In den vergangenen vier Jahrzehnten hat die Vegetation oberhalb der Baumgrenze in den Alpen stark zugenommen, zeigt eine aktuelle Studie. Das ist kein Grund zur Freude, betonen die Autorinnen und Autoren: Zum einen verdrängt der neue Pflanzenwuchs die ganz spezifische Alpenfauna und schadet damit der Biodiversität. Zum anderen hat die Vergrünung der oberen Gebirgslagen einen Rückkoppelungseffekt auf die Erwärmung und treibt den Klimawandel weiter voran. Grün statt weiß: Das ist der erschreckende Trend in den Alpen, denn der Schnee nimmt ab, erstmals auch merklich in großen Höhen.
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Vierzig Jahre aus dem All beobachtet
Ein internationales Forscherteam um die Professorin Sabine Rumpf der Universität Basel (Schweiz) hat Satellitenbilder von 1984 bis 2021 ausgewertet, um festzustellen, wie sich in Berglagen über 1.700 Metern Höhe die Vegetation und die Schneebedeckung insbesondere in den Sommermonaten entwickelt haben. Gletscher und Wälder wurden bei der Studie ausgenommen, die jetzt im Fachmagazin Science erschienen ist.
Massive Veränderung im Großteil der Alpenregion
Die Forschenden waren bestürzt über die Ergebnisse ihrer Studie: "Das Ausmaß der Veränderung hat sich in den Alpen als absolut massiv herausgestellt", warnt Sabine Rumpf, die Hauptautorin der Studie. Denn es zeigte sich, dass in 77 Prozent der untersuchten Regionen der Pflanzenbewuchs signifikant zugenommen hat. Dabei dringt Vegetation an Stellen vor, die bislang unbewachsen waren. Zusätzlich wird der Bewuchs immer dichter und höher.
Schneebedeckung nimmt in den oberen Lagen ab
Die Schneebedeckung hat im gleichen Zeitraum von fast vierzig Jahren in den höheren Lagen abgenommen. Allerdings noch nicht so deutlich: Lediglich in etwa einem Zehntel der untersuchten Regionen war die Schneebedeckung signifikant gesunken.
Aber, so betonen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Studie, das sei keine Entwarnung. Denn bislang wurde vor allem die Abnahme der Schneehöhe in tieferen Lagen im Gebirge dokumentiert, die irgendwann dazu führt, dass auch immer weniger Fläche von Schnee bedeckt ist. In Höhen über 1.700 Metern dagegen ist der Schnee noch lange nicht so stark von der Erderwärmung betroffen. Über die Höhe des Schnees lässt sich aus Satellitenbildern nichts ablesen, doch jetzt sei die Abnahme in der Schneefläche erstmals aus dem All zu sehen.
Momentan hängen die Abnahme der Schneeflächen und die Zunahme der Vegetation nicht direkt zusammen, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Ursache für die schrumpfenden Schneeflächen ist vor allem, dass in der kalten Jahreszeit immer mehr Niederschläge als Regen fallen statt als Schnee. Der stärkere Pflanzenwuchs wird dagegen durch erhöhte Temperaturen vor allem in der sommerlichen Wachstumsphase bedingt.
Mehr Pflanzenwuchs macht weniger Schnee macht mehr Pflanzenwuchs
Doch mehr Pflanzenwuchs hat einen fatalen Rückkoppelungseffekt auf die Temperaturen in den Bergen, die durch den Klimawandel sowieso schon doppelt so stark gestiegen sind wie im weltweiten Durchschnitt: Dichterer und höherer Pflanzenwuchs verhindert örtlich die Bildung einer Schneedecke.
Schnee bestimmt jedoch in den Bergen nicht nur die verfügbare Feuchtigkeit der Böden und die Wassermengen fürs Tal, die Schneedecke bestimmt auch den Wachstumszeitraum. Je weniger und kürzer Schnee liegt, umso besser können Pflanzen wachsen.
Grün statt weiß heizt noch leichter auf
Grün statt weiß ist noch in einer anderen Hinsicht alarmierend: Die Rückstrahlkraft (Albedo) der höheren Berglagen sinkt dadurch. Das Sonnenlicht wird weniger reflektiert und stattdessen mehr absorbiert. Folge: Die Erwärmung steigt. Der Farbwechsel in den Alpen ist der Beginn eines Teufelskreislaufs, der in der Arktis bereits seit Längerem mit Besorgnis beobachtet wird.
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