuerbefreiung von Zuschlägen auf Überstunden. So will die Koalition die Menschen zu mehr Arbeit motivieren und dem Mangel an Arbeitskräften begegnen.
Doch eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung hat dieses Vorhaben durchgerechnet – und kommt zu dem Schluss, dass das Steuergeschenk kaum bei den Beschäftigten ankommen dürfte. Zwei Zahlen veranschaulichen dies:
1. Nur ein Bruchteil dürfte profitieren
Nur 1,4 Prozent aller Beschäftigten würden von der Steuerbegünstigung profitieren, errechnet die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Denn der Steuerbonus soll nur unter bestimmten Bedingungen gelten: Zum einen soll er nur für Überstunden gelten, die über dem Arbeitspensum in Vollzeit liegen. Im Falle von tariflichen Regelungen sind das laut Koalitionsvertrag 34 Stunden, bei nicht tariflich festgelegten Arbeitsverträgen 40 Stunden.
Anders gesagt: Teilzeitbeschäftigte gingen bis auf spezielle Einzelfälle leer aus. Zum anderen soll Steuerfreiheit nur dann gelten, wenn der Arbeitgeber die Überstunde bezahlt und darüber hinaus einen Zuschlag drauflegt – wobei nur der Zuschlag steuerfrei wäre, die Vergütung der Überstunde selbst nicht.
Statt bezahlter Überstunden: Abfeiern ist Usus
Das sei heutzutage aber ein seltenes Phänomen, erklärt Studienautor Malte Lübker im Interview mit BR24. "Das war in den 90er Jahren noch üblicher, aber inzwischen haben wir Arbeitszeitkonten." Mit anderen Worten: Viele Beschäftigte feiern Überstunden einfach an einem anderen Tag ab – und das ist ohnehin schon steuerfrei.
Diese Erkenntnis deckt sich auch mit den Zahlen des Statistischen Bundesamts [externer Link]: Demnach nutzten 2024 rund 71 Prozent derer, die Überstunden machten, ein Arbeitszeitkonto. 19 Prozent arbeiteten unbezahlt weiter und lediglich 16 Prozent wurden für ihre Überstunden ausbezahlt.
Wie viele von ihnen auch einen Zuschlag erhielten, geht aus den Zahlen nicht hervor. Doch laut einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung [externer Link] gaben 14 Prozent der Befragten an, dass es in ihrem Arbeitsverhältnis möglich ist, Überstunden ausbezahlt zu bekommen und einen Zuschlag zu erhalten.
2. Nur wenig dürfte von dem Steuerbonus auf dem Konto landen
Überhaupt die Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung zu erfüllen, ist also gar nicht so leicht. Doch auch die wenigen Glücklichen dürften auf ihrem Konto nicht viel von dem Steuerbonus bemerken. Nach Kalkulationen der Hans-Böckler-Stiftung liegt die durchschnittliche Steuerersparnis bei 1,35 Euro pro begünstigte Überstunde.
Auch der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums schrieb bereits im August einen Brief an Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), in dem die Experten die Steuerbefreiung von Überstundenzuschlägen als ungeeignetes Instrument bezeichneten. In einer vereinfachten Rechnung kommen sie zu dem Schluss, dass durch die Steuerbefreiung von Zuschlägen 3,50 Euro pro Überstunde beim Arbeitnehmer auf dem Konto landen könnten.
Damit liegt das Beratergremium des Finanzministeriums über dem errechneten Nettogewinn der Hans-Böckler-Stiftung. Trotzdem: Der Effekt auf den Nettolohn sei so gering, dass man sich von der Maßnahme "keine signifikante Ausweitung des Arbeitsangebots" erwarte, schreiben die Wissenschaftler.
Steuerbefreiung benachteiligt Frauen und Geringverdienende
Stattdessen weisen sowohl der wissenschaftliche Beirat als auch das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung auf diverse Schwächen des geplanten Steuerbonus hin: So würden etwa weit weniger Frauen profitieren als Männer, erklärt Studienautor Malte Lübker: "Das liegt daran, dass Frauen viel häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer."
Außerdem profitierten auch Menschen mit geringeren Einkommen weniger als Personen mit höherem Gehalt, so Lübker. Denn: Letztere zahlen meist mehr Steuern und würden im Umkehrschluss mehr von der Steuerbefreiung profitieren. Der wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums warnt zudem vor "Steuergestaltungen", also dass Arbeitgeber und -nehmer die Neuregelung ausnutzen könnten, während die tatsächlich gearbeiteten Stunden in dem Betrieb nicht wachsen.
Zusätzlich würde die Steuerbefreiung einen Mehraufwand für die ohnehin schon überlasteten Finanzämter bedeuten, so der wissenschaftliche Beirat. Und drittens sei von einem sogenannten Mitnahmeeffekt auszugehen: Menschen, die bereits heute Überstundenzuschläge erhalten, würden von dem Bonus profitieren, ohne mehr arbeiten zu müssen. Das mache die Maßnahme teurer für den Staat. Wie viel der Steuerbonus den Staat tatsächlich kosten könnte, ist noch unklar. Die Hans-Böckler-Stiftung geht von mindestens 160 Millionen Euro pro Jahr aus.
Dieser Artikel ist erstmals am 20.10.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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